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Als ich am nächsten Morgen erwachte, drehte ich mich um und strich mit meiner Hand sanft über das Kissen neben mir. Ganz von selbst hoben sich meine Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln und als ich ganz schwach den Geruch von gebrannten Mandeln wahrnahm, schloss ich die Augen.

Aber nur kurz. Es war schon spät und ich hatte heute einen Termin bei meinem Psychiater. Ich hatte gestern Abend vergessen meinen Wecker zu stellen und ich konnte wirklich froh sein, dass auf meine innere Uhr immer Verlass war.

Ich schwang mich aus dem Bett, schaltete die Kaffeemaschine ein und lief ins Badezimmer. Die heiße Dusche tat gut an diesem Morgen und ich genoss das Wasser, das auf meiner Haut abperlte.

Schnell putzte ich mir meine Zähne, führte meine allmorgendliche Hautpflegeroutine durch und schminkte mich dezent. Das Schmuckkästchen, dass auf meiner Badablage schon ganz eingestaubt war, öffnete ich nun. Ich streifte einen Ring über meinen Finger, einige Armbänder und auch eine Kette, die ich eigentlich immer sehr gern getragen hatte, kamen nun nach langer Zeit wieder zum Einsatz.

Es versprach ein wunderschöner Sommertag zu werden und ich wählte die Kleidung aus, in der ich mich immer am wohlsten gefühlt hatte. Der Kaffee lief noch durch und ich bereitete schon mal meine Tasse vor. Ließ etwas Zucker hineinrieseln und nahm die Milch aus dem Kühlschrank, als mein Blick auf meinen Laptop fiel, der auf der Küchentheke lag. 

Ich klappte ihn auf und wählte mich in den Tor-Browser ein. Dann loggte ich mich auf Euthanasia ein. Es dauerte ein wenig und ich ließ meinen Blick in der Zeit aus dem Fenster schweifen. Als die Seite soweit war, betrachtete ich diese ausdruckslos, bevor ich meine Profileinstellungen öffnete und auf Account löschen klickte. 

Sind Sie sicher?

Ich lächelte und senkte meinen Kopf ein wenig. Dann sah ich auf und klickte auf Ja.

Der Kaffee war mittlerweile fertig und der wunderbare Geruch der Kaffeebohnen stieg mir in die Nase. Ich klappte meinen Laptop zu und schenkte mir eine Tasse ein. Ich pustete gegen die heiße Flüssigkeit, sodass der aufsteigende Dampf verweht wurde, ehe ich einen kleinen Schluck nahm.

Aus einer Schublade nahm ich mir einen Block und einen Kugelschreiber und machte es mir an der Kücheninsel wieder bequem. Ich nahm noch einen Schluck, bevor ich die Tasse neben mich stellte und den Block aufschlug. Die Miene des Kugelschreibers schnellte klickend hervor, als ich den Drücker betätigte.

Ein wenig gedankenverloren sah ich aus dem Fenster. Der Himmel war so hellblau und wolkenlos. Ich konnte die Vögel in den Bäumen vor meinem Fenster zwitschern hören. Ich kaute sachte an dem Ende des Kulis herum. Dann holte ich tief Luft und begann zu schreiben.

Ich trank meine Tasse leer und zog meine Schuhe an, schnappte mir meine Geldbörse, meinen Haustürschlüssel, den Zettel und verließ meine Wohnung. Draußen angekommen stellte ich fest, dass es schon ziemlich heiß war. Aber es war mittlerweile ja auch schon fast  zwölf Uhr. Ich musste einen Zahn zulegen, wenn ich zur Therapie nicht zu spät kommen wollte.

Als ich bei Dr. Lee ankam, bat mich die Sprechstunde noch einen Moment Platz zu nehmen. So wie immer wartete ich geduldig, bis sich die Tür öffnete und der Arzt mich hereinbat.

Ich nahm in dem großen weichen Ledersessel Platz und versank fast komplett in dessen Polstern. Meinen Blick hatte ich auf meinen Schoß gerichtet.

"Wie geht es dir heute, Jaden?", fragte mich Dr. Lee und ich sah zu ihm auf. "Mir geht es gut", antwortete ich und schluckte kurz.

"Und wie ist es so gelaufen?", wollte Dr. Lee wissen und ich atmete tief ein.

"Ich glaube, dass jetzt alles klar ist", sagte ich und Dr. Lees Blick wanderte zu dem Zettel in meinen Händen. Er nickte schwach.

"Bist du bereit, für den nächsten Schritt?", fragte Dr. Lee und ich sah ihm fest in die Augen. "Ja, das bin ich", antwortete ich ihm und er befeuchtete kurz seine Lippen. Er lehnte sich vor und legte seine gefalteten Hände auf seinem Schreibtisch ab. 

"Möchtest du, dass ich mit dir gehe?", fragte der Arzt und ich lächelte ein wenig.

"Das ist nicht nötig. Ich schaffe das allein", entgegnete ich ihm und seine Augenlider flatterten kurz. Doch er nickte mir zuversichtlich zu.

Nach der Therapiestunde lief ich die Straße entlang. Ich genoss die Sonne, die meine Haut wärmte. Ich liebte den Geruch des Sommers. An einem Blumenladen hielt ich kurz an und kaufte einen wunderschönen Strauß weißer Rosen. Als ich wieder die Straße entlangschlenderte, roch ich ab und zu an den Blumen.

Zielstrebig lief ich weiter. Bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und folgte der Straße. Ich öffnete irgendwann ein eisernes Tor, das mir meinen weiteren Weg versperrte und schloss dieses wieder hinter mir, bevor ich meinen Weg fortsetzte. 

Es war friedlich und ruhig. Die Atmosphäre gefiel mir eigentlich und machte mir keinerlei Angst mehr. Ich wusste genau wo ich herlaufen musste. Ich hatte es nicht vergessen und als ich das Ziel meines Weges erreichte, fing ich doch an zu zittern.

Langsam richtete ich meinen Blick auf den großen Stein. Las immer wieder die Worte, die darauf eingraviert waren, die Jahreszahlen. Ich presste meine Lippen leicht aufeinander und senkte meinen Blick. Ich setzte mich langsam auf den Boden. Vor den Stein und vor die anderen Blumen, die davor gepflanzt waren.

Dann stellte ich die Rosen in die Vase, die in der Erde steckte, faltete den Zettel auseinander und begann laut zu lesen.



Can you hold me? ---YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt