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Wieder saß ich wie ein Häufchen Elend auf meinem Sofa.

Vor mir auf dem kleinen Couchtisch standen mein Wasserglas und der unberührte Plastikbeutel, den ich unentwegt anstarrte. Yoongi nahm irgendwann neben mir Platz. 

Er hielt wohl nichts von Abstand, denn er setzte sich gleich wieder so nah zu mir, dass er mein Bein mit dem seinen berührte. Doch diesmal rückte ich nicht von ihm weg.

Ich war mir eigentlich sicher, dass ich es diesmal durchziehen würde. Deshalb brauchte ich seine Nähe, auch wenn sie mich gerade nervöser machte, als ich ohnehin schon war.

"Ich denke, dass das hier am wenigstens weh tun wird. Vielleicht sogar gar nicht", sagte Yoongi und ich sah ihn an. Auch er schaute auf den Beutel und wirkte beinah abwesend. "Vielleicht sogar gar nicht?", hakte ich nach. 

Yoongi holte tief Luft bevor er sprach: "Nun ja, erstmal müssen wir sehen, dass du das Zeug schluckst und dich danach nicht übergibst. Für diesen Fall", sagte er und zeigte kurz auf seinen Rucksack, "habe ich noch mehr dabei. Anfangs wird deine Haut erröten. Du wirst Kopfschmerzen bekommen und dich, wie gesagt, hoffentlich nicht übergeben. Es kann zu Bauchschmerzen, Schwindel, Erregungszuständen und oberflächlicher Atmung kommen. Dein Blutdruck wird stark abfallen, es kommt zu Herzrhythmusstörungen. Vielleicht bekommst du auch Krämpfe aber keine Sorge, du wirst ziemlich schnell bewusstlos werden, da du einen starken Kollaps erleiden wirst. Ach und deine Haut wird sich blau färben."

Entgeistert sah ich ihn nach seinem letzten Satz an. "M-meine Haut färbt sich blau!?", hakte ich nach und Yoongi strich sich kurz durch sein Haar. "Wegen des Sauerstoffmangels", entgegnete er. 

"Scheiße, wo hast du dieses Zeug her?!", wollte ich entsetzt wissen und richtete meinen Blick wieder auf den Beutel. Ich hörte Yoongi schnauben. "Aus der Küche. Das ist Pökelsalz", meinte er und ich war noch fassungsloser. 

"Ich muss sagen, dass hört sich nicht wirklich angenehm an, was du da beschrieben hast", sagte ich und hatte wirklich Angst dieses Teufelszeug zu schlucken. "Nein? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass du begeistert davon sein würdest, immerhin... wirst du nicht bluten", sagte Yoongi und ich atmete tief ein.

"Eigentlich möchte ich ohne Schmerzen sterben. Schlaftabletten wären da sicher wesentlicher angenehmer. Und woher weißt du das eigentlich alles, bist du ein scheiß Arzt oder sowas?", meinte ich und merkte immer mehr, wie sich etwas in mir dagegen sträubte, dieses Pulver zu schlucken.

Yoongi lächelte schwach. "Nein, das bin ich nicht. Ich möchte nur auf das, was mich erwartet, vorbereitet sein."

Nachdenklich blickte ich ihn eine Weile an. Ich hatte niemals darüber nachgedacht, dass mein Tod ihn nun ebenfalls etwas anging und er schließlich derjenige war, der alles, was mit mir passieren könnte bis zum Schluss miterleben würde.

"Hast du Angst?", fragte ich ihn so leise, dass es fast ein Flüstern war. Yoongis Blick ging so tief in mich. Nur zu gern hätte ich gewusst, was in seinem Kopf vorging. Mein eigener Kopf war leer, obwohl ich doch eigentlich an so vieles denken wollte in der Stunde meines Todes.

"Es geht hier nicht um mich, Jaden", erwiderte Yoongi und ich richtete meinen Blick auf den Beutel vor mir. Dann plötzlich nahm Yoongi diesen und öffnete ihn.

"Wie gesagt, ich hab' noch mehr davon dabei. 100 Gramm um genau zu sein. Fangen wir aber erstmal klein an. Du könntest das Zeug auch mit Erkältungssaft für die Nacht runterspülen, wenn du welchen da hast. Darin ist ein leichtes Schlafmittel enthalten", meinte er und hielt mir den offenen Beutel entgegen.

Wie zum Teufel sollte ich auch nur diese kleine Menge runterkriegen? Ich war mir sicher, dass ich mich sofort übergeben müsste. Allein der Gedanke daran bereitete mir Magenschmerzen. 

"Wein!", rief ich plötzlich und Yoongi sah mich fragend an. "I-ich brauche W-wein..", stammelte ich und Yoongi stutzte zunächst. 

"Ja, du hast Recht. Alkohol könnte dafür sorgen, dass es schneller geht", sagte er und lief in Richtung Küche. "Hast du denn welchen da?", rief er mir zu und ich dirigierte ihn zu einem Schrank in dem eine Flasche Rotwein stand.

Yoongi schnappte sich zwei Weingläser und die Flasche und kam dann wieder zu mir zurück. Er blieb vor mir stehen und sah auf mich herab, während ich auf dem Sofa kauerte und meine Arme fest um mich geschlungen hatte.

Ich wusste nicht, wieso sich mein Hals so merkwürdig zuzog, dass es sogar weh tat. Warum ich dieses Bedürfnis danach hatte, zu weinen in diesem Moment, obwohl doch nun endlich passieren würde, was ich mir wünschte.

Zögernd und mit zitternden Händen ergriff ich den Plastikbeutel, doch Yoongi nahm plötzlich meine andere Hand. Ganz langsam und vorsichtig und ich sah mit offenem Mund zu ihm auf. 

"Ich hab eine andere Idee. Komm mit", sagte er und zog mich behutsam hoch. Ich war froh, dass er bei mir war. Ich war froh, dass er mir helfen wollte.

Ich ließ den kleinen Beutel fallen und folgte ihm.

Can you hold me? ---YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt