Zu Hause

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Wir fuhren durch die finstere Nacht. Es ging mir bereits besser. Es tut gut zu wissen, dass es Fortschritte gibt.
"Mit wem hast du vorhin eigentlich Telefoniert", fragt er interessiert. "Um halb drei nachts?" Er grinst.
"Chris und Sullivan haben Nachtdienst. Ich habe jemanden zum quatschen gebraucht, und ich wollte euch nicht wecken", antworte ich.
"Wieviel wissen sie", will er wissen.
"Alles", gab ich zurück. "Ich wollte es ihnen nicht erzählen, aber Sullivan hat erzählt, dass Felix die Notaufnahme bisschen aufgemischt hat."
„Oh Gott, daran habe ich gar nicht gedacht", gab er erschrocken zurück.
„Sie haben ihm nichts gesagt. Sie konnten sich schon denken, dass da was faul ist und haben auf ihre Schweigepflicht plädiert", sage ich.
„Gott sei dank" meint er.
„Er hat einen auf besorgt gemacht", sagte ich verachtend. „Ich wünschte er hätte sich wirklich mal um mich sorgen gemacht. Ich war eigentlich immer alleine in dieser Beziehung"
„Wenn man das Beziehung nennen kann", gibt er zurück.
„Er war nicht immer der Mann, der keinen Respekt vor Frauen hat. Er hat mich am Anfang so in seinen Bann gezogen und dann alles so gedreht, dass ich wirklich dachte es wäre einfach meine Schuld, dass er mich so behandelt", antworte ich nachdenklich.
„Rede dir das bitte nie wieder ein. Du bist eine starke Frau, Sarah. Vielleicht sogar die stärkste die ich je kennenlernen durfte. Du bist niemals Schuld an dem, was dir jemand antut. Du bist jetzt frei. Und du wirst deinen Seelenverwandten treffen, jemanden der dich wirklich will und dich verdient", sagt er sanft und streicht dabei über meinen Oberschenkel.
„Ich kann gar nicht realisieren, dass ich ihm wirklich den Rücken gekehrt habe. Es fühlt sich an wie ein Neuanfang"
„In Grunde gesehen ist es ja auch einer. Mach was draus, Sarah!"
Wir bogen in die Sonnenstraße ein und Clemens parkt sein Auto in der Einfahrt. Er stellt den Motor ab und steigt aus. Wie ein Gentleman hilft er mir aus dem Auto hoch und reicht mir wieder seinen Arm zum einhaken. Dankbar nehme ich an. Er schließt die Tür auf und das erste was wir hörten war das lautstarke schnarchen meines Bruders. Ich musste schmunzeln. Er hatte also unter Garantie nicht gemerkt, dass wir weg waren.
Wir schleichen die Treppe hoch ins Gästezimmer.
Er nimmt mir den Mantel ab und hängt ihn auf die Garderobe. Während ich mich wieder umziehe bereitet er die nächste intravenöse Antibiose und eine Infusion mit Schmerzmittel vor. Ich legte mich wieder ins Bett. Von Müdigkeit war allerdings echt kaum eine Spur. Ich war irgendwie hellwach. Von der Untersuchung, vom Gespräch im Auto, vielleicht auch von dem Kribbeln, dass er mir mit nahezu jedem Wort und jeder Berührung verpasste. Es fühlte sich einfach komisch an. Wie früher, als ich noch keinen gewalttätigen Felix hatte. Aber konnte das sein? So kurz, nachdem ich Felix verlassen hatte? Konnte ich mich so schnell neu verlieben? Oder spielt mir mein Körper nur einen Streich? Die andere Frage war, ob ich je aufgehört habe Clemens zu lieben. Er war mein erster Schwarm. Etwas ganz tief in mir drin hoffte, es würde mein letzter sein.
Ich war in Gedanken verloren als er sich wieder zu mir wendet.
„Wir hängen gleich die neuen Infusionen an, ja?"
Ich erschrak, weil ich so in Gedanken war, nickte aber.
„Alles okay?", fragt er.
„Ich habe nur unglaubliche Angst alleine zu sein. Und allein dazustehen", gebe ich zu.
Sein Blick. Den kann ich gar nicht beschreiben. Es war irgendwas zwischen erstaunen und einem Kopfschütteln und etwas, was ich gar nicht ergründen konnte. Er sagte nur: „Wer könnte dich denn je allein lassen, Sarah?"
„Die wenigsten sind bis jetzt geblieben", antworte ich mit ein paar Tränen in den Augen. Er zieht mich in eine feste Umarmung.
„Wenn du mich lässt", flüstert er, „würde ich gerne bleiben!" Er sieht mir jetzt tief in die Augen. Ich konnte in seinen Augen Leidenschaft aufflackern sehen. Und eine unfassbare Wärme, ich fühlte mich so geborgen. Allein das, was er gerade gesagt hat. Habe ich das richtig gehört? Er will bleiben? Ein ganz warmes Gefühl macht sich in mir breit. Noch immer sehen wir uns nur an, und dann kommen sich unsere Gesichter immer näher und näher, und unsere Lippen vereinten sich in einem innigen Kuss, der all das, wovon ich je geträumt habe, wahr werden lässt.

Vom Pech und der NotaufnahmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt