Geht es los? Teil 2

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Dunkelheit umhüllt mich. Ich höre, wie Menschen auf mich zueilen, wie nach meinem Handgelenk gegriffen wird, wie mir gegen die Wange geklopft wird. Ich werde vorsichtig auf die Seite gedreht. Jemand ruft meinen Namen, dann ruft jemand Clemens. Ich merke, dass es unter mir nass wird. Ich höre Stimmen und sie werden immer lauter und lauter. Nun war der Moment gekommen. Ich reiße schlagartig die Augen auf, zwei besorgte Augenpaare starren mich an. Elena und Clemens. Ich schaue erst sie an, war noch nicht fähig, viel zu sagen. Dann schaue ich an mir herunter. Ich liege in einer riesigen Wasserlache. Verdammt. Meine Fruchtblase muss geplatzt sein. Hoffentlich ist meinem Baby bei dem Sturz nichts passiert. Tausend Gedanken schwirren in meinem Kopf, alle drehen sich um mein Kind, kein einziger um mich. 
"Sarah, schau mich an", sagt Clemens.
Ich schaue ihn mit erschrockenem Blick an, bin kurzatmig.
"Ganz ruhig, Schatz, ich bin da. Wir schauen uns das gleich an"
Mir laufen Tränen über das Gesicht. Er fühlt meinen Puls, rüttelt dann meinen Körper ab, um meine eigenen Verletzungen einschätzen zu können. Ich lasse es einfach geschehen, versuche mich zu sammeln.
"Sarah, tut dir gerade irgendwas weh?", fragt er eindringlich.
Ich stottere erst etwas, weil mich die Situation komplett überfordert.
"I- i- ich wollte zu dir, ich habe Wehen, die immer regelmäßiger kommen, auf der Treppe ist dann mein Kreislauf weggesackt. Außer den Wehen ist nichts", sage ich endlich.
Tränen laufen über mein Gesicht. "Ich habe so Angst, dass ihr was passiert ist."
"Deine Fruchtblase ist geplatzt, keine Ahnung, ob das Auch passiert wäre, wenn du nicht gestürzt wärst. Wir schauen uns das jetzt an, aber diese kleinen Wesen sind robuster als man denkt. Denkst du, du kannst mit mir zusammen aufstehen?"
Ich horche in mich hinein. Dann nicke ich. "Ja, mit etwas Hilfe geht das", antworte ich.
Er hilft mir, mich erstmal hinzusetzen. "Tut mir Leid, dass ich so eine Sauerei veranstaltet habe."
Er muss unwillkürlich etwas lachen. "Mach dir jetzt mal deswegen keine Sorgen, wir schauen jetzt erstmal, dass es dir und unserer Tochter gut geht, und dass wir sie bald gesund hier auf der Welt empfangen."
"Wahrscheinlich hast du Recht", sage ich leise.
"Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit sogar!"
Er hilft mir hoch auf die Beine und wir laufen langsam ins Behandlungszimmer, wo Elena schon dafür gesorgt hat, dass ein CTG im Raum ist. Ich entledige mich direkt meiner komplett durchnässten Hose und lege mich auch gleich hin. Clemens schließt mich gleich ans CTG an, schaut sich gleich alles an.
"Du hast echt schon ordentlich Wehen, atme einfach tief in den Bauch, und veratme so, wie wir es geübt haben", sagt er. "Der Kleinen scheint es soweit gut zu gehen, ich schaue jetzt erstmal nach deinem Muttermund!"
Das beruhigt mich, ich öffne meine Beine und fühle gleich seine behandschuhten Finger. Er schaut überrascht. "Sarah, du musst den ganzen Tag über schon Wehen gehabt haben, wir sind schon bei 8cm"
Ich reiße die Augen weit auf. "Das heißt wir schaffen es nicht mehr..."
"In die Klinik", er vervollständigt meinen Satz. "Das wäre zu riskant, es sei denn du willst unsere Tochter hier irgendwo im Kiez gebären"
"Auf gar keinen Fall, wir bleiben hier", sage ich entschlossen. "Ich hatte den Tag über leichte Wehen, aber dachte es sind normale Übungswehen. Als sie in der Badewanne dann stärker und regelmäßiger wurden, wusste ich, ich muss zu dir."
Clemens bereitet einige Dinge vor, holt Handtücher, sämtliches Untersuchungsbesteck, Klemmen, alles, was man eben für so eine Geburt gebrauchen kann. Dass es bald wirklich komplett losgeht, war mir immer noch schleierhaft. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen und es war echt noch nicht bei mir angekommen.
Clemens kommt nun wieder zu mir, tastet noch meinen Bauch ab, ob das Kind richtig liegt. Bevor es los geht, schallt er auch nochmal den kompletten Bauch, um zu prüfen, ob ich mir beim Sturz Verletzungen zugezogen habe.
"Keine freie Flüssigkeit im Bauch, auch mit dem Baby passt alles!", sagt er zufrieden.
Die nächste Wehe bahnt sich an. Ich muss diese heftige Wehe veratmen, der Druck nach unten ist unglaublich stark. "Clemens, ich glaube ich muss pressen", sage ich. "Darf ich"
Er tastet nochmal und dann nickt er. "Du darfst, der Muttermund ist vollständig geöffnet. Das geht ganz schön schnell", stellt er fest.
Als sich die nächste Wehe anbahnt, presse ich gut nach unten.
"Du machst das sehr gut, Sarah, vergiss nicht zu atmen!"
Ich nehme mir in den Pausen Zeit zum atmen, Elena sitzt inzwischen an meinem Kopfteil, hält mir die Hand und tupft mir die Schweißperlen von der Stirn. Das sollte eigentlich Clemens übernehmen, doch er ist grade zwischen meinen Beinen beschäftigt. Elena und er sind eine tolle Stütze. Es kommt mir vor wie eine endlos lange Zeit, immer wieder presse ich, dann atme ich, dann presse ich, dann atme ich. Der Druck in meinem Unterleib ist so schmerzhaft, doch ich fokussiere mich auf das, was danach kommt, das gibt mir Kraft. 
"Sarah, du hast es gleich geschafft. Sammle deine Kräfte für die nächste Wehe, es könnte dann schon so weit sein!"
Der Gedanke, gleich meine Tochter im Arm halten zu können gibt mir nochmal unglaublich viel Kraft, ich sammle diese Kraft, dann drücke ich bei der nächsten Wehe so stark und ausdauernd ich kann nach unten.
"Noch ein ganz kleines Stück, Sarah", sagt Clemens ermutigend und auch euphorisch. Dann endlich der Moment. Der Druck lässt nach und ein kräftiger Schrei zerreißt die Stille.
"Du hast es geschafft, Sarah"
Clemens schneidet die Nabelschnur durch, legt mir dann unsere Tochter auf die Brust.
"Sieh sie dir an, Sarah. Sie ist einfach perfekt!"
Ich kann meine Freudentränen nicht mehr zurückhalten.
"Hallo Emilia", sage ich unter Tränen.

Vom Pech und der NotaufnahmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt