Bis hier und noch weiter

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Nervosität. Besorgnis. Aufregung. Ich war ein absolutes Nervenbündel. Wir waren noch nicht mal unterwegs. Ich war noch nicht mal angezogen. Und ich war schon kurz vorm durchdrehen. Clemens war gerade im Bad und macht sich fertig. Da war ich schon. Nun bin ich wieder im Schlafzimmer. Ich sitze auf der Bettkante und spiele mit meinen Fingern rum. Ich war nervös und komplett am Ende. Ich achte auf meine Atmung und versuche ruhiger zu werden. Einfach nur einatmen ... und ausatmen ... Felix kann dir nichts anhaben. Frau Kirschbaum wird auch bei dir sein. Und Clemens. Und Nick. Es kann dir nichts passieren.
Ich stehe auf und hinkte zum Kleiderschrank. Ich hatte mir mein Outfit gestern schon zusammengesucht und mit einem Bügel an die Schranktür gehängt. Ich habe eine schwarze Jeans, eine weiße Bluse und einen braunen karierten Blazer ausgesucht. Dazu eine Kette mit goldenem Anhänger. Ich hängte den Bügel über meine Krücke und hinkte zurück zum Bett und begann mich anzuziehen. In meinem Kopf schwirrten 1000 Gedanken. Wie wird das Urteil sein? Ich hatte Angst Angst, Felix wider zu sehen. Was, wenn Sie mir nicht glaubten?
Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht merkte das Clemens wieder da war. Er hatte sich neben mich gesetzt.
„Brauchst du Hilfe?", Fragt er mit seiner sanften Stimme. Ich zuckte zusammen und zog vor Schreck scharf die Luft ein.
„Alles Gut", sagt er. „Ich bin's nur. Wie aufgeregt bist du auf einer Skala von 1-10?" Er lächelt.
„11", antworte ich nur und zog die Hose noch gar nach oben. Ich warf mir den Blazer über und war somit bereit, los zu gehen. Clemens steht auf und reicht mir die Hand. Ich stehe mit seiner Hilfe auf und wir gehen runter.
„Willst du noch was essen?", fragt Clemens. Ich hatte keinen großen Appetit. Ich schüttelte nur den Kopf.
„Nein, danke. Ich glaube ich bekomme gar nichts runter", sage ich entschuldigend.
Er nickt verständnisvoll.
Vielleicht sollten wir gehen, nicht dass wir noch zu spät kommen", sage ich mit nervösem Unterton in der Stimme
„Ich habe mit unseren Kollegen und der Anwältin gesprochen. Wir treffen uns alle vor dem Gericht ", sagt er.
" Gut ", gebe ich zurück und suche noch meine Unterlagen zusammen. Ausweis, Vorladung, ...
Ich packe alles in meinen Rucksack und ziehe ihn auf. Clemens nimmt auch seine Tasche und nimmt den Autoschlüssel. Er öffnet mir die Haustüre und ich humple zum Auto. Er schließt die Haustür ab und öffnet die Autotüren. Ich nehme den Rucksack ab und werfe ihn auf die Rückbank. Ich selbst lasse mich auf den Beifahrersitz sinken. Ich atme nochmal ganz tief durch und versuche mich zu erden, bevor Clemens einsteigt und losfährt. Ich beruhigte mich selbst. Clemens schaltet den Motor ein und fährt aus der Ausfahrt.
"Sarah, das ist der letzte Schritt. Du schaffst das. Du bist stark", ermutigt er mich und legt seine Hand auf meinem Oberschenkel ab.
"Wir schaffen das zusammen", sage ich und lächle leicht. Wir fuhren durch die halbe Stadt, an der Klinik vorbei, an meiner alten Wohnung vorbei. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir das Gericht. Wir suchten einen nahe gelegenen Parkplatz. Bevor wir ausstiegen atmeten wir Beide nochmal tief durch. Er stieg aus und kam auf meine Seite um mir aus dem Auto rauszuhelfen, wofür ich sehr dankbar war mit meinem Gipsbein. Er nahm sich seine Tasche und er trug auch, ganz gentlemanmäßig, meinen Rucksack. Wir gingen langsam vor zum Eingang. Wir nähern uns dem Gericht und als ich sah, wer alles vor dem Eingang auf uns wartete, traf mich ungelogen fast der Schlag. Ich hatte viel Presse erwartet. Die falschen Freunde von Felix. Aber nein. Es war nur ein Journalist da. Und der Rest gehörte zu mir. Ich war überwältigt.Nicht nur Frau Kirschbaum, Steffi, und Kai, die vorgeladen waren, nicht nur mein Bruder Nick, sondern auch Chris, Sullivan, das GESAMTE Personal aus der Notaufnahme, bis auf die, die heute Dienst hatten. Sie waren alle gekommen, um mir den Rücken zu stärken. Ein Paar von den Ärzten waren auch da. Mark, Johannes, selbst Dr. Beer war gekommen.
"Wir haben gedacht, du könntest etwas Rückendeckung brauchen", sagte Sullivan, als sie mich ganz fest umarmte.
"Ihr seid der absolute Wahnsinn. Danke, dass ihr da seid", sage ich mit Tränen in den Augen. Diesmal waren es keine Tränen der Angst. Es waren Tränen der Erleichterung. Tränen der Freude und der Hoffnung. Niemals hatte ich mit so einem wahnsinnigen Zuspruch gerechnet. Dass Sie alle hergekommen waren, um mich zu unterstützen. Doch ich wusste, dass ich hier ein ganzes Dorf von Vertrauten bei mir hatte und dass wir alle Grenzen überwinden konnten.
Mit neuem Mut betreten wir alle das Gerichtsgebäude, vorbei an den Kontrollen und dem Einlass bahnten wir uns unseren Weg zum Gerichtssaal. Frau Kirschbaum bedeuetet dem ganzen Publikum hinten Platz zu nehmen. Mit Steffi, Kai, Clemens und mir nimmt Sie die zweite Tür zum Gerichtssaal. Als sich die Tür öffnet, sehe ich ihn schon auf der Anklagebank. Felix. Er sieht mich mit verachtenden Blick an. Ich persönlich stehe da jetzt drüber und kann nur stolz sagen, wie weit ich es jetzt schon geschafft habe. Bis hier. Und mit den ganzen Menschen, die hinter mir saßen, noch viel weiter.

Vom Pech und der NotaufnahmeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt