Am vierten Tag ging es Cersei schlechter als jemals zuvor, daran wurde er jeden Augenblick erinnert, in dem ihre Schmerzensschreie, ihr Wimmern und Flehen durch die Gänge von Casterlystein hallten.
Wenn er sich im gleichen Flügel aufhielt wie sie konnte er sogar vernehmen nach wem sie schrie.
Nach ihm, ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrer Tante Genna, ihrem Bruder Jaime, sogar nach dem Gnom schien sie ab und an zu flehen, auch wenn es ihm beinahe wie göttliche Ironie vorkam, dass das Opfer nach seinem Mörder flehte, während es kämpfte am Leben zu blieben.
Doch es war das Fieber und nicht Cerseis Naivität und ihr Geschrei zerrte an seinen Nerven, sodass er am Vormittag mit einem tiefen Seufzen das Pergament zur Seite schob, an dem er geschrieben hatte und einem Diener auftrug sein Pferd satteln zu lassen.
Er würde einen Ausritt unternehmen.
Und er würde Jaime mitnehmen.
Sie hatten Jaime vom Bett seiner Schwester fortgeholt, einen tränenüberströmten, kleinen Jungen, der sich nicht einmal im Ansatz zu schämen schien, dass die Männer ihn so sahen.
Ihn, den Erben von Casterlystein, der eines Tages seinem Vater nachfolgen würde.
Lord Tywin schüttelte den Kopf, wann immer Jaime weit genug neben ihm ritt, dass er sehen konnte, dass sein Sohn noch immer weinte, dass seine Augen und Wangen noch immer gerötet waren, obwohl sie zu weit entfernt waren, um Cerseis Schmerzenslaute noch zu hören.
Hier gab es nichts, nichts als die Hufe der Pferde, das Rauschen des Meeres und die angenehme Ruhe der Natur, würde sie nicht immer wieder durch Jaimes Schluchzen zerrissen.
„Ein Lannister weint nicht, wie ein kleines Mädchen, Jaime.", erinnerte er ihn immer wieder und wieder und Jaime nickte und bemühte sich die Tränen im Zaum zu halten, nur um sie Momente später wieder fließen zu lassen und seinen Vater damit in die Verzweiflung zu treiben, auch wenn Lord Tywins Miene weiterhin starr und würdevoll blieb.
Er hatte seinen Sohn doch genau aus diesem Grund auf diesen Ausritt mitgenommen.
Damit er nicht von Cersei gestört wurde, so wie er.
Der Gnom... mochte er tun was er wollte.
Vielleicht waren seine kleinen Ohren gegen die Schreie seiner Schwester weniger empfindlich und wenn nicht, dann betrachtete Tywin es als schlichte Genugtuung.
Schließlich war er für all das verantwortlich.
Doch Jaime sollte nicht noch mehr abgelenkt werden, als er es ohnehin schon war.Es brachte nichts, das bemerkte Lord Tywin schon, kaum dass sie die Mauern von Casterlystein verlassen hatten.
Jaime war so unkonzentriert, dass er mindestens dreimal fast vom Pferd gefallen wäre und wäre sein Weinen nicht schon genug, ritt er nur lustlos und langsamer, als es Tywin lieb war, neben oder hinter ihm und sprach nicht.
Zumindest nicht bis sie zu einem besonderen Feld kamen, an dem es Tywin in den Sinn kam seinem Sohn etwas über die nicht versiegenden Goldminen unter Schloss Casterlystein zu erzählen, die den Reichtum ihrer Familie begründet hatten.
„Vater?", fragte Jaime nach einigen Momenten.
Er unterbrach ihn zwar, doch wenigstens schien er mit seinen Gedanken nicht vollkommen am Bett seiner Schwester zu hängen.
„Ja, Jaime?"
„Ersticken ist dem Ertrinken sehr ähnlich, nicht wahr?"
„So könnte man es sehen, Jaime!", erwiderte Tywin ruhig, unsicher in welche Richtung dieses Gespräch sich wenden würde.
Doch lieber diskutierte er mit Jaime Hinrichtungsmethoden, als...
„Die... die Reynes von Castamaer... sie ertranken in ihren Katakomben, als du sie hast überfluten lassen, nicht wahr?"
„Ja, das ist richtig, Jaime!", erwiderte er und trotz der seltsamen Situation, in der Jaime ihm diese Frage stellte musste er zugeben, dass sein Sohn wenigstens die Geschichte der seines Hauses aufmerksam studiert hatte.
Ein schwacher Trost.
Dennoch ein Trost.
„Denkst du, Vater... denkst du dass es deine Schuld ist? Denkst du es ist deine Schuld wenn Cersei jetzt erstickt, weil du die Reynes damals hast ertrinken lassen?"
Lord Tywin Lannister, für gewöhnlich der würdevolle Fels, auf dem Casterlystein und der Ruf des Hauses Lannister errichtet waren, versetzte seinem Sohn eine solche Ohrfeige, dass Jaime vom Pferd fiel und auf dem schlammigen Boden landete.***
„Cersei, es reicht!"
Es war mitten in der Nacht, doch er hatte genug.
Der Tag war nervenzehrend gewesen.
Er hatte sich kaum konzentrieren können und jetzt, da er für eine Stunde Ruhe gehabt hatte, hatte Cersei anscheinend einen neuen Plan ausgedungen ihn final in den Wahnsinn zu treiben, nachdem schon die Blicke seiner Söhne beim Abendessen Klingen gewesen zu sein schienen.
„Vater..."
Ihre Stimme war leise, doch immerhin schien sie klar zu sein.
Klar genug zumindest, um mit ihm zu sprechen, vielleicht auch klar genug, um ihren Atem aus Kalkül so Rasseln zu lassen, dass man es durch die Gänge hindurch bis in sein Solar hören konnte.
„Cersei, das muss jetzt aufhören!", erklärte er ihr, wenn auch etwas ruhiger geworden, als er sah wie matt Cersei in ihren Kissen lag.
Blut tropfte aus ihrem Mundwinkel, ihr Gesicht war so blass, dass es sich kaum von dem Kissen abhob und in ihren vom Weinen geröteten Augen lag ein stummen Flehen, mit dem sie ihn anblickte, als wollte sie ihn um irgendetwas bitten.
„Vater...", hauchte sie, unterbrochen von einem unschönen Rasseln ihres Atems.
„Cersei, du störst deine Brüder beim Schlafen und ich habe den ganzen Tag..."
„Mach, dass es aufhört, Vater!"
Cerseis Stimme war leise, doch sie war fest.
Und ruhig.
So ruhig wie die Stimme eines schwerkranken Mädchens sein konnte, doch vergleichsweise ruhig.
„Cersei..."
„Ich kann nicht mehr, Vater! Es..."
„Unterbrich nicht. Ich wollte sagen..."
„Es geht nicht mehr, Vater!"
Sie wimmerte leise, versuchte eine Hand nach ihm auszustrecken, hustete dann wieder, hob die Hand matt , um sie auf ihren Hals zu legen, um den sie noch immer den Schal ihres Bruders trug, auch wenn dieser inzwischen einige unschöne Blutflecken aufwies, wie Tywin nicht verborgen blieb.
„Cersei!"
Er ließ sich in den Stuhl neben ihrem Bett sinken, ein tiefes Seufzen auf den Lippen.
Es war zu spät, um große Diskussionen über große Themen zu führen und abgesehen davon gedachte er nicht mit seiner zwölfjährigen Tochter, die nie in ihrem Leben erfahren hatte, was der Tod wirklich bedeutet über Leben und Sterben zu diskutieren.
„Du wirst nicht sterben, Cersei.", erklärte er ihr stattdessen. „Ich versichere dir, dass du nicht sterben wirst."
„Aber..."
„Widersprich nicht, Cersei!", knurrte er leise, doch Cersei blickte ihn weiterhin an, die Augen fest in seine gerichtet.
„Vater, bitte versteh doch...", stöhnte sie, jedes Wort unterbrochen von einem weiteren, qualvollen Atemzug.
„Untersteh dich, Cersei, dich anzumaßen mir die Welt erklären zu wollen."
Lord Tywins Stimme war ruhig, natürlich war sie ruhig, doch es war die Stimme, mit der er Cersei bisher noch immer zum Schweigen gebracht hatte.
Bisher.
„Aber es tut weh, Vater!"
„Dann trink... das wird es besser machen!"
Vorsichtig griff er nach dem Glas, hob es Cersei an die Lippen und ließ sie kleine Schlucke trinken.
Sie schluckte.
Protestlos, wenn auch mit einem Ausdruck im Gesicht als hätte er ihr Säure zu trinken gegeben.
„Und was möchtest du mir sagen, Cersei?", fragte er, nachdem er das Glas wieder auf das golden schimmernde Tablett auf Cerseis Nachttisch abgestellt hatte.
Er erwartete, dass Cersei zumindest etwas umgänglicher war.
„Kannst du mich loslassen, Vater?"
„Cersei, ich halte dich nicht fest!"
Er hob seine Hände wie zum Beweis, doch Cersei schüttelte nur matt den Kopf.
„Ich meinte... anders...!"
Sie zögerte, doch dieses Mal mühte Lord Tywin sich nicht damit ab ihr zu erklären, dass er Antworten in ganzen Sätzen von ihr erwartete.
Er schüttelte nur den Kopf.
„Du wirst eines Tages Königin sein, Cersei!", erklärte er leise. „Andere Mädchen würden töten für eine solche Ehre und du wirfst alles was dir gegeben ist fort, um...!"
„Um zu sterben?"
Cersei blickte ihn an und ihr Blick traf ihn, schien sich durch seine Brust zu bohren und etwas zu treffen, das er seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Cersei sprach es mit einer derartigen Akzeptanz aus, dass es ihm vorkam, als hätte sie aufgegeben.
Doch sie war eine Lannister.
Und Lannisters ergaben sich nicht einfach.
Keinem Feind.
Keinen Göttern.
Keiner noch so kraftvollen anderen Macht.
„Du wirst nicht sterben, Cersei!", wiederholte er noch einmal. „Du bist eine Lannister! Eine Lannister stirbt nicht einfach!"
„Aber ich kann nicht mehr, Vater.", wimmerte Cersei, während Tränen über ihre Wangen liefen. „Bitte! Bitte mach dass es aufhört!"
„Du wirst Königin sein, Cersei."
Er wusste, dass es Cersei wieder zur Vernunft bringen, ihre kindliche Sturheit zu brechen.
Cersei hatte immer eine Königin sein wollen.
Sie hatte immer Rhaegars Königin sein wollen und jetzt, da sie erblüht war, da sie im Aussehen ihrer verstorbenenen Mutter beinahe vollkommen glich...
„Ich will nicht Königin sein, Vater!", wimmerte sie leise.
„Du wirst Rhaegar..."
„Ich will Rhaegar aber nicht!", stöhnte sie.
"Eines Tages wird dir ganz Westeros zu Füßen..."
"Ich will Westeros aber nicht!", schrie Cersei ihm entgegen.
Zumindest glaubte er, dass dieses widerwärtige Röcheln ein Pendant zum Schreien darstellen sollte.
„Bitte Vater... bitte!"
„Schweig, Cersei!", befahl er ihr leise, doch dieses Mal gehorchte Cersei nicht.
„Bitte... bitte lass mich gehen, Vater! Ich... ich kann das nicht mehr! Ich will nicht! Bitte!"
„Genug jetzt, Cersei!"; brüllte er sie an. „Du erniedrigst dich und du erniedrigst dein Haus und ich lasse nicht zu...!"

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To defeat a Lion
FanfictionWährend seine 12-jährige Tochter Cersei im Fieber liegt, verbringt ihr Vater Tywin Lannister 5 Nächte - mehr oder weniger freiwillig- an ihrer Seite. Und macht die für einen Lannister untypische Erfahrung, dass sich mit einem bekannten Namen, mit...