Epilog

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Lady Cersei Lannister, erstgeborenes Kind und einzige Tochter von Lord Tywin Lannister, oberster Lord der Westlande, Wächter des Westens, Schild von Lannisport und Hand seiner Majestät König Aerys des Zweiten, die wunderschöne goldene Löwin von Casterlystein, Tochter der reichsten und mächtigsten Familie der sieben Königslande, erhielt ein Begräbnis wie es einer Königin zugekommen wäre.
Wie der Königin, die sie eines Tages gewesen wäre, hätte das schreckliche Fieber sie nicht so schnell und plötzlich dahingerafft.
Lord Tywin blickte sie an, seine in kostbares Rot und reinstes Gold gekleidete Tochter, die in der Septe von Casterlystein aufgebahrt lag, bewacht von ihrem Bruder, der kaum von ihrer Seite wich.
Sie war schön, wunderschön, ähnelte auf makabere Weise seiner Joanna.
Schön, strahlend, loyal.
Kalt, tot, friedlich.

„Jaime...", setzte er an, wollte seinen Sohn daran erinnern, dass es gewisse Pflichten für ihn zu tun gab, doch Jaime rührte sich nicht, beugte sich nur noch einmal über Cerseis blasses Gesicht, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu hauchen, bevor er sich wieder aufrichtete und sie anblickte wie man ein Kunstwerk ansah.
Einen Schatz.
Etwas, das einem wirklich am Herzen gelegen hatte.
Er konnte es ihm nicht verübeln, deswegen wies er ihn nicht zurecht.
Auch er hatte mit Cersei eines seiner wichtigsten Güter verloren, etwas Wertvolleres, als alles Gold in den Minen von Casterlystein, wenn er nur die Zeit gehabt hätte sie zu einer anständigen Königin zu schleifen.
„Vater?"
Zum ersten Mal seit den drei Tagen, die Cersei nun tot war und er an ihrer Leiche wachte, hob Jaime den Blick, um seinem Vater mit tränenüberströmten Wangen anzusehen.
„Hör auf zu weinen, Jaime.", murmelte Lord Tywin kurz angebunden.
Es waren die Worte, die er schon seit drei Tagen zu seinem Sohn sagte und trotz aller Drohungen, trotz aller Angebote und Ermahnungen und Strafen hatte er nicht aufgehört.
„Sie ist meine Schwester, Vater.", flüsterte Jaime.
Er würde die Stimme nicht neben der Leiche seiner Schwester erheben, als hätte er Angst sie aus ihrem ewigen Schlaf zu wecken, das wusste Tywin, auch wenn er über diese Torheit den Kopf schüttelte.
„Sie war deine Schwester, Jaime!", erinnerte er seinen Sohn mit einem kurzen Nicken in Richtung von Cerseis in Gold gekleideten und mit Schmuck behängten toten Körper.
„Doch jetzt ist sie tot und das öffnet uns gewisse Möglichkeiten. Die Prinzessin von Dorne hat uns ein Beileidsschreiben zugesandt, in dem ein Brief von Prinzessin Elia Martell für dich beigelegt war."
„Prinzessin Elia..." Jaime blickte ihn an, als wüsste er nicht einmal mehr, was Dorne überhaupt war.
„Anscheinend verzeihen sie uns die Schmach die wir ihnen damals angetan haben.", erklärte Tywin seinen Sohn kurz, auch wenn ihm auffiel, wie Jaime wieder zu seiner Schwester getreten war und seine Hand auf ihre gelegt hatte.
„Und deswegen wirst du Prinzessin Elia noch heute auf ihren Brief antworten. Leg ihn mir vor, wenn du fertig bist!"
„Vater, ich..."
„Jetzt da ich keine Tochter mehr habe, um sie mit seinem Sohn zu verheiraten wird König Aerys sich zwangsweise nach anderen Bräuten umsehen.", erklärte er Jaime, über dessen Widerspruch er mit der gewohnten Gleichgültigkeit hinweggegangen war, mit denen er seinen Kindern begegnete, wenn diese seinen Entscheidungen widersprachen.
„Und das Haus Martell von Dorne ist die naheliegendste Wahl. Dorne wurde noch nie militärisch erobert, sie haben eine sehr gute Armee, eine ausgezeichnete Flotte und wenn einem das Glück gewogen ist, dann bringt man durch eine Ehe mit einer Tochter von Dorne irgendwann auch das ganze Fürstentum in den Schoß der Familie ein."
„Und deswegen soll ich ihr schreiben, Vater? Dass König Aerys...?"
„Nein, Jaime.", seufzte Tywin, enttäucht von der Gedankenlosigkeit, die sein Sohn an den Tag legte. „Du wirst Prinzessin Elia umwerben und dafür sorgen, dass wir das Haus Lannister mit dem Haus Martell verbinden können ehe seine Majestät uns zuvorkommt. Du wirst Prinzessin Elia heiraten, wie es der Wunsch deiner seligen Mutter war und eure Kinder werden gemeinsam über Casterlystein..."
„Ich möchte sie nicht heiraten, Vater!"

Jaimes Stimme war hart und als Tywin ihn anblickte senkte er seine Augen nicht.
Seine Finger schlossen sich nur ein wenig fester um die tote, kalte Hand seiner aufgebahrten Schwester.
„Mein Sohn, du wirst..."
„Ich... ich werde eines Tages in die Königsgarde eintreten, Vater!", erwiderte Jaime. Seine Stimme zitterte, doch sein Blick war entschlossener, als Tywin ihn jemals gesehen hatte.
„Ich möchte nicht heiraten und ich möchte auch nicht Casterlystein erben! Ich trete der Königsgarde bei und wenn König Aerys sich weigert, dann gehe ich zur Mauer und... "
„Über solch einen Unsinn diskutiere ich nicht mir dir, Jaime!", erwiderte Lord Tywin drohend. „Schon gar nicht neben dem Leichnam deiner Schwester, deren Opfer du mit Füßen trittst, wenn du wirklich glaubst es sei in ihrem Interesse, dass du deine Familie derart demütigst."
"Es ist eine Ehre in der Königsgarde zu dienen!", erwiderte Jaime ruhig, die Augen zu Schlitzen verengt. "Und eine noch größere Ehre ist es der Nachtwache beizutreten!"
Tywin holte tief Luft, um seinem Sohn all die Punkte aufzuzählen, in denen er sich irrte, doch er schüttelte den Kopf, als er sah, dass Jaime schon wieder begonnen hatte Tränen zu vergießen.
Es war nicht der richtige Zeitpunkt und schon gar nicht der richtige Ort, um über die Flausen zu diskutieren, die wer auch immer seinem Sohn in den Kopf gesetzt hatte.
Seine Schwester mochte tot sein, aber nur ein Narr würde deswegen in Trauer versinken, für immer alle seine Besitzansprüche auf das reiche Erbe seiner Familie abtreten und sich einem zölibatären Leben verschreiben, ihn ohne einen würdigen Nachfolger zurücklassen.
Allein eine solche Idee zu haben kam allenfalls einem trauernden Ehemann zu und selbst diesen hätte er ob seiner Dummheit verachtet!
Was wollte er dann zu Jaime sagen, der nichts weiter war, als Cerseis Bruder und sich dennoch gebärdete, wie ein liebeskranker Narr, der glaubte seine verstorbene Geliebte sei alles gewesen, was er auf der Welt gehabt hatte?

„Ich erwarte deinen Brief heute Abend.", verkündete er stattdessen und deutete Jaime den Weg aus der Septe, doch sein Sohn schüttelte nur den Kopf.
„Ich möchte noch ein wenig hier bleiben, Vater!", flüsterte er, auch wenn seine Stimme durch den Hall verstärkt wurde.
Sie war wieder zu dem üblichen weinerlichen Tonfall verkommen.
„Wozu? Sie wird nicht wieder lebendig, wenn...!"
„Ich möchte beten, dass die Götter ihrer Seele gnädig sind!", erwiderte Jaime kurz, bevor er sich wieder abwandte, den Blick auf Cersei richtete.
„Die Götter, Jaime, sind nicht gnädig! Deswegen sind sie Götter! Wären sie gnädig, dann hätten sie mir deine Mutter und deine Schwester gelassen!"
„Ich weiß!", murmelte Jaime leise, bevor er wieder den Kopf senkte, sein Gesicht in Cerseis Hand presste und leise zu schluchzen begann.
„Wir alle werden eines Tages tot sein, Jaime!", setzte Tywin ruhig an. „Ich werde tot sein, du und dein Bruder und alle eure Kinder und Enkel. Was weiterlebt ist der Name der Familie. Alles was jemals die Zeiten überdauert sind Namen. Kein Ruhm, keine Ehre, selbst die Siege in großen Schlachten werdem vergessen werden. Was übrig bleibt, Jaime..."
„Was bringt das noch?", erwiderte Jaime leise, noch immer über Cersei gebeugt, sodass es für einen Moment schien, als spräche er zu ihr. „Was kümmert es uns ob unser Name die Jahrhunderte überdauert? Wir sind tot. Wir werden nicht wissen ob es in 100 Jahren oder in 1000 noch Lannisters gibt und wenn es sie gibt, dann wird es uns nicht kümmern. Also was bedeutet es uns jetzt die Dynastie zu erschaffen, die du dir wünschst?"
Für einen Moment starrten sie sich an, Vater und Sohn, die gleichen grünen Augen, die einander trafen.
„Alles, Jaime!", erwiderte Lord Tywin ihm ruhig. „Alles!"
„Nichts, Vater!", murmelte Jaime leise, den Blick mit aller Kraft auf die bemalten Steine gerichtet, die auf den Augen seiner Schwester lagen, seine Hand um ihre geklammert. 
„Nichts, was noch zählt!"

Der Gnom lief ihm über den Weg, als er die Septe verließ und ohne ein Wort zu sagen griff Tywin ihn an der Schulter und zerrte ihn zurück nach draußen.
„Ich möchte mich von meiner Schwester verabschieden!", erklärte der Gnom, doch Tywin reagierte nicht.
Die letzten drei Tage lang hatte er nicht nicht mit ihm gesprochen und er gedachte auch nicht wieder damit anzufangen, ihm noch einmal in allen Einzelheiten zu erklären, dass er sein Recht um seine Schwester zu trauern damit verwirkt hatte, dass er sie umgebracht hatte, ihn zum zweiten Mal eines seiner goldenen Mädchen beraubt hatte, ihm eine zweite Joanna genommen hatte, ein wunderschönes, loyales Ding, dessen Söhne eines Tages ihrem Vater auf den Thron der Sieben Königslande gefolgt wären.
Er hätte eine Dynastie gründen können, hätte der Gnom ihm nicht alles genommen, was er dazu gebraucht hatte, erst seine Frau, dann seine Tochter und sollte Jaime sich nicht von dieser Idee abbringen lassen der Königsgarde oder schlimmer noch der Nachtwache beizutreten auch noch seinen Sohn und Erben.
„Es ist ein neues Kondolenzschreiben eingetroffen, Vater. Mehrere sogar! Die Starks von Winterfell sprechen dir ihr Beileid aus zum..."
Tywin ging schneller, so schnell, dass er wusste, dass der Gnom, der noch nie gut zu Fuß gewesen war, ihm schlecht folgen konnte.
Doch zu seinem Erstaunen hielt Tyrion, wenn auch rennend und keuchend, mit ihm Schritt, fand sogar noch den Atem, ihm etwas entgegenzubrüllen.
Den Atem, den er seiner Schwester geraubt hatte.

„Du schreibst ihnen zurück, dass ihr Tod so plötzlich gekommen wäre! Aber hattest du nicht genügend Zeit? Hast du sie nicht fünf Tage lang sterben sehen ohne es begreifen zu wollen?"

„Es reicht jetzt!", brüllte Tywin seinem Sohn entgegen.
Er war stehen geblieben, starrte Tyrion wütend an, so wütend, dass er nicht übel Lust hätte...
Er tat es nicht.
Was auch immer er hatte tun wollen, er tat es nicht, sondern schloss die Tür hinter sich, ließ Tyrion auf dem Hof stehen, während er sich in die Gänge seines Schlosses zurückzog, in sein Solar, zu seinen Dokumenten und der Tinte und der Ruhe, die er sich dort erhoffte, der Ablenkung von dem Brennen in seinen Augen und der Müdigkeit, die wie Blei auf seinen Lidern zu lasten schien.
Er hatte zu tun.
Schließlich war er Herr von Casterlystein, Wächter des Westens und Hand seiner Majestät, König Aerys II, der mächtigste Mann in Westeros und er hatte diesen Posten kaum bekommen, weil er den Launen seiner Kinder nachgab.

To defeat a LionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt