Erste Nacht

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„Vater?"
„Schlaf weiter, Cersei!"
Es hatte Tywin Lannister überrascht, dass Cersei die Augen öffnete und ihn anblickte, doch er war nicht erschrocken.
Erschrecken, sich erschrecken zu lassen von einer so simplen Geste gehörte sich nicht für einen Lannister.

„Vater?"
Er meinte etwas in Cerseis Augen zu erkennen, ein Funkeln, das schmerzhafte Erinnerungen in ihm wachrief, doch es war ein Leichtes sie zu unterdrücken.
Zumindest redete er sich das ein.
Es ist nicht Joanna!
Cersei war nicht ihre Mutter.
Cersei hatte sich nicht qualvolle Stunden lang abgemüht ein missgebildetes Scheusal auf die Welt zu bringen und war dabei ausgeblutet wie aufgehängte Jagdbeute.

„Vater?"
„Möchtest du etwas trinken?"
Cersei nickte nicht, dennoch reichte er ihr den gefüllten Kristallkelch, der auf dem Tablett neben dem Bett stand.
Er hatte angeordnet sie hierher zu bringen, hatte gewusst, dass der Eitelkeit seiner Tochter damit mehr als Genüge getan war.
„Vater, ich..."
Cersei hustete, schien ihn für einen Moment mit einem Blick zu mustern, den er nur allzu gut kannte, einem Blick, dem man am besten mit Strenge begegnete, um den Widerspruch zu unterdrücken, der ihr schon auf den Lippen lag.
Doch Cersei sprach nicht.
Stattdessen griff sie mit einer kleinen, zitternden Hand nach dem Kelch,  um ihn an ihre Lippen zu führen.
„Eine Lannister, Cersei,...", setzte er an, wollte sie daran erinnern dieses erniedrigende Geschwächel, das sie ihm vorspielte sein zu lassen.
Es war unwürdig.
Ihres Namens unwürdig.
Ihrer Familie unwürdig.
Doch Cersei hob nur mühsam den Kopf, setzte den Kristall an ihre Lippen, trank, schluckte und streckte ihm den Kelch dann wieder entgegen.
Es hätte ihn nicht gekümmert, wenn nicht jede Bewegung langsam gewesen wäre, beschwerlich, qualvoll anstrengend für seine Tochter.

„Wie geht es dir, Cersei?", fragte er, bemüht sie dennoch mit einem Hauch von Strenge in der Stimme auf ihre Verfehlung hinzuweisen.
„Gut, Vater!"
Cersei blickte ihn an, setzte ein Lächeln auf die blassen Lippen, auch wenn es ihre noch immer fiebrig glänzenden Augen nicht erreichte, die starr in seine Richtung starrten.
„Cersei", hob er seine Stimme sie zu tadeln.
Sie war immerhin eine junge Dame und sollte wissen, dass man auf Fragen mit ganzen Sätzen antwortete.
„Es... es geht mir...!"
Ein Hustenanfall unterbrach ihre Worte, ein schrecklicher Husten, der minutenlang anzuhalten und Cersei kaum zu Atem kommen zu lassen schien.

„Du hättest dich aufsetzen müssen, Cersei!"
Tywins Stimme war ruhig, schien durch die nächtliche Stille des Raumes zu hallen wie der Klang der Glocken der Septe von Casterlystein, die er mehr verabscheute als alles andere, seit sie Joannas Grabgeläut gewesen waren.
Seither schien es ihm, als läuteten sie nichts weiter, als den Tod.
„Hilft das?"
Cersei keuchte ein wenig, noch immer zurückgesunken in ihr Kissen, und blickte ihn aus großen Augen an.
Ein kleines Kind, das zum ersten Mal ein Pferd sah.
Ein Bauerntölpel, dem eine seiner roten Standarten in den Blick kam.
Gewöhnlich.
Erbärmlich.
„Es hilft!", erwiderte Tywin kurz, einen prüfenden Blick in die Augen seiner Tochter gerichtet, in der Hoffnung, dass sie begreifen würde, wie sehr sie sich vor ihm, ihrem eigenen Vater, erniedrigte.
Es gelang nicht.

Cersei starrte ihn noch immer kuhäugig an, noch immer blass und müde.
'Sie ist krank!', rief er sich ins Gedächtnis.
Wenigstens in diesem einen Punkt hatte dieser Scharlatan Creylen recht gehabt, auch wenn Tywin dafür keinen Maester gebraucht hätte.
Doch dass sie sterben sollte, noch in dieser Nacht, wie der Maester ihm mit erstickter Stimme verkündet hatte, war ausgemachter Unsinn!
Davon hatte er sich soeben höchst selbst überzeugt und beinahe dauerte es ihn, dass er seinen Schreibtisch verlassen hatte, einer jämmerlichen Angst folgend, die sich obendrein noch als haltlos herausgestellt hatte.

Schließlich war er Herr von Casterlystein, Wächter des Westens und Hand seiner Majestät, König Aerys II., der mächtigste Mann in Westeros und er hatte diesen Posten kaum bekommen, weil er den Launen seiner Kinder nachgab und nächtelang am Bett seiner Tochter saß, wenn sie sich ein wenig unwohl fühlte!
„Deine Septa wird morgen früh wieder hier sein, Cersei! Bis dahin solltest du schlafen!"
„Vater?"
Er hatte aufstehen wollen, doch Cerseis leise, belegte Stimme hielt ihn zurück.
Ohne zu wissen wieso wandte er sich um, blickte auf sein 12 Jahre altes Mädchen, eine Frau seit anderthalb Monaten, wenn man nach den alten Bräuchen ging, das dennoch so matt und kraftlos in den Kissen lag, wie ein erschöpftes, kleines Kind.
„Geh nicht!", flüsterte sie leise, die glasigen Augen noch immer aufgerissen.

„Cersei!", setzte Lord Tywin hart an.
Seine Tochter war nun wirklich zu alt, um Angst vor der Dunkelheit zu haben oder vor den Geräuschen des Windes, der um die Burg strich oder dem Rauschen des Meeres vor ihrem Fenster!
Sie mochte ein Mädchen sein, doch genauso war sie eine Lannister und er hatte noch nie auch nur von einer Lannister in ihrem Alter gehört, die sich vor Wind oder Dunkelheit ängstigte!
„Geh nicht, Vater! Ich... ich...!"
Sie hustete wieder, schien noch tiefer in ihrem Kissen zu versinken und er wusste, was sie hatte sagen wollen.
Sie hatte Angst.
Angst, obwohl es nichts gab, wovor sie Angst haben musste.
Außer vielleicht...
Nur vielleicht.
Entgegen allem, wovon er sich mit seinen eigenen Augen hatte überzeugen können.
Entgegen jeglicher Logik, jeglicher Taktik, jeglicher Planung seinerseits.

„Geh nicht!"
Er meinte etwas Rotes an ihrem Mund zu sehen, doch innerhalb eines Augenblickes war es wieder verschwunden und er schimpfte sich einen Narren.
Die Nacht war zu tief und er war den ganzen Tag und die letzte Nacht aufgewesen, vielleicht war er langsam zu müde, um seinen Augen noch trauen zu können.
„Geh nicht, Vater! Sag etwas!", wimmerte Cersei leise, die Augenlider gesenkt, als kämpfte sie gegen den Schlaf an.
„Du solltest schlafen, anstatt dich unterhalten zu wollen!"
„Irgendetwas Vater, bitte!"
Er wusste nicht was ihn hielt, doch irgendetwas in Cerseis Augen weckte Erinnerungen in ihm.
Erinnerungen an Joanna.
Erinnerungen an eine Zeit, in der der Gnom ihm noch nicht das genommen hatte, was er am meisten geliebt hatte, eine Zeit, an die er nur ungern zurückdachte, wenn er ehrlich war.

„Ich habe eine Partie für dich ins Auge gefasst, Cersei!", begann er langsam.
Es war nicht recht seiner Tochter so etwas zu erzählen, noch weniger bevor er Antwort erhalten hatte, doch Cersei war müde und fieberte, sie würde sich am nächsten Tag vermutlich an nichts mehr erinnern.
Und nicht zuletzt wusste er, dass nichts Cerseis Ängste, Unruhe und unangemessene Anhänglichkeit mehr mildern konnte, als die Befriedigung ihrer natürlichen Eitelkeit.
„Du wirst Prinz Rhaegar heiraten!"
„Prinz Rhaegar?"
Ein Leuchten in Cerseis Augen.
Ein unverkennbares Leuchten.
Selbstverständlich war dieses Leuchten vollkommen ohne Bedeutung für seine Pläne, die er schließlich nicht gemacht hatte, um Cersei zufriedenzustellen.
Sie würde denn Mann heiraten, den er ihr auswählte, ob es ihr gefiel oder nicht, so wie jede folgsame Tochter es zu tun hatte.
Dennoch ahnte er, dass Cersei zufrieden sein würde.
Ebenso wie Prinz Rhaegar; wie könnte es auch anders sein, mit der Ehre eine Lannister-Braut an seiner Seite zu haben, die schönste Frau der Sieben Königslande, Tochter der reichsten und mächtigsten Familie von Westeros?
Niemand würde es auch nur wagen seine goldene Tochter abzuweisen, mit ihren langen, goldenen Haaren, wenn sie einmal nicht mehr verklebt in ihrem Nacken hingen, ihren strahlenden Augen, wenn sie nicht mehr starr vom Fieber waren und, so er Glück hatte, dem Körper seiner geliebten Joanna, wenn Cersei sich von ihrer Krankheit erholen würde, die sie in kürzester Zeit hatte abmagern lassen.
Natürlich würde er zufrieden sein.
Wie sollte man mit einer Lannister, mit seiner Tochter, auch nicht zufrieden sein können?

„Und du wirst selbstverständlich Königin von Westeros sein, in ein paar Jahren!", erklärte er knapp, während er dabei zusah wie Cersei mit einem Lächeln die Augen schloss.
„Ich werde dich in die Hauptstadt mitnehmen, wenn du wieder gesund bist! Dich und deinen Bruder!"
Er nickte zufrieden.
Nicht dass Jaime schon alt genug wäre, doch es wäre eine gute Idee den Keim einer Verbindung zwischen ihm und Lysa Tully zu legen und eines Tages würde er Herr von Casterlystein sein und Cerseis Kinder würden ihrem Mann auf dem Eisernen Thron folgen.

Er sah Cersei noch einige Augenblicke an, auch als sie schon eingeschlafen war, dachte an seine Pläne und wie seine Kinder und Erben sie erfüllen würden, an die Schritte, die er einleiten musste, kaum dass sie wieder gesund genug war, dass sie ihre Zimmer verlassen konnte.
Gedanklich war er bei den Schriftstücken in seinem Solar, die er vollenden und versiegeln musste, als ein seltsames Röcheln erklang, ein lautes, widerwärtiges Geräusch, das dem Keuchen eines Mannes ähnelte, der auf dem Schlachtfeld an seinem eigenen Blut erstickte.
Doch es verstummte so schnell wieder, wie es erklungen war und so verschwendete er keine weitere Zeit sich ihm zu widmen, während er aufstand und den Raum verließ ohne zurückzublicken.

To defeat a LionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt