𝐍𝐮𝐫 𝐍𝐚𝐫𝐫𝐞𝐧 𝐥𝐚𝐬𝐬𝐞𝐧 𝐒𝐤𝐥𝐚𝐯𝐞𝐧 𝐟𝐫𝐞𝐢.
So lautet das bekannteste Sprichwort in Tel'Narae, in dem Sklaverei zum Alltag der Bürger und zum Schicksal der Unfreien gehört. Es ist eine barbarische Welt, regiert von Stahl und in der Han...
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Als sie die Augen aufschlug, war es hell.
Ihre Hände ertasteten das weiche Schafsfell, auf dem sie eingeschlafen war. Mit einem Blick zum Türspalt überprüfte sie, ob sich im Wohnzimmer etwas bewegte, aber nein. Das Mädchen horchte auf. Sie hörte ein leises, sanftes Atmen über ihr auf der Matratze und realisierte langsam, wo sie sich befand. Nicht in Atraklin, und eine Prinzessin war sie auch nicht mehr. Sie lag, wie die Götter sie schufen, am Boden eines Schlafzimmers, mit einem frischen Brandmal auf dem Schenkel und einem goldenen Reif um ihrem Hals.
Es kostete all ihre Überwindung, vorsichtig ihren Kopf zu heben und über das Bett zu spähen. Erleichterung machte sich in ihr breit. Er schlief. Und wie er schlief. Sie kam sich wie eine Spannerin vor, konnte ihren Blick jedoch auch nicht abwenden. Eine dünne, weiße Lakendecke bedeckte die untere Hälfte seines Körpers, ein Arm ruhte über seinem Kopf.
Das war ihre Chance. Sie musste aufstehen, und zwar ohne dass er aufwachte. Das würde ihr einige Unannehmlichkeiten ersparen. Mit angehaltenem Atem erhob sie sich so leise wie möglich auf und blieb neben dem Bett stehen. Seine bronzene Haut schimmerte im fahlen Licht der Morgensonne mattgolden; das Brusthaar mündete in einer dunklen Linie, die über den flachen Bauch verlief und wie ein Richtungspfeil unter der Decke verschwand. Die Brust des Schlafenden hob und senkte sich rhythmisch, er schlief tief und entspannt.
Der Göttin des Glücks sei Dank.
Ohne den Schlafenden aus den Augen zu lassen, drehte sie sich um und stahl sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Der erste Weg sollte sie eigentlich in die Küche führen. Seine Worte gestern Abend waren deutlich gewesen, sie hatte ihm sein Frühstück herzurichten, und sie hatte nicht vor, seine Nerven noch einmal zu strapazieren. Trotzdem war die Haustüre das erste, was sie ansteuerte. Vorsichtig versuchte sie, die Klinke hinunterzudrücken, zog an der Tür – sie blieb verschlossen. Wahrscheinlich hatte er sie nicht ihretwegen verschlossen, sondern wegen skrupellosen Einbrechern und Kriminellen, von denen es in Tel'Narae bestimmt haufenweise gab. Denn wenn sie sich umsah, bemerkte sie nicht nur, dass die Fenster leicht von innen zu öffnen waren, sondern auch der Schlüssel, der auf einer niederen Kommode lag. Er hatte keine Sorgen, dass sie ihm weglief, weil er ebenso wie sie wusste, dass sie nicht weit kam.
Du kannst nirgends hin, jagte ihr das gestrige Geständnis durch den Kopf, und als sie an ein Fenster trat und einen Blick auf die leeren Straßen hinaus warf, schien es ihr wahrer denn je.
Es machte keinen Unterschied, ob die Stadtwachen von Ephis sie noch vor den Toren der Stadt ergriffen, ihr ein Bein nahmen, oder sie zur Bewusstlosigkeit peitschten. All das Risiko hätte sie auf sich genommen, wenn sie ein Ziel gehabt hätte. Doch über Atraklin herrschten nun naraenische Fürsten, und ihre Familie befand sich hier, in Ephis, gefangen in den Verliesen des Kaiserpalastes. Wenn sie nicht schon tot waren.