[ACE]
Der Kanal führte sie unter einen riesigen, grauen Bogen hindurch, bevor sie in das Hafenviertel gelangten. Ace hatte kurz einen Blick darauf erhascht, als man sie an einer Kette von der Sklavengaleone zum Sklavenmarkt gescheucht hatte. Zum Glück wurden die Sklaven ein ganzes Stück weiter unten verkauft. Bei dem bloßen Gedanken an die stickige Halle wurde ihr übel.Der Wolkenvorhang riss auf, die Sonne schien durch weiße Nebelschwaden, gab den Blick frei auf den Markt und tauchte die umliegenden Gebäude in Gold. Ephis, die goldene Hauptstadt des Imperiums, erinnerte sie sich, und verstand endlich, warum sie so genannt wurde.
In der Mitte des Marktplatzes stand ein Brunnen, der wie eine springende Forelle geformt war, die Wasser in ein gestuftes Becken spuckte. Auf dem Rand saßen Menschen mit Kragen und nur wenige ohne, aber Ace erkannte, dass sich die Sklaven nur mit anderen Sklaven unterhielten, und die Freien nur mit Freien. Ringsherum waren verschiedene Stände aufgebaut, aber die Hälfte davon war leer. Händler mit frischen Lebensmittel priesen ihre Ware an, aber Salböle, Stoffe, exotische Gewürze, fertige Gerichte und alles andere wurde erst am Abend verkauft.
Am anderen Ende des Platzes sah Ace einen schwarzen Hund, der sich von einer Frau mit einem Schleier um ihre untere Gesichtshälfte zwischen den Ohren kraulen ließ. »Takesch?«, murmelte sie, aber keiner der beiden hörte sie.Meliora winkte einem blonden Sklavenmädchen zu, das alleine auf dem Brunnenrand saß. »Hella!« Ihre Stimme schallte über den Markt, was ihr sofort einen scharfen Blick von zwei Eulen einfing, die den Platz überwachten. Aber als sie sahen, dass es bei dem Krach um die Goldene Flamme von Auris Aurelios handelte, wandten sie sich wieder dem freien Weib zu, das sich mit offenem Mieder zu ihnen beugte.
»Mel! Remus!«, rief das blonde Mädchen zurück. Ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht. Sie stand auf, kam auf sie zugelaufen und sprang in Melioras ausgestreckte Arme. Ace konnte ein genervtes Stöhnen von Remus hören.
»Ich muss dir jemanden vorstellen«, sagte Mel, als sie sich voneinander lösten. »Ace, das ist Hella, unsere Freundin. Wir treffen uns hier fast jeden Morgen. Hella, das ist Ace, sie kommt aus Atraklin.«
Ace lächelte das neue Mädchen schüchtern an. »Freut mich dich kennenzulernen, Hella.«
»Atraklin? Wie wunderbar!« Bevor sie sich wappnen konnte, wurde auch sie in eine stürmische Umarmung gezogen. Uff. Überfordert und angespannt wartete Ace, bis das Mädchen sie freigab. Solch direkter Körperkontakt war in Atraklin ungewöhnlich, gerade am Königshof, wo jede Begegnung mit einer steifen, höflichen Begrüßung anfing. Und doch fühlte sich die Umarmung gut, fast tröstlich. Ace konnte es nicht beschreiben. Hella roch vertraut und fremd zugleich, und als sie zurück trat und in ihre entzückten dunklen Augen sah, wurde ihr ein klein wenig wärmer ums Herz.
»Meine Mutter kam aus Atraklin. Du musst mir unbedingt ein paar alte atrakische Wörter beibringen!«
»Bist du aufgewacht und hast deinen erbrochenen Nationalstolz wiedergefunden?« Remus zwängte sich spottend an ihnen vorbei und hob eine Hand. »Mädchen, ich kümmere mich jetzt um die Einkäufe. Wir sehen uns.«
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Nur Narren lassen Sklaven frei
Fantasy𝐍𝐮𝐫 𝐍𝐚𝐫𝐫𝐞𝐧 𝐥𝐚𝐬𝐬𝐞𝐧 𝐒𝐤𝐥𝐚𝐯𝐞𝐧 𝐟𝐫𝐞𝐢. So lautet das bekannteste Sprichwort im Imperium Tel'Narae, in dem Sklaverei zum Alltag der Bürger und zum Schicksal der Unfreien gehört. Es ist eine barbarische Welt, regiert von Stahl und i...