Kapitel 10

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Es war 5:30 Uhr am nächsten Morgen, als ein dumpfes Hämmern an der Haustür Hermine und Draco aus dem Schlaf riss. Sie trafen sich auf dem Flur, beide in Schlafklamotten und noch nicht ganz wach, tauschten einen verwirrten Blick und eilten dann die Treppe hinunter. 

Draco löste die Schutzzauber von ihrer Haustür und öffnete sie einen Spaltbreit. Hermine spähte über seine Schulter, um herauszufinden, wer in dieser Herrgottsfrühe bei anderen Leuten auf der Türmatte stand. 

Es war Stibbons in voller Verrückter-Wissenschaftler-Montur: Er trug seinen Umhang über seiner Schlafanzughose und einem zerknitterten Hemd, die Haare standen in alle Richtungen ab und hinter seinem Ohr steckte eine Schreibfeder, was vermutlich die Tintenflecken erklärte, die an seine Wange geschmiert waren. In der Hand hielt er Hermines Notizbuch. 

"Ich hab deinen Fehler gefunden!", rief er ohne Zeit für mit einer Begrüßung zu verschwenden. "Zugegeben, ich kenne die meisten Formeln nicht und viele Ansätze ergeben keinen Sinn, aber der Rest ist einfache Mathematik und Zauberkunst und ich habe deine ganzen Rechnungen nachvollzogen und durchgerechnet und ich habe denke ich die Stelle gefunden, an der es falsch ist." Er drückte sich an einem sehr verwirrten Draco vorbei, für den es offenbar viel zu früh am Morgen war, um die Worte "Mathematik" und "Zauberkunst" in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Stibbons schob sich ins Haus und hielt Hermine ihr Notizbuch unter die Nase. "Bei den meisten Sachen, die du eingesetzt hast, musste ich nachschauen, ob sie richtig sind, Naturkonstanten und alles. Respekt, dass du das alles auswendig weißt, übrigens. Aber hier...das stimmt nicht." Er zeigte auf eine Zahl, die er eingekringelt hatte. Hermine runzelte die Stirn. 

Es waren ihre Berechnungen zur Gravitation und ihrem Einfluss auf die transtemporale Kommunikation. Sein Finger zeigte auf eine Zahl, die sie in den letzten sechs Jahren öfter geschrieben hatte, als sie zählen konnte. 

"Was stimmt nicht mit einer Fallbeschleunigung von 9,81 Metern pro Quadratsekunde?", fragte sie überrascht. Stibbons grinste. 

"Genau das hab ich mir gedacht!", rief er begeistert. "Das Ding ist...die mittlere Fallbeschleunigung auf der Erde ist 9,86 Meter pro Quadratsekunde. Zumindest in diesem Universum." 

Hermine klappte der Mund auf. Sie hatte mit vielem gerechnet, hatte alles mögliche nachgeschlagen, was in einem Paralleluniversum anders sein konnte. Aber sie war nicht auf die Idee gekommen, dass eine Naturkonstante hier einen anderen Wert haben könnte! Das würde möglicherweise auch erklären, warum sie in den ersten Tagen so große Schwierigkeiten mit ihren Bewegungen gehabt hatte - um es wirklich, wirklich einfach auszudrücken: die Schwerkraft war höher! 

Sie begann, in den Rechnungen herum zu korrigieren, Stibbons lugte die ganze Zeit über ihre Schulter, Draco hatte die Haustür geschlossen und war in die Küche gegangen, vermutlich, um sich einen Kaffee zu kochen. Hermine folgte ihm langsam, Stibbons im Schlepptau und ohne die Nase aus dem Notizbuch zu nehmen. 

Stück für Stück arbeitete sie sich durch die Rechnungen, gab Stibbons knappe Anweisungen, bestimmte Dinge mit arithmantischen Zaubern für sie auszurechnen. Sie korrigierte ihr Endergebnis in dem Moment, in dem sie am Küchentisch ankam und Draco drei dampfende Tassen vor ihnen hinstellte. 

Demonstrativ ließ er sich ihr und Stibbons gegenüber auf einen Stuhl fallen und nippte an seinem Kaffee. 

"Würde mir einer von euch erklären, was hier gerade passiert?", fragte er dann und unterdrückte ein Gähnen. Hermine lugte in die beiden anderen Tassen und erkannte, dass die eine ebenfalls Kaffee enthielt und die andere Tee. Eine Welle der Zuneigung für ihren Mann durchfuhr sie. Nun...nicht für ihren Mann, natürlich. Für diesen Mann, für Draco. Sie versuchte den Gedanken zu vertreiben und zog die Teetasse zu sich heran. 

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