30.Hobbit-Kapitel

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Ich schreckte aus meinem Schlaf hoch. Auf meiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet und meine Bluse klebte an meinem Rücken. Dieser Traum, der Traum von Smaugs Angriff, er war noch nie so real, so greifbar. Ohne es zu bemerken war ich aufgestanden und meine Beine führen mich gedankenlos die große Steintreppe hinab.

Doch nach kurzer Zeit wurde mir erschreckend klar, vor welcher Tür ich stand. Es war jene, die ich vor all den Jahren verschlossen hatte, in der Hoffnung, dass ich Leben retten würde. Mit Mühe schob ich die Tür auf und das Geräusch von Stein, der auf Stein kratzt, hallte durch die Gänge.

Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Das Gefühl verstärkte sich bei jeden Atemzug, den ich in diesem Raum nahm. Süßlich fauliger Gestank vermischte sich mit dem eisernen Geruch von Blut. Ich sank unwillkürlich auf die Knie, unwissend zu sehen, was sich meine Nase bereits vorstellte. Eine einsame Träne tropfte laut auf den steinernen Boden.

Ich schreckte auf, als ich Schritte hörte, die sich mir näherten. "Edra, ich sagt doch, du sollst dort warten!" hörte ich den leicht angesäuerten Fili sagen. Dann blieb er stehen, offenbar entdecke er mich hier, kauernd zwischen all den Toten. Fili atmete hörbar ein. Ich stand auf und raffte meine Schultern. Wut überfiel mich. Auf Fili, der meinte ich käme nicht ohne ihn zurecht und auf mich, dass er mich in so einer Situation sah. "Ich bin erfahren genug, das Risiko selbst einzuschätzen, Fili." Meine Stimme klang zitternder, als ich beabsichtigt hatte. In meine Wut spielte offenbar noch die Trauer hinein, die ich vor wenigen Sekunden verspürt hatte.

Nach einer langen Pause kam Fili auf mich zu. Ich schritt zurück und hörte sogleich das Knacken eines Knochens unter meiner Hacke. Ein kehliges Quieken entfuhr mir, dann hörte ich wie Fili noch näher kam. Ohne Macht über mein Tun hob ich die Arme um ihm zu zeigen er solle nicht näher kommen. "Edra, was machst du hier?" fragte er sanft, als meinte er nicht das hier als Ort sondern eher die Situation an sich.

Ich atmete hörbar aus um meine sich anbahnende Schwäche loszuwerden. "Bitte komm nicht näher, ich bin nicht gut. Für niemanden."
"Wie meinst du das jetzt? Du bist wunderbar, ohne dich wären wir nie bis hier hin gekommen!"

Er kam einen weiteren Schritt näher und in meiner Abwehrhaltung steckte Schmerz und die Verzweiflung, die ich all die Jahre für mich behalten hatte. Mit einem Mal spürte ich das erwartende Kribbeln in meinen Fingerspitzen, wenn ich begann die Macht über Wasser zu erlangen.
Und dann, völlig willenlos, wurde Fili gezwungen stehen zu bleiben, denn sein Blut gehorchte nun nur noch mir.

Eine Woge von Machtdurst durchströmte mich. So etwas hatte ich seit Jahrzehnten nicht mehr gespürt. In mir wuchs der Drang jedes Wesen, jedes Tier, zu beherrschen und dann spürte ich, ganz langsam, unwillkürlich, strömte Energie durch meine Adern. Ich krümmte meine Finger in der Hoffnung diesen Strom zu vergrößern, in der Hoffnung mich wieder zu fühlen wie vor Dol Guldur. Und ich sog die Kraft ein, ohne nachzudenken, woher sie kam. Ohne nachzudenken, welchen Schaden ich anrichten würde.

Mit jeder Sekunde wurde mein Augenlicht heller und klarer und schließlich erschrak ich bei dem Anblick der sich mir bot. Denn mir wurde augenblicklich klar, dass dieser Energiefluss ausging von Fili. Dem Zwerg, der mir immer nur helfen wollte und den ich in diesem Moment fast getötet hatte. Filis Kopf hing zur Seite nach unten, seine Glieder waren schlaff und er würde leblos am Boden liegen, wenn nicht meine Magie ihn schwebend oben hielte. Erschrocken wich ich zurück, zog meine Hände fort und erstarrte für einen Moment. Fili sackte auf den Boden.

Als ich begann zu verstehen, was passiert war entwich mir ein erstickter Schrei, ehe ich zu Fili rannte. Ich kniete mich neben ihn nieder und hielt seinen Kopf sanft in meinen Händen. "Fili, wach auf! Bei den Valar, wach auf." flüsterte ich den Tränen nahe.
Ein kurzes Gebet schoss mir in den Sinn, ein Gebet, dass Mandos ihn verschonen solle.

"Bei all der Macht, die mir gegeben, bitte lass ihn wieder so kraftvoll sein wie zuvor."
Ein Windhauch streife meine Haare, dann sah ich hinab und Fili öffnete seine Augen. Müde und träge bewegte er sich, seine Augen glasig und starr. "Es tut mir so leid, ich hatte mich nicht unter Kontrolle." Schuldbewusst schaute ich zum Boden. Fili nickte und richtete sich mit Mühe auf. Dann schaute er mir für einen Moment in die Augen ehe er erwiderte: "Du kannst wieder sehen." Es lag keine Freude in seiner Stimme.

Ich half ihm auf, doch ich traute mich nicht ein weiteres Wort zu sagen. Als er stand drückte er mich weg und bedeutete mir, ich solle ihm nicht weiter helfen. Schweigsam und langsam gingen wir zurück in die Speisekammer. Das Feuer war ausgebrannt, nur die Glut beleuchtete den Raum ein wenig.

Am nächsten Tag sah ich Fili nicht einmal. Er schien bei Thorin zu sein. Ich konnte nur hoffen, dass er nichts von dem Vorfall erzählt hatte, denn Thorins Zorn wollte ich nicht zu spüren bekommen. Als ich gegen Abend durch die Gänge streifte, vernahm ich Thorins aufgebrachte Stimme. Ich lief eine Ecke weiter und beobachtete, wie Thorin angsteinflößend vor Bilbo stand. Bilbo selbst saß mit hängenden Schultern an eine Säule gelehnt da und hatte offensichtlich etwas in seiner Hand.

Thorin, in blinder Gier den Arkenstein zu finden, erhob seine Stimme: "Zeig mir, was du in deiner Hand hältst, Meisterdieb!" Er spuckte das letzte Wort herablassend heraus. Der König unter dem Berg setzte zu einem weiteren Befehl an, doch Bilbo öffnete seine Hand. Thorins Gesichtsausdruck entspannte sich sichtlich. Dann erzählte Bilbo etwas über eine Eichel, die er pflanzen würde, wenn er nach Hause käme. Einige Sekunden verstrichen und es schien so, als wäre der alte Thorin zurück.

Nachdem Thorin mit lauten Schritten in Richtung Haupthalle zurückkehrte, gesellte ich mich zu Bilbo.
Eine Weile herrschte Stille, ehe ich ansetzte: "Ich kann wieder sehen, Bilbo." Er nickte. "Fili hat es uns erzählt. Uns allen. Was passiert ist gestern. Er hat Thorin noch nichts gesagt, aber das ist nur eine Frage der Zeit." Ich sog scharf die Luft ein.

"Du musst verschwinden Edra! Thorin wird in seinem Zustand schlimmeres tun, als dich zu verbannen." Dann griff Bilbo in seinen Mantel und zog etwas hervor. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, es je wieder zu sehen.
Den Arkenstein.

Elrond's SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt