Kapitel eins.Hannah

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„Sie haben ihr Ziel erreicht." Verwirrt hob ich den Blick von meinem Smartphone. Vor mir erstreckte sich ein unauffälliger, grauer Plattenbau. Ein Haus wie jedes andere in der Vorstadt. Das soll die zeitgeschichtliche Fakultät der Prager Karls- Universität sein? Nicht nur, dass ich eher einen Altbau erwartet hätte, es gab auch kein Schild oder ähnliches. Ratlos sah ich mich um. Ich hatte den starken Verdacht, mich verlaufen zu haben. So typisch für mich. Aber wie war das möglich? Laut Maps war ich ja schon am richtigen Ort. Aber irgendwas war merkwürdig. Alleine das die Uni selbst auf Maps nicht zu finden war.

Die Adresse hatte die Uni mir in einem Brief geschickt, und ich hatte sie per Hand in mein Handy eingegben. Willkommen im 21. Jahrhundert. Ich kann nicht leugnen, selber einen Hang zum Altmodischen zu haben. Ich mochte alte Häuser, Möbel und Postkarten. Besonders Vintagekleidung hatte es mir angetan. Ich hatte fast keine modernen Outfits im Schrank. Auch heute trug ich einen kurzen Rock mit Hosenträgen und Spitzenbluse. Wenn es aber um Technik ging, war ich immer auf der modernen Seite. Briefe mit Adressen verschicken, nicht auf Maps zu finden sein, was soll das denn? Am Ende hatte sich irgendeine dusselige Sekretärin sich vertippt und ich hatte die falsche Adresse erhalten. Oder ich hatte mich vertippt.

Ich schnaubte auf. In wenigen Minuten hatte ich meinen Termin mit dem Professor, und ich war nicht gern unpünktlich. Der Schweiß perlte mir von der Stirn, denn es war noch sehr warm für Ende September. Langsam war Ich mit meinem Latein am Ende.

Nachdem ich gefühlt zum zehnten Mal die Adresse überprüfte, spürte ich auf einmal eine Hand auf meiner Schulter. Überrascht fuhr ich herum. Dabei wich ich instinktiv zurück. Vor mir stand ein bärtiger Mann mit Schiebermütze. Er lächelte breit. „Universitatis tu quaeris?" fragte er. Ich runzelte die Stirn. Ich verstand kein tschechisch. „Ähhh...", war alles was ich verlegen hervorbrachte. Mein Gegenüber deutete auf das Gebäude. „Universitatis?", wiederholte er mit einem nicht weniger breitem Grinsen, diesmal etwas langsamer. Langsam legte sich bei mir ein Hebel um. Die Uni – Universitatis. Macht Sinn. Manchmal brauchte mein Gehirn echt einen Moment. Also war ich doch richtig. Ich lächelte verlegen, machte eine dankende Geste und bewegte mich auf den Plattenbau zu.

Ich meine auf der Website der Uni Bilder von einem schnuckeligen Altbau gesehen zu haben. Aber wer weiß, vielleicht muss die Uni ja sparen oder so und vermietet die altehrwürdigen Hallen jetzt an Touristen. Von denen gab es wirklich jede Menge in Prag. Furchtbar, wenn ihr mich fragt. Aber – Ich hatte mir diese Stadt nicht ausgesucht. Mein Vater war hier hingezogen, wegen seiner Karriere als Bänker. Auch wenn andere in meinem Alter schon längst nicht mehr bei den Eltern wohnen, wollte ich noch bei ihm bleiben. Er gibt es nicht gerne zu, aber seit Mama weg ist, ist er sehr einsam und zieht sich zurück. Ich konnte ihn nicht alleine lassen. Und deswegen war nun hier in Prag, einer wunderschönen, aber furchtbar überlaufenen Stadt.

Leicht zögerlich stemmte ich mich gegen die Eingangstür. Ich war noch immer skeptisch, weil sie aussah wie eine normale Haustür. Wollte mich der Dude von eben nicht vielleicht doch verarschen? Ich sah mich nochmal um, aber er war verschwunden. Vielleich war das hier ein ganz normales Wohnhaus. Aber andererseits gab es auch keine Klingelschilder. Das war alles einfach nur weird. Tatsächlich gab die Tür aber nach, was mich überraschte. Drinnen erwartete mich eine tiefe Finsternis. Das wurde ja immer gruseliger! Trotzdem, aus mir unerklärlichen Gründen machte ich einen weiteren Schritt in die Dunkelheit. Es war sehr kühl in dem Gebäude. Ungewöhnlich kühl für das warme Wetter draußen. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Unterarmen aus. Auf einmal fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Ich fuhr herum. Moment - war ich wirklich so dumm gewesen, einem Fremden auf der Straße zu vertrauen? Im besten Fall würde ich hier ohne Nieren rauskommen. Ich war schon drauf und dran, wieder umzukehren, als es auf einmal flackerte. Eine Neonröhre leuchtete auf und erhellte den Raum. „Tut mir leid", hörte ich jemanden auf Englisch sagen „aber unser Eingangsbereich spinnt zur Zeit etwas. Muss sehr unheimlich gewesen sein. Willkommen!"

Das Geheimnis der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt