Kapitel sechs. Hannah

14 3 0
                                    

Am nächsten Morgen wurde ich auf einmal durch polternde Schritte, und lautes Gebrüll geweckt. Verwirrt schlug ich die Augen auf. Es war gerade mal zehn, was sollte das? Stritt sich da jemand von unseren Nachbarn besonders leidenschaftlich? Rums. Etwas sehr Schweres war zu Boden gefallen. Wütendes Geschrei auf Tsche...

Moment, nein, das war Deutsch! Und es klang wie mein Vater. Ich verwarf all meine Pläne auszuschlafen auf, und schwang mich aus dem Bett. Augenblicklich tanzten bunte Punkte in meinem Sichtfeld. Das war wohl ein Ticken zu schnell gewesen. Grummelnd warf ich mir etwas über. Dabei entging mir nicht, dass der Krach sehr nah, also aus unserer Wohnung kam. Er war so laut angeschwollen, als läge sein Ursprung direkt vor meiner Tür.

Nur dachte ich nicht richtig darüber nach und zehn Sekunden später stand ich in Einhornpulli und löchriger Schlabberhose vor einem wildfremden Mann, der sich mit meinem Vater um einen Fernseher zankte. Mein Vater hing dabei leicht gekrümmt, fast schon aus dem Boden liegend über dem Flachbildschirm. Er sah ein bisschen aus wie ein Bettler. Eindeutig in der vorteilhafteren Position hingegen war ein Typ von der Marke Türsteher, der mit genervtem Blick den Flachbildschirm im Griff hatte, und tatsächlich auf beiden Beinen stand.

Ich legte die Stirn in Falten, blinzelte und schloss die Zimmertür vor mir wieder. Das war absurd. Es konnte nicht real sein. Das hatte ich mir alles nur eingebildet. Ich holte tief Luft. Erneut drückte ich die Klinke runter und schob mich in den Gang.

Doch das Bild was sich mir bot, blieb unverändert. „Papa?", stammelte ich verdattert. „Hannah, meisje...", brachte er verlegen hervor, und lächelte sanft. „Was machst du da?", fragte ich. „Now, who are you?", fragte der Tscheche auf einmal. Sein Akzent war stark zu hören. Das abgehackte Englisch klang grob mit den gerollten R's, und die Stimme war tief und respekteinflößend. Im Gegensatz zu meinem Vater stand der Mann. Er trug schwarze Kleidung und klammerte sich lässig mit den Lederhandschuhen an das TV- Gerät.

„Das Gleiche könnte ich sie...", murmelte ich, überlegte es mir aber anders „I am his daughter. And who are you, if I may ask? " Dabei hob ich mein Kinn, und versuchte meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. Auch in pinkem Einhornpulli musste man Haltung bewahren. „Svoboda. Bailiff.", er holte einen Ausweis hervor. Das war ein ausgesprochen seltsamer Name. Die kleine Plastikkarte sah seltsam deplatziert aus in seiner riesigen Pranke.

„I am from the court.", erklärte er genervt. Scheinbar hat man mir meine Verwirrung angesehen. Mein Vater hatte sich endlich wieder aufgerichtet, und von dem Fernseher abgelassen. Warum er überhaupt versucht hatte sich zu wehren, war mir ein Rätsel. Dieser Svoboda sah aus wie ein Bär. Diese ganze Sache wollte nicht so richtig in meinen Kopf rein.

Wenig später saß ich mit meinem Vater am Küchentisch. Er wich meinem Blick noch mehr aus als sonst und wirkte beschämt. Es hatte eine Weile gedauert, bis mir aufgegangen war, dass bailif kein tschechischer Vorname, sondern englisch für Gerichtsvollzieher war. „Möchtest du mir vielleicht etwas erklären?" Keine Antwort. Stattdessen schien auf seinem Brot gerade ein winziger Elefant Cha-Cha-Cha zu tanzen. Jedenfalls starrte er es eine ganze Weile fasziniert an, um danach in der Kaffeetasse nach einer Antwort zu suchen. Er klammerte sich regelrecht an den Porzellanbecher.

„Du kannst nicht ewig so tun als sei alles ok.", sagte ich so behutsam wie möglich. Wieder nur Schweigen. „Wir sind pleite.", antworte ich für ihn. Ein seufzen. „Ja.", gab er schließlich zu. Wow, er kann ja noch sprechen. „Hannah, Ich habe gelogen. Ich habe keine Arbeit mehr." 

"Weißt du", er rang mit den Worten „Das mit der Versetzung habe ich mir nur ausgedacht, damit du ausziehst. Mir war klar, dass ich das nicht mehr lange verheimlichen konnte. Ich dachte, du wolltest in Wien bei deinen Freunden bleiben. Aber du wolltest ja mit. Und dann kamst du mit dieser schrägen Uni um die Ecke, und hast sogar ein Stipendium bekommen, du hast dich so gefreut, dass wollte ich dir nicht kaputt machen. Bitte, Hannah, Ich will doch nur das du glücklich bist."

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 28, 2021 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Das Geheimnis der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt