Kapitel vier. Anouketh

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Da stand ich nun alleine in der großen Wohnung mit meinem Koffer. Das Teil war fast so groß wie ich selbst, aber das war bei meiner Größe kein Rekord. Als ich dieses Monster durch das Treppenhaus getragen habe, hatten alle nur gestaunt. „Ist da überhaupt was drin?", hatte ein Kerl mich gefragt. „Kannst ja mal selber ausprobieren.", hatte ich ihn angegrinst, und ihm den Koffer vor die Füße gestellt. Er hatte ihn angehoben, und überrascht die Augen aufgerissen. „Wow. Wie zur Hölle hast du das bis in die dritte Etage bekommen?", hatte er mich ungläubig gefragt. Tja. War ja nicht das erste Mal, das man mich wegen meiner zierlichen Statur unterschätzt hatte.

Nun aber sah ich mich in meiner neuen Wohnung um. Sie war hell und geräumig. Jeder meiner Schritte hallte noch, wie das in leeren Wohnungen halt so war. Mit mir sollten noch drei weitere Studenten hier leben. Ich war das aber gewohnt, mir machte das nichts aus. Immerhin hatte ich ein eigenes Zimmer. Da ich die erste in der Wohnung war, konnte ich mir auch gleich das beste Zimmer aussuchen. Ich warf neugierig einen Blick hinter jede Tür, nur um festzustellen, dass alle Raume genau gleich geschnitten waren. Sogar mit den gleichen billigen Holzmöbeln. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch. Naja, was soll's. Zumindest gibt es dann keinen Streit beim Aufteilen der Zimmer. Ihr wisst gar nicht, was ein Drama manche Menschen daraus machen. Meist weibliche Menschen. Vier Jahre Mädcheninternat hatte ich hinter mir, und sie waren nicht spurlos an mir vorbeigezogen. Ich hievte den Koffer in den Raum, der am nächsten am Bad und Küche war. Auf dem Küchentisch fand ich eine Liste mit den Namen meiner Mitbewohner.

Park, Joon. Das klang ein bisschen asiatisch, aber auch ein bisschen amerikanisch. Schwer einzuorden. Aber neben Park, Joon sollten noch ein Benedini, Matteo und Ferrari, Luciano hier einziehen. Was ein bescheuerter Name. Und ich dachte, ich würde komisch heißen. Aber immerhin alles Kerle, das beruhigte mich schonmal. Gleich neben der Liste fand ich ein room mate starter set. In einem alten Schuhkarton fand ich eine Packung Spaghetti, ein Glas mit Tomatensauce und Salz, Pfeffer und Öl. Auf einem einlaminiertem Zettel stand eine Anleitung. Wie man gemeinsam mit der WG kochen und sich so viel besser kennen lernen kann. Eine Anleitung zum Freunde finden! Hilfe. Freunde. Freunde sind Menschen, und ich und Menschen, das war so eine Sache. Mir sind selten Exemplare dieser Spezies begegnet, die mich nicht genervt haben.

Bei dem Text dieser seltsamen Anleitung könnte ich kotzen. Mit wem ich mich anfreunde, kann ich mir selbst aussuchen. Kurz überflog ich den Text, aber er wurde nicht besser. Er war dermaßen schmalzig geschrieben, und wirkliche Tipps zum Nudeln kochen enthielt er auch nicht. Stattdessen war er gespickt mit Sprüchen wie: Ein Fremder ist nur ein Freund, den man noch nicht kennt. Würg. Schnell legte ich die Anleitung wieder weg. Auf einmal hörte ich ein lautes Grummeln. Ich sah mich um. Dann stellte ich fest, dass das mein Bauch gewesen sein musste. Oh verdammt! Es war wirklich eine lange Zugfahrt gewesen von Genf bis nach hier. Meine letzte Mahlzeit war definitiv zu lange her. Ich sah im Kühlschrank nach, aber natürlich fand ich dort nichts. Ob es den anderen wohl etwas ausmachte, wenn ich die Spaghetti schonmal kochte? Ich könnte ja eine neue Packung kaufen. Ach, Nudeln, das war ja wirklich nicht die Welt. Wahllos riss ich einige Küchenschränke auf, bis ich einige Töpfe fand. Ich hatte noch nie gekocht, aber so schwer konnte das gar nicht sein. Als ich den Gasherd mit einem Streichholz anzünden wollte, verbrannte ich mir die Finger. Aber immerhin züngelte jetzt eine blaue Flamme auf dem Herd. Wie bei den Gasbrennern in Chemie. Läuft doch, dachte ich zufrieden und setzte einen Topf mit etwas Wasser, jeder Menge Öl und einer Prise Salz auf, und stopfte die Nudeln hinein. Die würden sich ja von selbst kochen, dachte ich und ging auf mein Zimmer.

Dann begann ich meinen Koffer auszupacken. Sofort roch der ganze Raum nach Waschmittel. Neben Hoodies, Sweatjacken, Jeans und T-Shirts fand ich auch meine alte Schuluniform. Ich betrachtete sie gedankenverloren. Den hässlichen Faltenrock, die ausgeleierten Blusen und Pullover und am schlimmsten: Die kratzigen Wollsocken. Oh Gott. Jeder, der einen Fetisch für Overknee- Strümpfe hatte, musste auch einen gewaltigen Dachschaden haben.

Das Geheimnis der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt