Und wieder einmal wachte Newt mit einem Schrei mitten in der Nacht auf. Er zitterte am ganzen Körper, Schweiß lief von seiner Haut und seine Kleidung war auch schon wieder ganz nass. Stumme Tränen liefen seine Wangen hinunter, mischten sich mit dem Schweiß zusammen und fielen auf seine Decke. Er hatte sie wieder gesehen. Wieder seine Eltern sterben sehen. Er am Boden mit Oma Elizabeth, sie in der Luft mit seiner kleinen Schwester Sonya und dann ein lauter Knall, bevor sein Leben den Bach runterging und er die zertrümmerten Körper seiner Eltern und Schwester sah.
Das Bild hatte sich in seinen Kopf eingebrannt, es verfolgte ihn und fand ihn zu jeder Zeit. In der Schule, beim Mittagessen, im Schlaf.Newt schob die Decke von seinen Beinen und robbte ans Ende des Bettes, um hinter dem Gatter aus seinem Bett zu steigen.
Nach seinem Unfall von vor achteinhalb Jahren traute sich Newt nicht mehr auch nur einen Zentimeter in die Höhe. Er hatte monatelang auf dem Boden auf einer Matratze geschlafen, bevor er den Leuten geglaubt hatte, dass das Gatter sicher sei und er nicht rausfallen würde.Mit verweintem Gesicht saß Newt an der Kante von seinem Bett und sah sein schiefes Bein an. Die Knochen waren nach dem Sturz schief zusammengewachsen, obwohl die Ärzte sich völlig sicher gewesen waren, dass keine Operation nötig wäre und alles normal zusammenwachsen würde. Tja, falsch gedacht. Und jetzt war sein Bein schief und er musste für den Rest seines Lebens humpeln müssen. Man hätte das Problem auch Operativ lösen können, aber Newt vertraute den Ärzten seit dem nicht mehr und hatte abgelehnt. Am Ende würde sein Bein noch im 90° Winkel abstehen.
Seufzend stand Newt auf und ging zum Fenster. Er öffnete es sperrangelweit, wodurch die frische Herbstluft sofort in sein Zimmer drang und ihn erfrischte. Der Wind trocknete seine Tränen, verwuschelte sein Haar und ließ ihn tief durchatmen. Von der kühlen Luft bekam er Gänsehaut, aber das störte ihn nicht. Er schloss seine Augen und ließ den Wind seine Lungen füllen. Es beruhigte ihn und seine Gedanken, beruhigte sein Herz, das jetzt auch wieder in einem normalen Rhythmus schlug.
Mit einem kleinen Lächeln setzte Newt sich auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch, der unter dem Fenster stand, immer darauf achtend, dass mindestens ein Fuß noch den Boden berührte. Den anderen hatte er gegen den Tisch gelehnt.
Von seinem Platz aus, konnte er auf den kleinen Parkplatz des Waisenhauses schauen. Zur Zeit standen dort nur drei Wagen: Ava Paiges, die Leiterin, Charlotte McKenzies, die Köchin und Janson Ratmans, der Typ der immer mal wieder vorbei kam, Gott weiß warum. Der Nachname Ratman passte zu dem Kerl. Sein Gesicht sah aus wie das einer Ratte und unsympathisch war der. Newt könnte Bücher schreiben über den abscheulichen Charakter dieses Mannes.
Was Newt nicht konnte, war wissen, dass dort morgen noch ein Auto stehen würde. Ava erzählte den Kindern nie etwas, wenn Leute kamen, die ein Kind adoptieren wollten. Sie wollte, dass die Leute die Kinder so sahen, wie sie wirklich waren. Nicht irgendein verstelltes, das aus dem Waisenhaus raus wollte.
Nach mehreren Minuten ruhigen Dasitzens, flog plötzlich ein Schuh durch sein Fenster und verfehlte sein Gesicht nur knapp. Von oben drang Gelächter und jemand sagte "Damit hat der Freak wohl nicht gerechnet!" Eigentlich hatte Newt es kommen sehen. Es war fast immer so. Sein Schrei weckte häufig die anderen Kids auf und seitdem die herausgefunden haben, dass Newt dann sein Fenster öffnete, schmissen sie Dinge rein. Häufig etwas ekliges oder dreckiges. Einmal war es ein verschimmeltes Brot gewesen. Das andere mal flog das durchgeschwitzte Shirt eines der älteren Kinder in sein Gesicht. Es waren Momente, in denen er weinen wollte.
Und das tat er auch wieder. Er schloss sein Fenster, stellte den Schuh vor seine Tür und weinte, leise damit die anderen ihn nicht hörten. Freak. Das bin ich. Ich bin ein Freak. Ein Außenseiter, Nichtsnutz, Loser, der Junge der Angst hat eine Treppenstufe hinaufzusteigen.
Während er leise weinte, hatte er gar nicht gemerkt, wie Ava seine Tür geöffnet hatte. Sie holte sich den Stuhl ran und setzte sich neben Newt ans Bett. Tröstend legte sie ihren Arm um seine Schultern und ließ den Jungen weinen.Nachdem Newt sich wieder beruhigt hatte, ging auch Ava wieder. Newt hörte, wie sie die Tür schloss und nach oben zu den anderen Jungs ging. Sie tat es immer, doch die Idioten konnte man einfach nicht belehren.
Wach und deprimiert saß Newt auf seinem Bett hinterm Gatter, sodass er nicht herausfallen konnte. Die Knie angezogen und den Kopf auf sie gelegt, starrte Newt die Wand an. Einschlafen konnte er nicht mehr.Wach saß er also da und tat gar nichts. Heiße Tränen liefen ihm leise die Wangen runter. Er verharrte in der Position bis es morgen wurde. Um Punkt Sechs Uhr stieg er aus dem Bett and zog sich um. Es war die Zeit, von der an sie erlaubt waren im Haus rumzulaufen bis um 22 Uhr
Newt ging wie jeden Morgen in die Küche und half Charlotte beim Frühstück. Die Frau freute sich immer über seine Hilfe, während die anderen nur wieder witzelten, dass Newt in Charlotte seine große Liebe gefunden habe oder er nichts besseres als eine einfache Küchenhilfe finden würde. Davon ließ er sich schon nicht mehr stören. Aber es hatte lange gedauert. Und eigentlich hatte ihn nicht wirklich die direkte an ihn gerichtete Beleidigung gestört, sondern die indirekte an Charlotte. Es machte ihn wütend, wie sie über sie redeten."Guten Morgen, Newt. Irgendwelche Pläne für heute?" Fragte Charlotte ihn, während sie Äpfel schnitt und sie in eine große Schüssel gab. "Nicht wirklich. Was soll ich denn machen? Ich hatte eigentlich überlegt wieder auf die Wiese im Park zu gehen und zu lesen und heute Nachmittag zu Dr. Thomson. Er meinte letztes mal, dass ich heute mit jemandem reden soll, der ähnlich fühlt wie ich. Er kenne da einen Therapeuten in Amerika." Die Küchenhilfe reichte Newt ein Brett sowie Messer und Äpfel bevor sie antwortete "Das ist doch schön. Du meinst ja immer, dass dich und deine Angst niemand versteht. Vielleicht tut dieser jemand es dann." Newt nickte stumm. "Hoffe ich mal."
Gemeinsam bereiteten Newt und Charlotte das Frühstück für die Waisenkinder vor, die nach und nach auch erwachten und runterkamen, entweder in den Gemeinschaftsraum oder Speisesaal. Einige blieben auch bis ,7:30 in ihren Zimmern und kamen dann erst nach unten.
Beim Frühstück saß Newt wie immer ganz alleine. Sam war adoptiert worden während Newt noch im Krankenhaus gewesen war und Gally war ihn einfach zu impulsiv und aufgebracht als das Newt das hätte ertragen können. Und ansonsten wollte niemand etwas mit dem Freak des Hauses zu tun haben. Also saß er ganz alleine da mit seinen drei Äpfelstückchen und einem halben Brot. Auf mehr hatte Newt keinen Appetit und eigentlich nicht einmal darauf. Wenn es nach ihm ginge, würde er auch den ganzen Tag nichts Essen. Aber er tat es, um nicht noch mehr herauszustechen. Außerdem würde ihn Charlotte damit nicht aus dem Raum gehen lassen. Das war die mindest Portion, die jeder Essen musste: Ein halbes Brot und etwas Obst oder Gemüse.
Trotz des immer anwesenden Würgereizes aß Newt sein Frühstück auf und ging zurück in sein Zimmer, um dort nach einem Buch zu suchen, das er noch nicht gelesen hatte. Danach ging er zur Tür und trug sich in eine Liste ein, damit Ava sehen konnte, wann wer wann wohin das Haus verlassen hat und ob diese Person auch zurückgekommen ist. Dann verließ er das Haus mit seinem Buch in den Händen und machte sich auf zum Park, wo er sich auf die Wiese legte und beim Gezwitscher der Vögel sein Buch laß.
***
Newt hatte lange genug gelesen, um das Mittagessen zu verpassen. Aber das machte ihm nichts aus. Wenn man Mittags nicht kam, wurde das Essen Abends warm gemacht und dann gegessen, während andere Brot als Abendmahlzeit bekamen.
Newt hörte nur auf, weil sein Termin mit Dr. Thomson in einer halben Stunde war und er langsam losgehen sollte, was er dann auch tat. Er war acht Minuten zu früh dran, was er immer hasste. Die anderen Kids und Jugendlichen wussten nach 13 beziehungsweise acht Jahren auch mal, dass Newt kein Zuhause und auch Therapiestunden hatte. Sie zogen ihn jedesmal damit auf. Dinge wie "Kein Wunder, dass dieser Freak niemand haben will." "Als Eltern würde ich so jemanden auch nicht wollen." "Der Freak ist wieder am Boden." oder "Der Strauß ist wieder da." musste Newt sich dreimal wöchentlich, alle zwei Tage anhören.Er hatte gelernt nicht mehr darauf zu reagieren, aber in seinem Inneren trafen sie ihn nach wie vor hart. Es war immer eine Erlösung, wenn er sah, dass er endlich rein konnte, so auch heute.
Newt war ein bisschen überrascht, als er einen braunhaarigen Jungen neben seinem Therapeuten stehen sah. Mütze, Schaal, Handschuhe, Winterjacke und eine Thermohose trug der Junge. Seine Hände waren in den Jackentaschen vergraben, schüchtern schien er aber nicht zu sein. "Newt, das ist Thomas Green."
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High/Newtmas
FanfictionNewt lebt soweit er sich erinnern kann in einem Waisenhaus mit schrecklichen Ängsten, die ihm jeden Tag zu schaffen machen. Er hat Akrophobie, Höhenangst. Und das nicht nur, wenn er von einem Balkon guckt, sondern selbst wenn seine Füße nicht mehr d...