Fleur Dubois I

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Die Geschichte entstand aus einem Spiel heraus, in dem eine Freundin und ich einander sechs Wörter auf einen Zettel schrieben, aus denen der jeweils andere eine Geschichte basteln sollte.

Vielleicht kennt ihr das Procedere auch unter dem Begriff «Reizwortgeschichte»
Genau genommen kamen wir erst auf diese Idee, als ich ihr von den Reizwortgeschichten erzählte, die ich in der Grundschule geschrieben hatte.
Da wollten wir den Reizwortgeschichten von damals ein Update verpassen.

Was ich aus Pfütze, Buch, Blumengeschäft, heimlich, Glitzer und französisch gemacht habe, könnt ihr hier lesen.

Was hättet ihr draus gemacht? Lasst es mich in den Kommis wissen;)
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«Fleur?», rief Grandmère nach mir.
Schnell schlug ich das Buch zu, welches ich meiner Großmutter heimlich stebitzt hatte.
Verflixt, ich hatte die Zeit schon wieder völlig vergessen und meine Mittagspause maßos überzogen.

Es war nicht irgendein Buch, sondern ihr ehemaliges Tagebuch.
Sie mochte es nicht, wenn ich in ihren Sachen herumstöberte, was an sich auch komplett nachvollziehbar wäre - gäbe es da nicht einen Haken.
Und wie es den gab.
Ich war nämlich auf der Suche nach Antworten.

Jedes Mal, wenn ich den Versuch unternahm, mich langsam mit harmlosen Fragen heranzutasten, verschloss sie sich mir gegenüber gänzlich.

Dabei war ich es jawohl, die ein Anrecht darauf hatte zu erfahren, was heute vor genau elf Jahren mit meiner Mutter geschehen war.
Das Einzige, was mir blieb, war ihre grenzenlose Liebe zu Blumen. Diese fand sich auch in meinem Namen wieder. Fleur Dubois.

Hastig versteckte ich das in dunklem Leder eingebundene Buch unter einem in der Sitznische liegenden Kissen und eilte in den Vorraum dieser Etage.
Unseren hauseigenen Blumenladen, der Fleuriste, aufgebaut von meiner Mutter, übernommen von meiner Großmutter. Als wäre allein die Tatsache, dass meine Mutter zu unserer Zeit selbstständig einen Laden eröffnete, nicht schon bizarr genug.
Doch Gewöhnlichkeit war meiner französischen Familie fremd.
Allein die Tatsache, dass ich, als Mädchen, lesen konnte, sprach Bände für sich. Grandmère legte immer größten Wert darauf, dass ich es nicht nach außen trug.
Schließlich war es den Mädchen verboten zu lesen, wenn nicht im Kloster. Und dort wollte ich um Gottes Willen nicht landen.

Was hatte sich meine Mutter bloß gedacht, mich das Lesen und Schreiben zu lehren? Mir damit ein Privileg vermachte, das anderen Mädchen verwehrt blieb und mich einer deratigen Gefahr aussetzte?
Allerdings wäre es schwierig geworden, nur mittels einer schweigenden Grand-mère ihrem Verschwinden auf den Grund zu gehen. Hierbei waren meine risikoreichen Fähigkeiten doch von Vorteil.

Als ich noch jünger war und bei meiner Mutter hinter dem Thresen auf einem Stuhl saß - den sie mir zu Liebe mit einigen Büchern erhöht hatte, damit ich auch über die Tischplatte hinweg sehen konnte - lag ich ihr ständig in den Ohren.

«Maman, un jour, moi, je vais reprendre la floriste et être fleuriste.»
Mama, eines Tages werde ich, Fleur, den Blumenladen übernehmen und Floristin sein.

«Fleur va être fleuriste! Fleur va être fleuriste!»
Fleur wird Floristin! Fleur wird Floristin!

Darauf lächelte sie mich liebevoll an und strich mir sanft über die Wange. «La meilleure» flüsterte sie mir dann immer zu.
Die Beste.

Doch mit ihrem plötzlichen Verschwinden 1832 nahm sie auch meine Begeisterung für ihr Geschäft mit sich.
Selbst mein Name, den ich zuvor als melodisch klingend vernommen hatte, rief das Wissen wach, wie sie mich als achtjähriges Mädchen zurückgelassen hatte. Diese Winde war noch nicht geheilt. Und meine Frage noch nicht beantwortet.

Fleur DuboisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt