5: Confident

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Dezember 996

Faszinierend, die Kälte... Wie Rauchschwaden stieg mein kalter Atem empor und wurde schnell dünner, bis er nicht mehr zu sehen war und die nächste kalte Atemwolke meinen Mund verließ. Die Schneeflocken, die ich mit meiner Hand auffing, schmolzen in dieser auch so schnell wie die Wolken meines Atems verschwanden. Wenn ich lange genug meine Hand in den Schnee hielte, bis sie ganz kalt wäre, dann könnte ich Schnee fangen und er würde nicht schmelzen. Gleich gut könnte ich dann aber auch meine Hand abnehmen lassen, weil sie dann erfroren wäre.

Ich respektierte und bewunderte den Winter am meisten. Nie wusste ich, woran das lag. Waren es diese vielen weißen Flocken, die sich aufgefangen als Kristalle aus Wasser herausstellten? Lag es daran, dass der Winter die Welt verwandelte und sie geheimnisvoll und magisch aussehen ließ? Weil die Stille des Waldes zeigte, wie ich mich fühlte? Oder doch, weil alles den Schein verlor und die Bäume und Steine nackt und ehrlich in der Kälte schimmerte? Was war der Grund dafür, dass der Schnee mich faszinierte, die Schönheit des wie ausgestorbenen Waldes in unberührtem Weiß, die langen Nächte und die kribbelnde Kälte in den roten Fingerspitzen?

So wie ich den Winter respektierte, so verabscheuten die meisten Bewohner unserer Siedlung ihn doch. Für sie war er meist nichts außer kalt, nahm einem die Lebensgrundlagen weg und ließ einen daran erinnern, dass es nicht nur gute Zeiten, sondern regelmäßig schlechte gab. Gute Zeiten... Wann gab es diese schon? Wann gab es ein einziges Jahr, in welchem nicht Kinder starben, Alte von Werwölfen zerfetzt wurden oder das Misstrauen untereinander nachts an den Seelen der Leute nagte? Welch Heuchelei, was all diese Menschen, Hexen und Werwölfe vorspielten. Das war wohl eine Art Kultur, jedem zu zeigen, die Außenseiter seien die Missetäter, und diese dann als Sündenbock für jede Unzufriedenheit, jedes Unglück herhalten mussten.

Ich war ein Außenseiter, schon immer. Mein Glück war es, dass es ein ewig geltendes Prinzip gab. Einem Außenseiter konnte man immer mal wieder was in die Schuhe schieben, aber irgendwann funktionierte das nicht mehr. Um einen Sündenbock auf Dauer zur Befriedigung des eigenen Unheils zu haben, brauchte man eine Gruppe von Außenseitern, eine Ansammlung von dubiosen Leuten, solchen Leuten, welche ohnehin unter sich blieben. Wir hatten Werwölfe. Ich könnte ihnen eigentlich dankbar sein...

War ich aber nicht.

Denn wenn ich mich entscheiden müsste zwischen dem ewigen Sündenbock für alles, oder dem ewigen Einzelgänger, so hätte ich mich nicht für letzteres entschieden.

Aber was war schon Ewigkeit? Nichts, was wir Sterbliche erfahren könnten. Ich hatte noch nie davon gehört, dass eine Hexe es je geschafft hätte, unsterblich zu sein. Von Menschen und Werwölfen ganz zu schweigen, welche keine Magie praktizieren konnten. Und wenn man ganz ehrlich war: Wann hörte man schon von Erfolgen von Siphonern?

Vor ein paar Jahren noch hatte ich tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, mit Zaubereien herum zu experimentieren. Vielleicht war ich da dreizehn, vierzehn Jahre alt gewesen... Es war so eine Zeit, in welcher Knaben zu Männer wurden. Das führte das Problem herbei, dass Knaben dann oft auch wagemutiger wurden, wenn nicht gar dem tödlichen Übermut verfielen. Heute verstand ich nicht, wie ich damals hatte glauben können, durch Kreativität und ohne Wissen über solche Magie dennoch einen Zauber der Unsterblichkeit erschaffen zu können. Eigentlich war es nicht nur ein tollkühner Plan gewesen, denn allein das war naiv genug. Dieser Plan entsprang einer Idee, und diese Idee entstand, wie so viele meiner Ideen, aus Langeweile und dem zunehmend unloyalen Verhalten meiner kleinen Schwester Eliza.

„Mutter, darf ich heute etwas länger draußen bleiben?"

Es war einer solcher Tage, die ich unliebsam in Erinnerung hatte.

Live and let die (The Originals) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt