1: I am the Passenger

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Die Sonne schien verdammt stark, als wir das unschuldige, irgendwie liebliche Schild der kleinen Stadt passierten, welches uns auf unser Ziel hinwies. Mein Ziel. Mystic Falls. Es war ja so lange her...

Der Fahrer hieß Gale und fuhr mich nicht ganz so freiwillig, wie er es eigentlich war. Um genauer zu sein: Ich hatte ihm keine Wahl gelassen, nachdem er freundlich abgelehnt hatte. Ich hatte etwas wichtiges vor und dieser Mann hatte noch Platz im Auto. So ließ ich ihn einen Umweg seiner eigentlichen Reise nehmen. Dabei war doch nichts schlechtes, oder?

„Warte. Halte hier am Straßenrand.", wies ich den 40-jährigen neben mir an und zeigte auf das Stück Wiese, welche neben der Straße saftig grün verlief. Wie fast automatisch tat er was ich ihm befohlen hatte. Nein, ich hatte ihn nicht manipuliert... Auch, wenn ich dazu durchaus in der Lage war. Ich hatte nur etwas mit ihm geredet... Wie schön doch die Familie wäre, wie unschuldig doch Kinder waren und wie schlecht gelaunt ich wäre, wenn ich nicht rechtzeitig nach Mystic Falls kam. Wie traurig seine Kinder wohl wären, ohne ihren Vater... Er hatte recht schnell verstanden.

„Kann ich endlich gehen?" Gale starrte sein Lenkrad an, hatte Angst aufzuschauen, doch ich sah ihm seine Anspannung an, wie er das Lenkrad festhielt. Der Schweiß glitzerte auf seiner Stirn und es schien ein Tropfen der Angst langsam abzuperlen. Ich lächelte leicht und drehte mich zu ihm. „Eine Sache noch." Mit großen Augen sah er nervös zu mir hinüber. Seine grünen Augen schienen schon fast aus seinen Augenhöhlen zu fallen. Ein Jammer, dass sie es nicht taten... Aber er schien wohl etwas klüger zu sein als er aussah.

„Das ist krank. Was willst du denn noch? Ich habe getan was du gesagt hast!" Vor Panik schien der Gute ja schon fast seine eigene Zunge zu verschlucken... Anatomisch nicht möglich, aber mit ein wenig Magie wäre das sicher durchaus hinzubekommen. Ich lächelte jedoch nur weiter und rückte etwas auf dem Sitz zu ihm hinüber. Durch den Seitenspiegel neben ihm konnte ich sehen, dass mein Anblick wohl grausig vergnügt in einer verspielten Art und Weise sein musste. So vertiefte sich mein Lächeln noch etwas. Vorsichtig kam ich mit meiner Hand näher zu ihm, wobei er nun fast gänzlich die Augen verrenkte und angespannt immer weiter zur Tür rutschte sich letztendlich gar dagegen presste, doch ich lehnte mich einfach immer weiter mit diesem Lächeln und der ausgestreckten Hand zu ihm. Kurz glaubte ich gar ein Wimmern in seiner Stimme zu hören. „B-bitte..." Es war nur ein zittriger, fast erstickt er Hauch, der aus seinem Munde wich.

Ich hörte seinen Herzschlag gut. Wie es immer schneller schlug, je mehr sich meine so menschlichen Fingerspitzen ihm näherten. Es setzte fast aus und er hielt erstarrt die Luft an, als ich ganz leicht ihn an der Schulter berührte, um ein Haar vorsichtig herunterzunehmen...

„Du hattest da was? Siehst du? Nur ein Haar. Von deiner Frau, richtig? " Kurz kam ein belustigtes Glucksen über meine Lippen, da er so schockiert aussah, als hätte ich ihm den Arm herausgerissen. Mit meinen Fingerspitzen legte ich es auf meine flache Handfläche und hielt sie genau zwischen uns. „Haare sagen viel über einen aus." Dann pustete ich es ihm ins Gesicht, wobei er schreckhaft zusammenzuckte und gegen die Tür presste. Erstaunlich, wieviel Türen so aushielten...

So entfernte ich mich auch wieder ganz langsam zu meinem Platz, ohne jedoch diesen Augenkontakt, den des Stärkeren und den des Schwächeren, abzubrechen und ihn mit diesem Lächeln anzulächeln, was wohl meine Seele im gröbsten widerspiegelte. Langsam lehnte ich meinen Ellenbogen gegen das Armaturenbrett und stützte meinen Kopf auf meiner Hand. Nun atmete er auch wieder... So schnappend... Oh, wie töricht doch immer wieder Menschen waren... Sie dachten immer, jeder wäre tief im Inneren auch ein guter Kerl... Immer diese Hoffnungen... „Ich habe nie gesagt, dass ich dich dann gehen lasse. Das hast nur du gesagt."

Seine Augen weiteten sich, er schnallte sich panisch ab und sprang schon regelrecht aus seinem Auto. Dabei blieb er beinahe mit dem Schuh in der Autotür hängen. Ich hatte schon bessere Fluchtversuche gesehen. Doch die Panik schien ihn wohl nicht dazu zu verleiten sich durch fast zerquetschte Zehen aufhalten zu lassen. Es schien sogar so, als wolle er tatsächlich davon rennen... Wie naiv. Ich war schneller als er. Keinen Meter kam er, da schubste ich ihn auch schon gegen die Kühlerhaube. Vom Aufschlag und plötzlichen Angriff überrascht hielt er sich an dieser fest, krampfhaft, als könne diese ihn retten. Ich konnte schon regelrecht spüren, wie sich diese Fragen der Ungewissheit unter seiner Panik aufwallten... So ließ ich mir Zeit. „Wie, Gale? Du wunderst dich, wieso ich so stark bin um dich festzuhalten? Wieso ich so schnell war um unter einer Sekunde um das Auto herum gelaufen zu sein? Du weißt so wenig... Umso weniger schmerzt es Abschied zu nehmen." Die traurige Scheinheiligkeit schien ihn wohl nicht zu beruhigen... Wie schade. Dabei hatte ich mir dieses Mal besonders Mühe gegeben einfühlsam zu wirken...

„B-B-B-B-" „B-B-Bitte? Ich bin erschüttert. Wirklich. Denkst du, du könntest irgendwen da drinnen erreichen?" Dabei schien meine Fröhlichkeit wohl schlagartig weg zu sein, war nun eher voller rhetorischer Fragen... So zeigte ich mir mit leicht erhobenen Augenbrauen auf den Kopf, während ich mit der anderen Hand Gale immernoch gegen die Kühlerhaube drückte, als wäre er nur eine Limodose. Kurz gesagt: Es sah von außen so aus, als würde eine junger, harmlos aussehender Mann, vielleicht sogar ein Teenager, einen großen, älteren Mann ohne großer Mühe festhalten.

Allerdings sagten die Gesichtsausdrücke von uns etwas komplett unterschiedliches. Wie gut, dass wir keine Zuschauer hatten... Diese würde ich wohl ebenso "aufklären" müssen.

Als der Mann nur so zitterte vor Angst und ihm schon Tränen über das Gesicht ronnen näherte ich mich ganz leicht wieder und erschien mit meinem Mund neben seinem Ohr. „Ich bin der Schatten, der immer da bleibt... Fürchte mich mehr als der Albtraum. Denn dieser ist auch nur ein Traum... Realeres wirst du nicht mehr kennenlernen, denke ich." Bei dem letzten Satz erschien wieder dieses verspielte, belustigte Lächeln, wovor sich meinen Opfer wohl so sehr fürchteten...

Der Mann bewegte den Mund, schien etwas sagen zu wollen, aber ich spürte, dass es etwas anderes war als diese jämmerlichen Flehversuche. „Du... D-Du kannst m-mir nichts tu- un... Sie... Sie werden dich... sie Wer-werden dich gefangen n-n-nehmen!" Unbeeindruckt sah ich ihm in die Augen. War da kurz tatsächlich sowas wie ein Hoffnuns- oder gar Siegesfunken in seinen Augen gewesen? „Oh nein... Das konnten sie nie."

Ehe er schreien konnte blieb ihm der Schrei im Halse stecken, als meine Augen sich schwarz färbten und meine Adern unter den Augen dunkel hervorkamen. Doch was wohl am verräterrischsten war... Ja das waren meine spitzen, länger gewordenen Eckzähne. Und sie waren es nicht gewohnt lange auf ihre Pflege zu warten... Kaum eine Sekunde darauf triefte schon das Blut an ihnen herab. Tropf, tropf, tropf... Langsam auf den Boden. Der Mann war endlich still. Ich hatte ihm mit einem Biss die Mandeln aufgeschlitzt.

Ich hätte auch nichts gegen ein wenig Geschrei gehabt, als ich dem Mann die Kehle mit meinen Vampirzähnen aufschlitzte. Eigentlich war es manchmal sogar ganz amüsant zu sehen, wie doch tatsächlich manche versuchten zu helfen. Gegen einen so harmlosen Jungen... Oh, wie oft ich schon darüber innerlich, manchmal auch äußerlich lachen musste... Und nein, nicht eines dieser bösen Schurkengelächter oder dergleichen. Es war so viel... Schlichter. In jeder Variante harmlos und doch effektiv, wenn ich es Richtung verwendete. Es verunsicherte die Leute... Und ja, das ist etwas, was ich liebend gerne genoss... Andere zu verunsichern.

Und ich hatte Gale nicht angelogen. Man hatte mich niemals geschnappt, nicht mal als sie es versuchten. Ich bin Nathan Bailey. Was? Ihr habt nicht von mir gehört? Seht ihr? Einer der so vielen Beweise meiner unergründeten Existenz. Leider verstand es niemand wirklich... Niemand konnte die Zeichen deuten. Und deshalb stand ich nun da. Circa dreihundert Meter entfernt von Mystic Falls, auf einer Landstraße, von Bäumen umkreist, mit Auto und Leiche.

Ich war natürlich nicht ohne Plan losgezogen. Ich gebe zu, das tat ich oft bei vielen Dingen... Aber mein Talent lag in der Improvision. So hatte bei der Tankstelle vor dreißig Minuten Gale nicht gemerkt, dass unter dem Sandkastenspielzeug seiner Kinder und der Hundedecke seines Hundes ein paar Dinge waren, die vorher nicht dort waren. Soetwas wie Benzin... Sehr viel Benzin. Wenn ich Aufsehen erregte, dann ordentlich.

So packte ich den leblosen Körper des Mannes in Hokzfällerhemd, zog ihn schleunigst zu der Fahrertür und setzte ihn dort hinein. Seine zwei kleinen Töchter strahlten ihn aus einen Bild, welches hinter den Rückspiegel geklemmt war, mit weißen Milchzähnen an. Kurz sah ich zu den Mann. Seine Augen: Starr, leblos, wie aus Glas. Sein Gesicht: Unentspannt, verzerrt. „Na na na... So guckt man seine Kinder nicht an. Nicht voller Blut." So kam mir eine tolle Idee. Der erste Hinweis in einer neuen Stadt. So schnappte ich mir das Foto der Kinder und tunkte meine Finger mit einem neu-euphorischen Blick in sein Blut. Vorichtig schrieb ich mit der Farbe des Lebens auf die blanke Seite.

„Bald sehe ich dich wieder. Ich weiß, dass du da bist. Ich wusste immer, dass du noch da bist. Du wirst sehen. Ich war dein Schatten. Und wenn du dich endlich umdrehst, nicht mehr rennst, sondern siehst... Dann weißt du es auch..."

Live and let die (The Originals) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt