Kapitel 3

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Als Roxanne in der Woche darauf das Frazier's zum Schichtbeginn betrat, sah sie sofort die deutliche Veränderung im Vergleich zum letzten Mal. Im hinteren Teil des Raumes stand ein großer Weihnachtsbaum, den zwei der anderen Kellnerinnen gerade schmückten. Dafür musste eine von ihnen auf eine Leiter steigen, während die andere die Dekoration zu ihr hoch reichte. Carol stand prüfend neben dem Baum und überwachte jede einzelne Veränderung.

„Nein, das muss höher. Ich habe doch gesagt, ihr sollt auf die Symmetrie achten."

„N'Abend, Carol!", begrüßte Roxanne sie viel selbstbewusster als letztes Mal.

Carol wandte den Blick zu ihr und musterte die neue weiße Bluse, die diesmal viel besser saß. Roxanne hatte ihre Mutter zu einem Shoppingausflug überreden können. Außer der Bluse fiel auch überraschenderweise eine harmonische Stunde zwischen Mutter und Tochter dabei ab.

Carol nickte. Sie würde ihre Zufriedenheit nicht zur Schau stellen, dachte Roxanne, aber eine Spur davon konnte sie dennoch ahnen. Sie sah wieder zu dem Weihnachtsbaum und gab überraschenderweise zufriedene Geräusche von sich.

Roxanne ging mit ihrem Mantel über dem Arm zur Garderobe und hängte ihn dort auf. Der kleine Raum fungierte auch als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Roxanne schaute sich nach einem Ort um, wo sie ihre Handtasche lassen konnte. Beim letzten Mal hatte sie sie auf einen der Stühle gelegt, aber nun, da sie eine vollwertige Mitarbeiterin war, wollte sie herausfinden, ob bestimmte Schränke vorgesehen waren. Sie hoffte, dass gleich einer der Kollegen zufällig vorbeikommen würde, damit sie danach fragen könnte.

Sie sah sich weiter um und stutzte. An einem der Garderobenhaken hing an einem Kleiderbügel ein kirschrotes Kleid. Es glänzte und sah ungemein elegant aus. Roxanne fragte sich, warum jemand so etwas vor oder nach einer Schicht im Frazier's tragen würde. Sie dachte daran, wie schweißgebadet sie selbst beim letzten Mal gewesen war – aber sie war wohl auch nicht der Maßstab.

Sie hörte Schritte. Sehr gut. Aufmerksam richtete sie ihren Blick auf die Tür.

„Hi!", hörte sie von der Person, die gerade den Raum betrat.

Aber es war, als hinkten ihre Reaktionen hinterher. Sie war gerade noch dabei, die Daten ihrer Sinne abzurufen. Gleichzeitig wollte sie schon den Gruß erwidern.

„Hallo!"

Vor ihr stand eine elegante, schlanke, junge Frau mit rotbraunen Haaren. Sie war wohl etwa in ihrem Alter. Sie trug eine legere Jeans und ein einfaches, dunkles Langarmshirt. Auffällig war aber die wilde Kombination zu den Highheels mit Pfennigabsatz. Damit bekam sie eine Körperhaltung wie eine griechische Statue.

„Na, alles klar?", fragte die Fremde und schien zu schmunzeln.

Hoffentlich hatte Roxanne nicht den Mund offen stehen gelassen.

„Ja, hi, ich bin neu hier."

„Freut mich. Ich bin Grace", sagte sie und schüttelte mit einem kräftigen Händedruck die Hand. Sie war so warm und so natürlich.

„Ich bin-"

„Kindchen, wo bleibst du?", verlangte Carol, als sie in die Garderobe stürmte.

Roxannes Herz rutschte in die Hose. Sie hatte nicht auf die Uhr gesehen. Hoffentlich hatte sie nicht zu lange Grace angeschmachtet und darüber den Schichtbeginn vergessen.

„So, komm, eine Sache fehlt noch." Carol fummelte ungefragt an Roxannes Oberkörper herum. Roxanne hatte gar keine Zeit, sich zu erschrecken oder einen Aufstand zu machen, weil sie sich unsittlich berührt fühlte. Als sie das nächste Mal an sich herunterschaute, hing ein kleines Plastiknamensschild an ihrer Bluse auf der Höhe der linken Brust. Von ihrer Sichtweise her stand es unangenehm vom Körper ab, aber besser ließ es sich wohl nicht richten.

With your heart so brightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt