Kein Weg ist zu weit

5 2 0
                                    


 Gedankenverloren starrte Lou in die Glut. Es war nun schon einige Stunden her, dass sie mit den bewusstlosen Zwillingen ins Lager gekommen waren.
Die Glut knackte und Funken stoben auf. Kein anderes Geräusch war zu hören. Nur der Nachtwind, der mit leisen rascheln durch die Blätter der Bäume strich.

Es verwunderte Lou zu tiefst, dass Seelenklopfer ihre Gabe offenbar nicht nutzen konnten, ohne dabei selbst ohnmächtig zu werden. Generell hatte sie sich Seelenklopfen irgendwie... furchteinflößender vorgestellt.
Als Fura und Liam ihre Gabe benutzten, hatte Lou es zuerst gar nicht mitbekommen. Erst als die Soldaten, wie von einer Druckwelle erfasst, umgefallen waren, hatte sie verstanden was da vor sich ging.

Müde rieb sie sich die Augen. Schon wieder eine schlaflose Nacht.
Draußen vor dem Fenster ihres Baumhauses ertönte der Ruf einer Eule.

Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Falltür. »Was ist?«, murmelte Lou und unterdrückte ein Gähnen. Als sie sich umdrehte um blickte sie direkt in Keans vor Begeisterung glänzenden, himmelblauen Augen.

»Ich habe wichtige Neuigkeiten Fuchslist!«, seine Stimme überschlug sich vor Aufregung. Mit schräg gelegten Kopf betrachtete Lou ihren Offizier. Was konnte nur so wichtig sein das er dermaßen aufgeregt war?

»Lou«, keuchte Kean und klettert in Windeseile ins Baumhaus, »ich habe von einem Drachen geträumt!«

Ein Blatt wirbelte durch das offene Fenster hinein und ließ es raschelnd über den Boden tanzen. Der Wind heulte und pfiff klagend zwischen den Ästen der Bäume umher.

»Und was«, murmelte Lou so leise, dass der Wind sie beinah übertönte »bedeutet das?«
Mit vor Freude funkelnden Augen blickte Kean sie an. »Na, das er uns im Kampf gegen König Ravitan helfen will. Ich habe in meinen Traum mit den Drachen gesprochen«. Über die maßlose Begeisterung in seiner Stimme musste Lou leise schmunzeln. »Er meinte, wir sollen so schnell wie möglich zu ihm kommen, weil er uns etwas Wichtiges zu sagen hätte«, er runzelte die Stirn bevor er fort fuhr: »Ach ja die beiden Seelenklopfer sollen wir auch mitbringen. Ich weiß zwar nicht warum, aber was soll's«.

Nachdenklich neigte Lou den Kopf, nickte und fragte: »Und wann meinst du sollten wir aufbrechen?«, als sie den Blick wieder hob schimmerte Sorge in ihren Augen. »Es ist ein weiter Weg nach Draona ... und wir müssen vor Ablauf der Frist des Königs wieder hier sein«, murmelte Lou mehr zu sich selbst und kaute auf einer Haarsträhne herum. »Wie stellt der Drache sich das vor?«
Aufmerksam blickte Kean Lou in die Augen. »Dazu wollte ich noch kommen Lou«, mittlerweile hatte seine Stimme wieder die gewohnte Ernsthaftigkeit zurück gewonnen. »Der Drache hat mir gesagt, wo wir vier Windhengste finden«, fuhr er fort. »Die Hengste sollen uns erst nach Surlmaru bringen. Dort sollen wir mit der Königin sprechen die uns, wie mir von Seiten des Drachens versichert wurde, Hilfe zukommen lassen wird. Dann reiten wir nach Draona, treffen dort den Drachen und dann bringen uns die Windhengste wieder zurück«.

Grinsend blickte Lou ihren Offizier an. So kannte sie Kean. Immer alles zuverlässig und genau geplant.

Was der Drache wohl wollte überlegte Lou. Warum hatte er sich, ausgerechnet jetzt dazu entschieden ihnen zu helfen? Wie auch immer, die mächtigsten Echsen der Welt würden in ihrer Allwissenheit schon die richtige Entscheidung treffen.

Gut«, gähnte sie und streckte sich. Ein wenig aufgeregt war Lou schon, auch wenn sie es gekonnt überspielte. »Dann sag bitte den Zwillingen Bescheid, dass wir bei Morgengrauen aufbrechen«.

Die Sonne färbte den Himmel über dem Meer in ein blutiges rot. Der Nebel, der wie ein feiner Silberschleier über den stahlgrauen Wellen hing, hatte sich beinah vollständig verflüchtigt. Der grobkörnige Sand knirschte unter Lous Lederstiefeln. Die Luft war erfühlt vom Rauschen und Schäumen des Meeres. Die Luft schmeckte nach Salz und der Geruch von Fisch wehte über den kargen Strand. Die Schreie der Möwen mischten sich in das Heulen des Windes, welcher an den schroffen Küstengegenden von Jarana nahe zu immer unbarmherzig heulte.

Die Zwillinge sahen immer noch etwas kränklich aus, schienen sich aber von der Nutzung ihrer Gabe weitestgehend erholt zu haben.

Neben einen schroffen Schieferbrocken standen vier große, eisgraue Hengste. Mähne und Schweif waren schneeweiß und lockig. Windhengste. Die schnellsten Pferde unter der Sonne. Einer der Hengste schnaubte leise und scharrte mit den Hufen im Sand. Die klugen, dunklen Augen der Tiere vermittelten den Eindruck als würden sie gerne so schnell wie möglich verschwinden. Was ja auch kein Problem werden dürfte. Schließlich konnten Windhengste, dank ihrer magischen Fähigkeiten, fliegen. Dass sie hier auf sie warteten, um sich reiten zu lassen, lag sicherlich nur daran, dass der Drache auch mit ihnen gesprochen hatte. Für gewöhnlich ließen Windhengste es nicht zu, dass Menschen sich ihnen auch nur näherten.

Langsam trat Lou auf einen der Windhengste zu. Die großen, dunklen Augen des Hengstes folgten ihr. Dann kniete der Windhengst sich in den fechten Sand und ließ Lou aufsteigen.
Das Fell des Tieres war seidenweich. Als er sich wieder aufrichtete wäre Lou beinahe von seinem Rücken gerutscht.

Mit funkelnden Augen drehte Lou sich zu Fura, Liam und Kean um. »Na, dann mal los. Je eher wir aufbrechen umso schneller sind wir in Surlmaru!«, rief sie übermütig.  

RabenkönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt