Prolog

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Eine Schleiereule flog in weiten Kreisen über der Burg.
In ihren nachtschwarzen Augen spiegelten sich die Sterne. Aus den Schornsteinen der Häuser ringsum stiegen Rauchsäulen auf und wanden sich, kräuselnd und fliehend, himmelwärts.
Die Eule flog lautlos tiefer.
Sie merkte, wie es ihr immer schwerer fiel menschliche Gedanken zu denken. Sie war schon zu lange in dieser Gestalt.
Fuchslist und ihre Ideen!

Der Wind riss an den Schwungfedern der Eule. Genauer gesagt an den Federn von Nima, der Spionin von Fuchslist, in Gestalt einer Schleiereule.
Ihr Auftrag war es, die Burg aus der Luft zu beobachten. Das Problem dabei war, dass Nima Vögel hasste. Aber sonst konnte ja leider, mal abgesehen von den Drachen und Fledermäusen, kein Tier fliegen. Fledermäuse waren noch schlimmer als Vögel. Dieses Flattern war einfach unerträglich. In Drachen konnte man sich leider nicht verwandeln. Ganz zu schweigen davon, dass sie alles andere als unauffällig waren.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und es wurde stockfinster. Trotz der Dunkelheit konnte Nima noch alles gestochen scharf erkennen.
Jetzt war es doch ganz gut eine Eule zu sein.
Das Land unter ihr war samtig schwarz. Nur ein Fluss schillerte leicht silbrig in der Tiefe. Abgesehen vom Rauschen des Windes und dem vereinzelten Rascheln von Tieren, war es still.
In den Fenstern der Burg brannte Licht. Es sickerte hinaus, verbreitete auch noch ein paar Meter davor seinen goldenen Schein und strömte in die trübe Finsternis der Nacht.
Nima flog tiefer. Sie hörte wie die Pferde, in den Boxen unter ihr, unruhig im Schlaf mit den Hufenscharrten.
Sie glitt an dunklen Fenstern vorbei und konnte kurz einen Blick in die Zimmer dahinter werfen. Selbst im Dunklen glitzerte das Gold. Nima landete auf der Fensterbank von einem der erleuchteten Zimmer.
Treffer!
Es war ein eher schmuckloses, kleines Zimmer. In den Raum standen zwei Männer.
Der eine redete entrüstet auf den anderen ein. »Und dann befiehlt er mir, den Rebellen eine Botschaft zu überbringen. Wie soll ich das machen? Niemand weiß wo sie ihr Lager haben. Soll ich einfach in den Wald gehen und nach ihnen rufen, oder was? Das ist unmöglich!«, schnaubte er entrüstet.

Ein heftiger Windstoß erfasste Nima und hätte siebeinahe von der Fensterbank gefegt. Sie kreischte und ihr Schrei hallte durch die Stille der Nacht.
Am liebsten hätte sie sich jetzt zurück verwandelt. Aber das ging natürlich nicht. Zum einen flog sie und zum anderen war die Verwandlung unglaublich schmerzhaft. Schon beim bloßen Gedanken daran drehte sich der Gestaltswandlerin der Magen um.

Nima schüttelte ihren Eulenkopf. Das war jetzt unwichtig.
Sie musste sich darauf konzentrieren, dass sie diesen Hinweis zu Fuchslist brachte.
Was bedeutete, dass sie sich so schnell wie möglich durch den Sturm zum Waldlager kämpfen musste. Ja, mittlerweile hatte sich der Wind in einen ausgewachsenen Sturm verwandelt.
Nima hörte nichts mehr, außer dem Rauschen und Pfeifen des Sturms.
Sie folg so schnell wie sie konnte nach Süden.
Regen klatschte in ihr Eulengefieder. Sie glitt durch die Baumkronen und sauste in Höchstgeschwindigkeit zwischen den Bäumen hindurch. Ihre Schwungfedern streiften die Borke eines Baumes.

Das Lager kam immer näher und sie bereitete sich auf die Rückverwandlung vor.
Ein heftiger Schmerz ließ Nima erschauern.
Es war, als würde sie von tausend Schwertern durchbohrt.
Sie kniff die Augen zusammen, versuchte nicht zuschreien und ignorierte den Schmerz ausnahmsweise so gut es ging.
Als ihre, jetzt menschlichen Füße den Boden berührten, rannte sie so schnell sie konnte in das Lager und schrie: »Fuchslist!«

RabenkönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt