Kapitel 11

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Die Jugend will lieber angeregt als unterrichtet sein.
(Johann Wolfgang von Goethe)

Aufwachen, Dornröschen!“, grölte Xemerius am nächsten Morgen in mein Ohr. „Der Schönheitsschlaf ist vorbei!“
Ich zog die Decke weit über meinen Kopf und murmelte: „Nur noch fünf Minuten!“
„Nix da!“, rief Xemerius und ich spürte etwas Kühles durch die Bettdecke, als er sich auf meinen Bauch setzte. „Du musst doch in die Schule!“
Genervt schlug ich die Decke weg und setzte mich auf. Dann stellte ich fest: „Ich brauche dringend Urlaub.“
„Nee“, meinte Xemerius. „Vorher musst du noch die Welt retten. Oder so ähnlich.“
Zu gerne hätte ich dem kleinen Wasserspeierdämonen jetzt über den Kopf gestreichelt, aber das ging ja nicht. Außerdem glaubte ich nicht, dass er sich das gefallen ließe.
Das Frühstück fiel relativ unspektakulär aus. Außer dass Charlotte ziemlich unruhig, aber nicht mehr so überdreht wie gestern wirkte.
Ihre Nervosität verstärkte sich dann, je mehr wir uns der Schule näherten.
„Hast du heute ein Referat oder so?“, fragte ich sie daher.
„Nein“, erwiderte sie. „Warum fragst du?“
„Na, weil du irgendwie total durch den Wind bist.“
„Mit mir ist alles in bester Ordnung“, versicherte sie. „Ach, und wir trainieren heute nach der Schule eine Stunde, bevor ihr elapsiert. Wenn du willst, kann Leslie auch mitkommen.“
„Okay, ich frage sie.“
Wir bogen auf den Schulhof ein, wo einige Schüler in kleinen Gruppen beisammenstanden und vermutlich über den Schulball redeten. Eines dieser Grüppchen bestand aus Sarah, Brian, Gordon und Cynthia.
Charlotte winkte ihnen zu.
Gordon schien der Einzige zu sein, der sie bemerkte und winkte kurz zurück.
Daraufhin wurde Charlotte ganz rot im Gesicht (natürlich nicht so rot, wie Mr Marley) und lächelte.
Jetzt schnallte ich es endlich: Charlotte war in Gordon verknallt!
Das erklärte dann auch ihre gute Laune.
„Viel Glück!“, flüsterte ich ihr zu, woraufhin sich ihr Lächeln noch vertiefte.
Ich ging unterdessen zu Leslie und Raphael, die ich auf der anderen Seite des Schulhofs entdeckt hatte.
„Ich soll dir schöne Grüße von meinem Bruder ausrichten“, sagte Raphael. „Und einen Kuss. Natürlich nur symbolisch. Und er freut sich auf eure Mission am Nachmittag.“
„Danke. Ich hab schon eine SMS von ihm bekommen“, meinte ich.
„Oh, verstehe. Leslie hat mir schon von euren gestrigen Zeitreisen erzählt. Und von eurem Plan.“
„Den finde ich übrigens super-klasse!“, fügte meine beste Freundin hinzu. „Mann, der ist garantiert bomben-sicher!“
„Das hoffe ich doch. Aber mir wäre es lieber, wenn das ganze Treffen ruhig ablaufen würde und wir Plan B gar nicht bräuchten“, sagte ich.
„Es ist trotzdem gut, wenn ihr sicherheitshalber noch Ass im Ärmel habt“, meinte Leslie.
„Du kannst heute mit ins Hauptquartier kommen. Charlotte würde uns ein bisschen Krav Maga beibringen“, sagte ich zu meiner besten Freundin.
„Ja, gerne, das klingt super!“, meinte Leslie.
Da klingelte die Schulglocke. Wie ich dieses Geräusch hasste.

„Das ist echt anstrengender, als ich dachte!“, keuchte Leslie.
„Oh, ja!“, stimmte ich ihr nach Atem ringend zu.
„Wollt ihr eine Pause?“, fragte Charlotte, die die Einzige war, die nicht außer Puste war.
„Ich glaube, wir sollten jetzt aufhören“, meinte ich. „Ich muss gleich zu Madame Rossini, mich umziehen.“
„Kann ich noch da bleiben?“, fragte Leslie.
„Klar“, meinte ich. „Komm doch mit in ihr Atelier.“
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.
„Ich komme gleich nach!“, rief Charlotte, als wir den Raum verließen.
Madame Rossini erwartete uns bereits, als wir ihr kleines Atelier betraten.
„Wen ‘aben wir denn ‘ier?“, fragte sie, als sie Leslie sah. „Das ist ja la petite Sommersprosse!“
Leslie lachte. „Es freut mich auch, sie wieder zu sehen, Madame Rossini.“
Die Kostümbildnerin reichte mir ein Kleid in Creme und Himmelblau. „Das ‘ier sollst du bitte anziehen.“
„Okay“, meinte ich.
„Gut, dass du deine ‘aare seit gestern nischt mehr gewaschen ‘ast. So muss ich dir ‘eute wenigstens keine Löckschen mehr machen.“
„Soll ich dir helfen?“, fragte Leslie, als sie merkte, dass ich Probleme mit dem Verschluss hatte.
„Oh, nein!“, rief Madame Rossini. „Dieser Knopfverschluss ist wirklisch sehr empfindlisch. Isch mache das schon.“
Leslie ging einen Schritt beiseite, damit Madame Rossini das Kleid zumachen konnte. Es hatte weite Ärmel und war schulterfrei. Der Rock war ziemlich bauschig.
„Normalerweise trägt man dazu einen Unterrock, aber isch denke, den können wir ‘eute weglassen“, erklärte Madame Rossini.
„Aber was ist mit der Authenzität?“, fragte ich.
„Ihr werdet nur fünfzehn Minuten dort sein“, meinte sie. „Das reicht schon. Der kleine Rebell muss auch keine Perücke tragen, wie es sich normalerweise ge’ört.“
„Wo steckt Gideon eigentlich?“, fragte Leslie. „Wir haben ihn heute noch gar nicht gesehen.“
„Giordano bereitet ihn vor. Und Monsieur de Villiers wollte noch etwas mit ihm besprechen. So, was machen wir mit deinen ‘aaren, Schwanen’älschen?“
Madame Rossini nahm die obere meiner Partie meiner Haare und band sie an meinem Hinterkopf zusammen. Der Rest der Haare fiel mir in kleinen Locken offen über die nackten Schultern.
Da betrat Charlotte den Raum. „Ich hab gerade Gideon getroffen. Er hat gesagt, dass heute auch gleich die dritte Mission stattfinden soll.“
„Impossible!“, rief Madame Rossini entsetzt. „Das kann nischt ihr Ernst sein! Wie soll isch denn das schaffen?“
„Ich kann Ihnen helfen“, meinte Leslie.
„Bien, dann komm mal mit, wir müssen in den Kostümfundus“, sagte Madame Rossini.
Charlotte schnappte meine Hand. „Und wir müssen ganz schnell los!“
Ich versuchte mit ihr Schritt zu halten, aber mit diesen seltsamen Knopfstiefelchen, die Madame Rossini mir gegeben hatte, war das gar nicht so einfach. „Wo wollen wir denn hin?“
„In ein Haus in der Nähe des Buckingham Palace. Die anderen sind schon vorausgefahren“, erklärte sie.
Vor dem Hauptquartier der Wächter wartete bereits Mr Marley mit der Limousine.
„Es gab eine kleine Planänderung“, sagte Mr Marley.
„Das wissen wir bereits“, sagte Charlotte und half mir in die Limousine.
Mr Marley folgte uns. „Fahren sie los!“, rief er dem Fahrer zu. Dann setzte sich der Wagen auch schon in Bewegung.

Bernsteingold -Liebe geht durch alle ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt