Kapitel 5

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Aus den Analen der Wächter
14.Juli 1912
Parole des Tages: Nihil fit sine causa. - Nichts geschieht ohne Grund.

Lady Tilney bat uns, den üblichen Elapsier-Termin auf 14 Uhr vorzuverlegen. Es war ein ruhiger Nachmittag. Wir unterhielten uns und tranken Tee.
Sie erzählte uns von einem Maskenball, auf den sie heute Abend gehen wolle. Es klang sehr interessant. Timothy und ich überlegen, ebenfalls unserer alten Bekannten Lady Ivory einen Besuch abzustatten.
Keine besonderen Vorkommnisse.

Bericht: Jonathan de Villiers, Innerer Kreis

Heute kam es mir vor, als würde der Tag gar nicht vergehen wollen. Ich freute mich schon sehr auf heute Nachmittag. Denn da würden wir endlich den Maskenball mit Lucy und Paul besuchen.
Charlotte ignorierte mich weitgehend. Sie hatte mich heute Morgen noch nicht mal begrüßt, geschweige denn mich gefragt, wohin ich letzte Nacht verschwunden war. Das einzige, was ich hinterlassen hatte, war ein Zettel mit folgender Nachricht: ‚Bin ein paar Tage weg. Brauche Ruhe. Keine Sorge. Gwendolyn.’

Lucas wartete bereits auf uns, als wir im Drachensaal des Jahres 1967 ankamen. „Beeilt euch!“, rief er und drückte mir ein gold-violettes Kleid in die Hand. Gideon bekam ein Outfit in beige und schwarz. „Zieht euch schnell um, wir haben nicht viel Zeit!“
Mein Großvater wartete vor der Tür, während wir uns anzogen. Mein Kleid war bei weitem nicht so schön wie das vom Ball des Grafen, aber doch ganz annehmbar.
„Wieder einmal umwerfend, wie du aussiehst“, sagte er und küsste mich zärtlich. Trotz des Gehrocks und der Pumphosen sah Gideon richtig sexy aus.
„Seid ihr fertig?“, fragte Lucas.
„Ja!“, rief ich.
Lucas brachte uns die Perücken. Er war zwar nicht Madame Rossini, aber irgendwie bekam er es doch fertig, die Ungetüme auf unseren Köpfen zu montieren. Dann reichte er uns auch noch die Masken. Meine war gold mit violetten Schnörkeln und Federn, die perfekt zu meinem Kleid passten. Sie verdeckte mein Gesicht nur zur Hälfte. Die von Gideon hatte dieselbe Form wie meine, war allerdings komplett schwarz.
„Jetzt haben wir schon eine halbe Stunde verschwendet!“ Lucas fuhr sich nervös durch die Haare. „Kommt mit!“
Wir folgten ihm durch Teile der Gänge, in denen ich noch nie gewesen war, bis zu einer Tür, vor der ein kleines Kästchen stand. Darin befand sich der Chronograf.
„Euch bleiben noch drei Stunden“, mahnte uns Lucas. „Ich werde hier auf euch warten.“ Er reichte Gideon einen Schlüssel. „Den werdet ihr brauchen.“
Ich drückte meinen Zeigefinger in die Klappe unter dem Rubin und schon verschwamm alles um mich herum in rubinrotem Licht.

Die Gänge hier sahen nicht anders aus, als in unserer Zeit. Auch die Tür sah immer noch so aus, wie vorhin, nur dass der Chronograf und Lucas verschwunden waren.
Gideon öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den Lucas uns gegeben hatte. Auf der anderen Seite erwarteten uns schon Lucy und Paul. Wegen der Perücken hätte ich sie fast nicht erkannt. Sie waren ähnlich kostümiert wie wir. Lucys Kleid war aus einer zartblauen Seide gemacht und Paul trug einen bordeauxroten Gehrock mit passenden schwarzen Kniehosen dazu. Sie hatten auch wunderschöne Masken, die das ganze Gesicht verdeckten.
„Wo sind wir?“, fragte ich, nachdem wir uns begrüßt hatten.
„In Lady Ivorys Keller“, erklärte Paul. „Kommt, der Ball hat bereits begonnen. Setzt eure Masken auf.“

Der Ball des Grafen war nichts im Vergleich zu dem hier. Die Roben waren noch viel glamouröser, die Perücken viel kunstvoller und die Masken verliehen dem Ganzen noch das gewisse Extra. Das Haus, nein, die Villa von Lady Ivory war viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Die hohen Räume und massiven Säulen erinnerten mich an einen griechischen Tempel.
„Da seid ihr ja endlich!“ Ich erkannte Lady Tilney trotz der Maske. „Wie schön, dass ihr kommen konntet. Ich muss sofort Eleanor berichten, dass ihr eingetroffen seid.“
“Leider werden wir nicht lange bleiben können.“, sagte Gideon.
„Das macht doch nichts“, meinte Lucy strahlend. „Hauptsache, ihr seid hier.“
„Wie spät ist es?“, fragte ich.
„Kurz nach halb zehn“, antwortete Paul nach einem Blick auf seine goldene Taschenuhr.
Also war es noch etwa zweieinhalb Stunde, bis wir die Masken abnehmen durften.
Da tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um und vor mir stand eine wunderschöne junge Frau. Sie trug ein mitternachtsblaues Kleid mit zarter, silberner Stickerei. Eine Maske wie ihre hatte ich noch nie gesehen. Es musste eine Art Drahtgestell sein, mit vielen Schnörkeln und sie war silbern.
„Ja?“, fragte ich. „Kann ich Ihnen helfen?“
Die junge Frau kicherte. „Ich bin es. Helena.“
Helena? Die italienische Zeitreisende? Ja, sie war es wirklich.
Und hinter ihr stand offenbar Benjamin. Sein Gesicht wurde allerdings von einer langnasigen, schwarzen Maske verdeckt.
„Was macht ihr hier?“, flüsterte ich.
„Na was wohl?“
Jetzt wandte sich auch Gideon zu uns um. „Helena? Benjamin? Ihr seid auch hier?“
„Bekannte von euch?“, fragte Lucy.
„Könnte man so sagen“, meinte Gideon.
„Woher wusstet ihr, dass wir hier sind?“, fragte ich.
„Dein Großvater hat es uns erzählt“; erklärte Helena. „Wir dachten, wir bräuchten auch mal Abwechslung.“
„Woher kennt ihr euch denn?“, fragte Lucy neugierig.
„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Gideon.
Paul lächelte. „Keine Sorge, Kleiner. Wir haben Zeit.“

Bernsteingold -Liebe geht durch alle ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt