Kapitel 7

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Sei nicht allzu ängstlich, was deine Handlungen angeht.
Das ganze Leben ist ein Experiment.
(Ralph Waldo Emerson)

Setzt euch doch.“, sagte Falk, als wir die Tür zu seinem Büro geschlossen hatten. Er wies auf zwei Stühle, die vor einem großen Schreibtisch standen. Er selbst saß dahinter, auf einem bequem aussehenden Lehnsessel. „Es gibt Neuigkeiten.“
Xemerius ließ sich auf meinem Schoß nieder und spitzte neugierig die Ohren.
„Ich hoffe doch, es sind gute“, meinte Gideon und versuchte ein Lächeln. Die Nervosität war ihm aber anzumerken.
„Tja, das werden wir herausfinden.“ Falk nahm ein Blatt Papier aus einer Schreibtischschublade.
„Was ist das?“, fragte Gideon, obwohl er ganz genau wusste, um was es sich handelte.
„Giordano ist in Shakespeares Tagesbüchern auf eine Prophezeiung gestoßen“, sagte der Großmeister ohne weitere Umschweife.
Gideon fiel es leichter, so zu tun als wäre er überrascht. „Eine Prophezeiung? Sie hat doch nicht etwa mit uns zu tun?“
„Anscheinend doch. Aber so genau weiß ich das nicht.“
„Dürfen wir sie sehen?“, fragte ich.
Falk betrachtete das Blatt einen Moment nachdenklich, dann reichte er es Gideon. Ich beugte mich zu ihm hinüber und auch Xemerius reckte den Hals, um besser sehen zu können.

Den Adler in einen Käfig zu sperren ist nicht genug.
Es wimmelt nur so von Betrug.
Seine Unsterblichkeit ist dahin für immer,
doch mit dem Altern kommt auch das Reisen wieder.

Zwölf Steine enthält der Kreis,
doch ein Chronograf verbirgt etwas, das keiner weiß.
Erst wenn alle versammelt sind,
Das Geheimnis Erkenntnis bringt.

Das Ziel ist nicht mehr weit.
Die Offenbarung der Unsterblichkeit,
das Mittel um zu Reisen in der Zeit.

„Was denkt ihr?“, fragte Falk nach ein paar Minuten.
„Konnten diese geheimnistuerischen, alten Säcke nicht schon damals einfach das aufschreiben, was sie wussten?“, empörte sich Xemerius. „Aus diesem unheimlich geheimen Gereime wird doch keiner schlau!“
Da stimmte ich ihm zu. Aber ganz so kompliziert war diese Prophezeiung nun auch wieder nicht.
„Ich vermute mal, der Adler im Käfig soll der Graf im Gefängnis sein“, sagte ich.
„Da könntest du Recht haben“, meinte Falk.
„Wo habt ihr ihn eigentlich eingesperrt?“, fragte Gideon.
Falk gab ein Seufzen von sich. „Es gibt eine Art Gefängnis, versteckt, hier in Temple.“
Ich schauderte. Das hieß, dass der Graf genauso gut auf der anderen Seite der Mauer sitzen konnte.
„Ihr müsst ihn gut bewachen, Onkel Falk! Wir wissen aus zuverlässiger Quelle, dass er es schaffen wird zu fliehen.“
„Eine zuverlässige Quelle?“ Falk runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Ehrlich gesagt gibt es einige Dinge, die wir beichten müssen“, sagte Gideon.
„Beichten? Klingt ja gerade so, als hättet ihr etwas verbrochen.“, scherzte Falk.
Na, dem würde sein Lachen gleich vergehen.
„Ich bin dann mal weg!“, rief Xemerius. „Den Teil kenne ich schon.“ Damit war er auch schon verschwunden.
Gideon nahm meine Hand und drückte sie leicht.
„Zuerst einmal: Gwendolyn und ich sind seit zwei Wochen ein Paar.“
Falk sagte erstmal nichts. Einen Moment lang huschten seine bernsteinfarbenen Augen zwischen uns hin und her.
„Tja, das ist… schön.“, sagte er schließlich. „Viel Glück.“
„Das war noch nicht alles.“, erwiderte mein Freund. „Gwendolyn… Wir sind im Besitz des ersten Chronografen.”
„Aber das… Das würde ja bedeuten, Charlotte hatte Recht. Gwendolyn, woher hast du ihn?“
Ich schluckte. „Mein Großvater hat ihn in unserem Haus versteckt.“
Das Gesicht des Großmeisters war nicht zu deuten.
„Das erklärt einiges“, murmelte er nachdenklich. „Ist er noch funktionstüchtig?“
„Ja. Wir haben es ausprobiert.“, sagte Gideon.
„Ihr habt was!? Das würde ja bedeuten…“
Gideon nickte. „Der Blutkreis wurde geschlossen.“
„Der Stein der Weisen… Das Pulver… Habt ihr es?“
Gideons Griff um meine Hand verstärkte sich.
„Nun, das wäre dann Geheimnis Nummer drei.“
Er sah mich an und ich gab ihm zu verstehen, dass er weiter reden konnte.
„Ich habe es eingenommen.“
Falk sprang auf. „Du hast was getan!?“
Jetzt hatte ich wirklich Angst vor ihm. Ich klammerte mich an Gideons Unterarm.
„Alles in Ordnung da drin?“, fragte ein besorgt klingender Dr White von draußen.
„Ja, Jake. Geh weg!“, knurrte Falk und setzte sich wieder. Dann wandte er sich abermals an Gideon. „Was hast du dir nur dabei gedacht! Wie kommst du auf die Idee, dass du dazu berechtigt sein solltest, das zu tun? Weißt du wie viele Menschen ihr Leben für diese Mission gelassen haben? Nur damit du, ausgerechnet du, unsterblich werden kannst? Ich fasse es nicht! Wie konntest du das nur tun?“
„Lass mich das erklären, Onkel Falk.“, sagte Gideon, aber er wirkte plötzlich sehr eingeschüchtert.
„Darauf bin ich gespannt.“, schnaubte der Ältere und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Gwendolyn ist auch unsterblich.“
Darauf wusste Falk nichts zu sagen. Er starrte mich nur ungläubig an. „Wie…?“
„In ihr vereinigen sich zwei Zeitreise-Linien.“, erklärte Gideon.
„Aber… Das ist doch…“, stotterte er. Dann schien er sich wieder zu fangen. „Das ist noch lange keine Erklärung, warum du den Stein der Weisen genommen hast.“, sagte er zu Gideon.
„Nein, das ist es nicht, aber ich hatte keine andere Wahl. Lucy und Paul haben…“
„Lucy und Paul! Dann steckt ihr also mit denen unter einer Decke! Ich wusste ja von Anfang an, dass man Gwendolyn nicht vertrauen kann, aber du, Gideon, du enttäuscht mich maßlos!“
Falk stand auf und ging zu einem großen Kamin hinüber, in dem kein Feuer brannte.
„Es ist nicht so, wie du denkst.“, erwiderte ich.
„Ja, es war nämlich so: Lucy und Paul haben Papiere gefunden, die beweisen, dass der Graf gelogen hatte. Der Stein der Weisen soll nicht der ganzen Menschheit helfen, sondern der Graf wollte ihn für sich allein, um Unsterblich zu werden.“
„Das wissen wir doch schon. Er hat sich als Mr Whitman ausgegeben, aber dieses Problem sind wir bereits losgeworden.“, sagte Falk und mir lief bei diesen Worten ein kalter Schauer über den Rücken.
Was die Wächter wohl mit ihm angestellt hatten? Ich verspürte allerdings kein Mitleid.
Gideon seufzte. „Der Kreis des Blutes Vollendung findet, der Stein der Weisen die Ewigkeit bindet. Im Kleid der Jugend wächst neue Kraft, bringt dem, der den Zauber trägt, unsterbliche Macht. Doch achte, wenn der zwölfte Stern geht auf, das Schicksal des Irdischen nimmt seinen Lauf. Die Jugend schmilzt, die Eiche ist geweiht dem Untergang in Erdenzeit. Der zwölfte Stern, Onkel Falk. Damit ist Gwendolyn gemeint.“
Der Großmeister runzelte nachdenklich die Stirn und starrte in die kalte Asche.
„Seit ihrer Geburt fing der Graf wieder an zu altern.“, fuhr Gideon fort. „Deswegen musste er sich bei den Wächtern einschleichen.“
„Das ist ja alles schön und gut, aber warum hast du das Pulver geschluckt?“
„Nur wenn der zwölfte Stern erbleicht, der Adler auf ewig sein Ziel erreicht. Gwen hätte sich selbst umbringen müssen, damit er weiter unsterblich sein könnte. Er wollte mich auch töten. Er…“ Gideon hielt einen Moment inne und schüttelte den Kopf. „Drum wisse, ein Stern verglüht vor Liebe gequält, wenn sein Niedergang ist frei gewählt. Er hat mich erschossen, aber ich konnte das Pulver noch rechtzeitig vorher einnehmen. Lucy und Paul haben mich dazu überredet.“
„Und das war auch gut so.“, sagte ich. „Ich hätte ohne Gideon nicht weiter leben wollen.“
„Um Himmels Willen! Ihr kennt euch noch keine vier Wochen und denkt, ihr seid unsterblich…“ Er unterbrach sich selbst. „…ineinander verliebt.“
„Es ist ja auch so.“, sagte ich trotzig.
Falk seufzte. „Ich verstehe euch ja irgendwie.“ Er setzte sich wieder. „Ich war auch mal jung und habe ähnlich für jemanden empfunden. Aber was ihr getan habt… Das ist einfach unglaublich!“
„Onkel Falk, es musste sein. Wenn Gwen sich umgebracht hätte, wäre der Graf wieder unsterblich gewesen. Und keiner hätte etwas dagegen tun können.“
Gideon sah Falk an, doch dieser starrte gedankenverloren an die Wand.
Niemand sagte etwas.
Dieses Schweigen war wirklich unerträglich.
Ich beschloss, es einfach zu durchbrechen. „Wie geht es jetzt weiter?“
„Nun ja“, meinte Falk. „Rückgängig kann man es sowieso nicht mehr machen. Ich schlage also vor, dass ihr einfach nach wie vor hier elapsieren werdet. Irgendwann werden die Zeitsprünge, wie beim Grafen, aufhören. Das nehme ich jedenfalls an.“
„Und wir werden immer wieder umziehen müssen“, sagte Gideon.
„Umziehen?“, fragte ich. Daran hatte ich noch gar nicht wirklich nachgedacht.
„Ja, sonst würde auffallen, dass wir nicht altern“, erklärte er.
Ich kam mir plötzlich vor, wie einer dieser Vampire in Twilight, die auch alle paar Jahre den Wohnort wechseln mussten, um nicht aufzufallen.
„Aber vorerst bleibt ihr hier. Wir wissen ja nicht wann ihr aufhört zu altern. Außerdem seid ihr auf unterschiedliche Weisen unsterblich“, sagte Falk.
Ich musste unwillkürlich schlucken. Was wenn Gideon sofort aufhörte zu altern und ich erst in zehn oder zwanzig Jahren? Wie würde das bloß aussehen?
„Und irgendwann braucht ihr falsche Identitäten. Reisepässe, Ausweise und so weiter. Wir müssen uns umsehen, wie wir das bewerkstelligen.“
„Das heißt, du willst uns helfen, Onkel Falk?“
Zu meiner Überraschung huschte ein leichtes Lächeln über das Gesicht des Großmeisters. „Selbstverständlich. Und nicht nur ich. Auch die Wächter.“
Ach ja, da war ja noch jemand.
„Aber um wieder darauf zurück zu kommen: Woher wisst ihr, dass der Graf es schaffen wird zu fliehen? Das verstehe ich immer noch nicht ganz“, sagte Falk nachdenklich.
„Naja, wir haben eine gute Verbindung in die Zukunft“, scherzte ich lächelnd.
„Wie bitte?“, fragte Falk verwirrt.
„Ja, das ist eine lange Geschichte“, meinte Gideon.
Falk sah auf seine Armbanduhr. „Schieß los, wir wollen nicht zu viel von der Feier verpassen.“
„Es gibt noch eine zweite Zeitreiselinie, in Italien.“
„Ihr nehmt mich auf den Arm!“
„Ich wünschte, es wäre so“, seufzte ich.
„Die Details können wir dir auch ein anderes Mal erklären“, meinte Gideon. „Die letzten Beiden leben im Jahr 2024 und da ist der Graf bereits ausgebrochen. Jetzt zwingt er sie, ihren Blutkreis zu schließen, damit er wieder unsterblich werden kann.“
Falk stützte seufzend das Gesicht auf seine Hände. „Ich habe es geahnt.“
„Wie meinst du das?“, fragte Gideon.
„Als mir Giordano diese Prophezeiung gebracht hat, habe ich es geahnt. Es ist noch nicht vorbei.“

Bernsteingold -Liebe geht durch alle ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt