kapitel 3

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Nie glücklich ist,wer ewig dem nachjagt,was er nicht hat und was er hat vergisst.

Es war ein ruhiger Montagnachmittag im Alchemielabor. Man hatte Gideon und mich schon wieder ins Jahr 1904 geschickt, also konnten wir meine Eltern nicht besuchen. Schade.
Gideon saß mir gegenüber und las in einem Buch, während ich versuchte für den Biologie-Test nächste Woche zu lernen. Aber wie sollte ich das schaffen, wenn jemand wie Gideon vor mir saß?
Ich saß also, statt Bio zu lernen, einfach da und sah ihn an.
Seine wunderschönen, smaragdgrünen Augen waren auf sein Buch gerichtet und eine dunkelbraune Locke fiel ihm frech über die Stirn.
Irgendwann schien er dann zu bemerken, dass ich ihn beobachtete und er hob den Kopf.
„Was?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Gar nichts.“, meinte ich.
„Warum starrst du mich so an?“
„Ich starre dich nicht an.“
„Doch. Tust du.“
„Darf ich nicht mal mehr meinen eigenen Freund angucken?“
Er grinste. „Du solltest lieber Biologie lernen.“
„Aber Bio ist langweilig“, sagte ich und klappte das Buch zu.
Gideon klemmte ein Lesezeichen zwischen die Seiten seines Buches und legte es weg.
„Okay. Was willst du dann machen?“, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. „Alles außer Bio lernen und Walzer tanzen.“
Er lachte. Und wie ich dieses Lachen liebte!
„Wie wäre es mit einem Frage-Antwort-Spiel?“
Er stand auf und setzte sich neben mich auf das grüne Sofa.
„Was?“ Also mir wären jetzt mindestens eine Million andere Dinge eingefallen. Mindestens
„Weißt du, ich dachte, wir kennen uns erst seit kurzem und naja… wissen eben noch nicht so viel übereinander. Also das funktioniert so: Ich stelle dir eine Frage, du antwortest. Dann stellst du eine Frage und ich antworte.“, erklärte er.
Ich verdrehte die Augen. „Ich hab’ schon verstanden, was du meinst. Fang an!“
„Gut…“ Er schien zu überlegen. „Dein Lieblingsessen?
„Spargelquiche. Und deins?“
„Lasagne. Lieblingsfarbe?“
Ich sah in seine wunderschönen Augen und wusste sofort die richtige Antwort.
„Grün. Deine Lieblingsband?“
„Interessiert dich gar nicht meine Lieblingsfarbe?“, fragte er lächelnd.
„Antworte auf meine Frage!“
„Okay, es ist ‚Linkin Park’. Und meine Lieblingsfarbe ist übrigens Blau. Und deine Lieblingsband?“
„’Simple Plan’.“
„Nächste Frage!“
„Na gut.“ Vor dieser Frage hatte ich jetzt aber doch ein wenig Angst. Wollte ich die Antwort wirklich wissen? „Okay, dein erster Kuss?“
Einen Moment lang dachte ich, er würde gar nicht antworten, doch dann sagte er leise: „Charlotte.“
Zugegeben, ich hatte es geahnt, aber es versetzte mir trotzdem einen Stich.
„Oh“, sagte ich trocken.
„Scheint dich nicht besonders zu überraschen“, stellte er fest.
„Nein. Wart ihr mal zusammen?“
„Eigentlich wäre ich jetzt dran mit Fragen…“
„Lassen wir das mit dem Spiel.“
„Also schön, wie du willst.“ Er seufzte. „Nein. Und ich weiß auch nicht mehr so genau, warum ich sie damals geküsst habe.“
„Man küsst jemanden doch nicht einfach so.“
„Ich mag Charlotte wirklich, aber nicht auf dieselbe Weise wie dich.“
Ich mag Charlotte wirklich…Aus irgendeinem Grund kam nur dieser Teil des Satzes in meinem Gehirn an.
„Ich hab erst nach diesem Kuss wirklich bemerkt, dass Charlotte für mich nie mehr sein könnte als eine gute Freundin. Aber anscheinend wollte sie das nicht wahr haben.“
„Sie will es immer noch nicht wahr haben.“, korrigierte ich.
Er versuchte ein Lächeln.
„Tja, leider.“
„Wie lange ist das schon her?“
Er fuhr sich durch seine Haare.
„Ich war damals fünfzehn, denke ich.“
Fünfzehn!? Das hieß dann, dass Charlotte damals 13 gewesen sein musste. Und das wiederum hieß, dass sie zwei Jahre vor mir einen Jungen geküsst hatte. Ich hatte ja gewusst, dass meine Ex-Cousine sehr frühreif war und mir entwicklungstechnisch immer ein bisschen voraus, aber das hätte ich wirklich nicht gedacht.
„Und hast du seitdem irgendwelche anderen Mädchen geküsst?“
Ich biss mir auf die Zunge. Warum fragte ich das? Das ging mich nun wirklich nichts an.
„Ganz ehrlich?“, fragte er.
Oh, oh. Warscheinlich kam jetzt eine endlos lange Liste. Ich meine, in drei Jahren konnte schon eine Menge passieren. Und Gideon war ja nicht gerade hässlich.
„Also wenn du es mir nicht sagen willst, ist das okay.“, meinte ich.
„Nein, nein. Ich sage es dir. Es ist nur ziemlich… naja, peinlich.“
Peinlich? Gideon hatte ein peinliches Geheimnis? Also, da war ich doch ein kleines bisschen neugierig.
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
Er seufzte aus tiefster Seele.
„Außer Charlotte habe ich bis jetzt nur dich geküsst.“
„Oh“, machte ich. Mehr schien mir dazu nicht einzufallen.
„Weißt du, es ist so: Ab meinem fünfzehnten Lebensjahr wurde ich auf Zeitreisen vorbereitet und davor… Naja, um ehrlich zu sein, haben mich Mädchen davor noch nicht besonders interessiert.“
„Bis Charlotte kam“, fügte ich hinzu.
„Und auf dem Internat gab es nur Jungs.“
Ich schwieg.
Immer wieder ging mir durch den Kopf: Gideon hat Charlotte geküsst.
„Gwenny, glaub mir, das zwischen Charlotte und mir war nichts Ernstes!“
„Schon okay.“
Nein, eigentlich war es gar nicht okay.
Gideon hat Charlotte geküsst.
Er wollte meine Hand nehmen, aber ich rutschte noch ein Stück von ihm weg.
„Es tut mir Leid, Gwenny. Ich hätte dir das nicht erzählen sollen.“
„Du bist nur ehrlich zu mir. Und das ist besser, als du würdest mich anlügen. Ich will auch ehrlich zu dir sein.“ Ich holte tief Luft. „Mein erster Kuss war mit fünfzehn, er hieß Mortimer und die Beziehung – wenn man das überhaupt als Beziehung bezeichnen konnte – hielt nicht länger als eine Woche. Dann hab ich noch Gordon geküsst, aber das war wegen einem Spiel.“
Ich wartete seine Reaktion ab.
Und er lachte.
Er lachte!
„Was? Warum lachst du?“, fragte ich völlig perplex.
„Mortimer? Der Kerl hieß wirklich Mortimer? Du willst mich auf den Arm nehmen!“
Er lachte immer noch.
„Nein“, sagte ich. „Er hieß wirklich so.“
Er nahm meine Hand.
„Hör zu, ich liebe dich, Gwenny. Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen soll, aber ich liebe dich. Und nur dich.“
Ich hätte gerne Ich liebe dich auch gesagt – was ja auch stimmte – aber in meinem Kopf spukte ein einziger Gedanke herum.
Gideon hat Charlotte geküsst.
Ich entzog ihm meine Hand wieder und meinte: „Es ist gleich so weit. Ich kann es schon fühlen.“
Diesmal kam das unangenehme Schwindelgefühl, das einen Zeitsprung ankündigte, genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich wollte nur schnell nach Hause.
Gideon sah enttäuscht aus. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und drehte sich von mir weg. „Du hast Recht.“

Bernsteingold -Liebe geht durch alle ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt