Der Schatten

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Warum tut sie das immer?
Dieses Chaos und diese Unordnung.
Am liebsten würde ich ihr manchmal all das an den Kopf werfen. All diese starken Emotionen, die sie auf mir abwälzt. Ich würde ihr gerne ein Spiegel vors Gesicht halten. Sie fragen warum und ihr zeigen, wie die Wahrheit wirklich aussieht. Aber das ist mein Geheimnis. Sie brauch nicht verstehen, wie grenzlos ihre Gefühle mit mir verbunden sind. Wie real doch all ihr Hass, ihre Einsamkeit und ihre Schuld in mir widerhallen. Ich begreife selbst nicht wie.

Alles fing vor 12 Jahren an.
Sie war völlig allein und verlassen. Ohne irgendjemanden in dieser Welt.
Erinnert sie sich daran, wie ich ihre Hand nahm und sie von diesem fürchterlich Ort holte?
Durch diese Hand floßen plötzlich all die Eindrücke, die dieses kleine Mädchen in sich hielt. Wie auch immer ihr zarter Körper das ertragen konnte. Das was selbst für mich zu schwer war. Ob sie sich an mein Gesicht erinnert? An meine Reaktion?
War es um die Zeit, das man mich das letzte mal wahrnahm?

Vorsichtig, um Tifa nicht zu wecken, lehne ich mich über das Bett. Ich streiche ihre Haare aus dem Gesicht. Was ich sehe ist so schön und lebendig. Ihre hohen Wangenknochen, diese vollen dunklen Lippen, sanft geschwungene Augenbrauen und lange Wimpern. Sie ist eine schöne Frau und innerlich doch immer noch ein Kind, dass nach Antworten sucht. Nicht nur nach Antworten. Sie sucht auch nach Erleichterung. Nach Nähe und Geborgenheit. Und all diese Sehnsucht, diese überfüllten Hoffnungen, diese Bitterkeit schlagen auf mich ein.
Manchmal bereue ich es sie damals getroffen zu haben. Schließlich habe ich wegen ihr alles verloren. Schließlich ist es so schwer ihr beim Leben zu zu sehen. Wie sie kämpft. Wie sie immer wieder aus dieser überwältigenden Dunkelheit ans Licht findet. Manchmal da würde ich sie gerne befreien. Manchmal da..

Meine Hand legt sich um ihren Hals.
Ich spüre ihren Atem.
Ihren Puls.
Ihre Wärme.
Sie lebt.
Und ich?

Zwar existiere ich, aber mein Leben ist völlig losgelöst von allen anderen. Unsichtbar. Nur für sie nicht.

Ich nehm meine Hand wieder an mich.
Niemals.
Niemals könnte ich ihr etwas an tun.
Niemals könnte ich ihr das geben, was sie braucht.

Leise verlasse ich den Raum.
Länger mit ihr das Zimmer zu teilen ist gefährlich. Sie darf mein Geheimnis nicht erfahren. Sie darf so einiges nicht.
Die Tür klickt hinter mir sachte ins Schloss. Wenn ich das Letzte, was ich auf irgendeine Art liebe nicht sterben sehen will, dann muss die Wahrheit schweigen. Und doch heißt zu lieben manchmal auch jemanden sterben zu sehen.
Ich schüttle die Finternis von meinem Körper.
Obwohl ihr Herz sich beruhigt hat, haften die negativen Gedanken immer noch an mir. Wo sie es so leicht schafft einen Schlussstrich zu ziehen, da hab ich die größten Probleme.

Komisch wie unser Umgang mit den Emotionen und meine Wahrnehmung von ihnen so anders ist. Dabei sorgt der rote Faden dafür, dass mir auch nicht die kleinste ihrer Gefühlsregungen entgeht. Könnte ich die Leitung nur einziges Mal umdrehen oder kappen.

'Genug davon!'

Ermahne ich mich selbst.

Fast automatisch fange ich an ein Kleidungsstück nach dem anderen hochzuheben, um sie dann in einen Wäschekorb zu legen.
Ablenkung ist auch heute wieder mein einziger Ausweg.
Mein Magen krummelt.
Noch so eine seltsame Tatsache.
Mein Körper ist trotz seiner Unsichtbarkeit physisch. Ich muss essen und trinken.
Ich hab Bedürfnisse, wie jeder andere.
Durch meine Lungen strömt Luft, wie Blut durch mein Herz. Das mit dem Blut habe ich sogar ausprobiert. Tifa war völlig panisch als sie vor einigen Jahren Blutspuren im Treppenhaus entdeckte, aber niemanden zu dem sie gehörten. Danach wollte sie Tage nicht vor die Tür. Auch nicht mit mir. Zu der Zeit hatte sie schon begriffen, dass ich ihr nicht helfen "konnte".

Ich nehme mir etwas von den Essensresten. Nuddeln mit einer Tomatensauce. Wie immer reichlich Salz, Knoblauch und Gemüse. Na ja das muss ich schon sagen, wenigestens sind ihre Kochkünste besser geworden. Anfangs war es recht schwer an etwas essbares zu kommen. Die Protionen in den Krankenhäusern waren recht klein und von stehlen hielt ich nichts. Also musste her halten, was ich fand. Zum Glück fällt Tifa eine Zutat mehr oder weniger in ihrer Küche nicht auf. Sie ist halt ein kleiner Tollpatsch, der stets in seiner Traumwelt fest hängt.

Ich muss lachen, als ich mich an all die peinlichen Sachen erinnere, die ihr schon passiert sind. So langsam lösen sich ihre heftigen Emotionen von mir. Es fühlt sich an als könnte ich wieder durchatmen.
Vorsichtig schleiche ich mich zurück in ihr Zimmer. Zufrieden sehe ich, dass sie tief und fest schläft. Meine Lippen drücken sich sanft auf ihren Kopf. Ihre Wärme ist immer noch das schönste Gefühl. Ihre Gefühle für mich sind die ehrlichsten, die ich jemals fühlen durfte. Dankbar lege ich meinen Arm um sie, als ich hinter ihr auf dem Bett Platz nehme. Hoffentlich reicht meine Präsenz bis in ihre Träume. Diese Momente sind die einzigen, welche ich ihr zurück geben kann.
Mehr erlaube ich mir nicht.
Mehr erlauben mir meine Umstände nicht.
Mehr erlaubt meine Vergangenheit nicht.

Die Schatten dieser Welt (pausiert) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt