Kapitel 6 - Schwarze Karte

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Warum raste Nahlas Herz mit einem Mal? Sie spürte, wie ihr für ein paar ewig vorkommenden Sekunden, die Luft wegblieb und die Haut an ihrem Handgelenk sich ungemein heiß anfühlte.
„Sie waren es, oder?" Nahla schluckte.
„Sie waren das Mädchen, das mir das Leben gerettet hat." Diesmal klang es nicht wie eine Frage, sondern eher wie eine Feststellung. Sie drehte sich langsam zu ihm und versuchte zu verstehen, warum diese Situation sie so aus der Bahn warf. Es war doch klar, dass er sich spätestens morgen an sie erinnern würde. Weshalb überraschte es sie also so sehr? Lag es an seinem lockeren Griff, der sich immer noch bemerkbar machte, oder an seinem durchdringenden Blicken, die ihre Augen kaum freigaben?
„Auch wenn ich mich nicht an sie erinnern konnte heute Morgen, war mir ihr Gesicht nicht fremd. Aber erst als mein Bruder mir davon erzählt hat, dass meine Krankenschwester, gerade das Mädchen ist, das mich gerettet hat, wusste ich, woher ich ihr Gesicht kannte." Nahla entzog ihm sachte ihren Arm und wandte sich mit dem ganzen Körper zu ihm, weil sie nicht unhöflich wirken wollte. Sie räusperte sich etwas, um sicher zu gehen, dass kein Krächzen heraus kam, wenn sie ihren trockenen Mund öffnete.
„Ja... Ich war auch im Café. Wie ich aber auch schon zu ihrem Bruder gesagt habe, es ist kaum die Rede wert. Ich habe nur versucht zu helfen." Es war hilfreich die Hände in den Taschen ihres Oberteils zu verstecken, da Nahla das Gefühl hatte, dass sie zitterten. Er schaute sie eine Weile stumm an und entgegnete nichts, was sie nervös machte. Er hatte eine ungewöhnliche Wirkung auf sie auf unerklärliche Weise.
„Ich danke ihnen und ich stehe in ihrer Schuld." Nahla schüttelte verneinend ihren Kopf.
„Bitte, wie bereits gesagt, es ist kaum die Rede wert. Es war selbstverständlich. Sie haben das gut überstanden Mr. Serano. Denken sie nur an ihre Genesung. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?" Einen Augenblick kam nichts von ihm.
„Ja, das können sie", sagte er schließlich. Fragend schaute sie ihn an.
„Verraten sie mir ihren Namen?" Es war Nahla klar, dass sie im ersten Moment etwas perplex drein schaute, doch sie änderte ihren Gesichtsausdruck schnell und setzte ein leichtes Lächeln auf. Er fragte nur nach ihrem Namen. Kein Grund zur Aufruhr.
„Nahla... Nahla Lowery." Eine kurze Stille entstand wieder zwischen ihnen. 
„Nahla...", sprach er dann plötzlich beinahe flüsternd aus, während sein rechter Mundwinkel sich langsam hob. Sie sah ihn das erste Mal lächeln und sie musste zugeben, dass ihm das sehr gut stand.
„So heißt meine Lebensretterin also." Wieder spürte Nahla, dass sie verlegen wurde und das die altbekannte Hitze in ihre Wangen stieg, was sie absolut nicht ausstehen konnte.
„Wenn nichts weiter ist, muss ich jetzt zu den anderen Patienten Mr. Serano." Sie versuchte gar nicht, ihm nochmal zu widersprechen, da sie die leise Vorahnung beschlich, dass er es ignorieren würde. Dann war sie erleichtert, als er nur mit einem kleinen Lächeln zustimmend nickte.
„Okay, dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Abend." Damit drehte sich Nahla um und öffnete die Tür, hörte bevor sie hinausging jedoch noch rechtzeitig seine Stimme.
„Ihnen auch." Ein letztes freundliches Lächeln schenkte sie ihm, trat dann endlich hinaus auf den Flur und schloss die Tür hinter sich zu. Sie registrierte erst jetzt, dass ihr Herz wie wild geschlagen hatte, denn nun nahm es wieder einen gleichmäßigen Rhythmus an. Nahla nahm sich vor, nicht so viele Gedanken daran zu verschwenden.
Avery und Lindsey waren bereits im Ankleidezimmer, als Nahla nach etwa fünfzehn Minuten ihre Schicht beendete. Sie hatten sich bereits umgezogen und streiften ihre Taschen über ihre Schultern. Während Lindsey sich von Nahla verabschiedete und ging, blieb Avery und beschloss so wie es aussah, noch auf Nahla zu warten. „Na? Wie war der restliche Tag?" Nahla öffnete ihren Spind, holte ihre Kleidung raus und zog sich in Windeseile um. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause und sich hinlegen.
„Mr. Serano hat mich erkannt."
„Ernsthaft? Was hat er gemacht?"
„Was soll er schon machen? Er hat sich bedankt und meinte, dass er mir was schuldig ist."
„Hm... ist ja nicht so verwerflich." Nahla verdrehte ihre Augen und zog sich noch ihre Jacke an, bevor sie ihre Tasche nahm und ihren Spind verschloss.
„Fang du nicht auch noch damit an. Wir arbeiten in einem Krankenhaus als Krankenschwester. Wir versuchen ständig Verletzten zu helfen. Das wird auch nicht das letzte Mal sein. Kein Grund daraus eine große Sache zu machen, finde ich."
„Wenn du meinst, Schätzchen. Aber jeder würde so reagieren, also entspann dich." Avery lachte und schlang einen Arm um Nahlas Schulter, die auch letztendlich nicht anders konnte als zu lächeln. Sie zog es gar nicht in Erwägung ihrer Freundin zu erzählen, was für eine unangenehme Atmosphäre zwischen ihnen geherrscht hatte. Das würde nur noch mehr Fragen aufwerfen. Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich auf dem Parkplatz und Nahla machte sich auf den Weg nach Hause. Mia war wie immer diejenige, die ihr die Tür öffnete, nachdem sie ihren Wagen vor der Haustür geparkt hatte. Lucio sprang ihr sofort in die Arme, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatte, sich die Hände im Bad zu waschen. Er erzählte von seinem Tag, soweit er es konnte mit seiner kindlichen Stimme und Nahla kam nicht umhin, ihren kleinen Bruder ein paar Mal abzuknutschen. Sie liebte ihn so sehr. Miguel kam auch die Treppen herunter, da Mia durch das Haus rief, dass das Essen bereit stand. Am Esstisch begrüßte Miguel Nahla mit einem Kuss auf die Wange und zauberte damit ein schönes Lächeln auf das Gesicht seiner Schwester, was breiter wurde, als sie sah, dass die Kette, die sie ihrem Bruder zum Geburtstag geschenkt hatte, um seinen Hals lag. Es war alles so friedlich, während sie sich leise unterhielten zum Essen, dass sich Nahla wünschte, dass das immer so blieb.

Nahla - Wirst du vertrauen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt