Kapitel 13 - Angst

246 19 7
                                    

Nahla hörte ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen, während die Worte von Ruan in ihrem Kopf widerhallten.

Diesmal gehen wir kein Risiko ein.

So jemand verdient es keine Sekunde länger zu atmen.

Legt ihn um und werdet die Leiche los.

Gab er gerade jemandem die Anweisung einen Menschen zu töten? Nein. Das konnte doch nicht sein. Ihre Ohren mussten ihr einen Streich spielen. Die Waffe in dem Schrank und jetzt dieses Gespräch. Was sollte das bedeuten? Sie spürte, wie ihr die Hände zitterten und wusste nur noch, dass sie hier weg wollte und musste. Denn Ruan hatte bereits aufgelegt. Ihr Verstand arbeitete nicht richtig. Sie würde es nicht mehr in den Wohnbereich schaffen. Übrig blieb nur die Toilette und sie musste dort sein, bevor er aus dem Zimmer kam. Mit leisen, aber schnellen Schritten lief sie in das Bad und biss sich auf die Lippen, um keinen mucks loszuwerden. Ihr Herz schlug so laut, dass sie Angst hatte, dass man es von außen hören konnte. Die Tür war nur angelehnt. Sie sah Ruans Schatten an der Tür vorbei huschen und hörte seine dumpfen Schritte, die sich entfernten. Ihr Finger blutete immer noch, doch sie hatte den Schmerz bereits ausgeblendet durch die Panik, die sie im Moment durchfuhr. Sie blickte auf die Schublade, in der die Pistole steckte, kaute auf ihrer Unterlippe und hatte keinen blassen Schimmer, was sie nun tun sollte. Gleich würde Ruan sehen, dass Nahla nicht drinnen war und nach ihr suchen. Könnte er auf den Gedanken kommen, dass sie ihn belauscht hätte? Sie wollte hier so schnell wie möglich weg. Aber dann würde er bemerken, dass etwas nicht stimmte.
„Nahla?" Ein Zucken durchfuhr ihren Körper, als sie Ruans Stimme hörte. Verdammt! Sie eilte zum Waschbecken und öffnete den Wasserhahn, um ihren Finger darunter zu halten. Sie würde einfach so tun, als hätte sie nie die kleine Schublade geöffnet und die Waffe gesehen. Und das sie gelauscht hatte, würde er auch nicht wissen, aber dafür musste Nahla sich unbedingt beruhigen. Er würde vermutlich sofort merken, dass etwas nicht stimmte. Wieder rief er ihren Namen und diesmal waren seine Schritte zu hören, die sich wieder dem Bad näherten. Nahla schluckte und versuchte sich zusammenzureißen, damit ihre Stimme nicht zitterte. „Ich bin im Bad!", rief sie nach draußen und versuchte ruhiger zu atmen. Ruan war an der Tür und klopfte an in dem Moment. „Alles in Ordnung?" Nahla schüttelte ihren Kopf, obwohl er es nicht sehen konnte. „J-ja. Ich habe mich nur etwas geschnitten", brachte sie etwas mühsam hervor. Eine Sekunde später wurde die Badezimmertür geöffnet und sie blickte geradewegs in die dunklen Augen von Ruan, denen sie im Spiegel begegnete. Das Herz drohte in ihrer Brust zu platzen. Nur mit Mühe konnte sie ihr Zucken verhindern, aber schaffte es nicht länger ihm in die Augen zu sehen und senkte ihren Blick wieder auf ihren Finger. Scheiße! Sie musste hier weg. „Blutest du stark? Zeig mal her." Bevor Nahla es überhaupt verhindern konnte, stand Ruan neben ihr und schnappte mit der einen Hand ein sauberes Handtuch aus einem Korb an der Seite und ihren Finger mit der anderen Hand. Sie widerstand dem Drang ihre Hand zurückzuziehen und ließ ihn gewähren. Bleib ruhig. Bleib ganz ruhig, rief sie sich selbst in Gedanken zu und blickte nur auf ihren Finger. Er inspizierte die Wunde, ohne ihr wehzutun und kniff die Brauen zusammen, als er den Umfang der Wunde sah. „Es wird wohl reichen, wenn wir es verbinden. Es blutet zwar sehr, aber der Schnitt ist nicht sehr tief." Mit dem Handtuch umwickelte er ihren zitternden Finger und blickte ihr dann in die Augen. Doch Nahla konnte seinem Blick nicht standhalten. „Wie ist das passiert?", fragte er, während er das Handtuch auf die Wunde gedrückt hielt, um die Blutung zu stoppen. „Ich wollte den Abwasch machen, und habe mich dann an dem Messer geschnitten."
„Tut es weh?" 
„Nein." Plötzlich spürte sie Ruans Finger an ihrer Stirn, die darüber strichen. „Du schwitzt? Bist du sicher, dass es nicht weh tut?" Ein zittriger Atem verließ ihre Lippen, wobei sie nickte. „Ja, mir ist nur etwas schlecht geworden."
„Von dem Blut?"
„Ein wenig." Das machte verdammt nochmal keinen Sinn. Sie war eine Krankenschwester. Sie hatte seine Wunden versorgt, während ihre Hände voll mit Blut besudelt waren. „Ich meine, normalerweise eigentlich natürlich nicht. Aber wenn ich mich selbst verletzte, ist mir immer etwas unwohl." Sie zwang sich, ihn anzublicken und etwas zu lächeln, damit er keinen Verdacht schöpfte, doch hatte das Gefühl, das sie damit alles nur schlimmer machte. Aus seinem Gesicht konnte sie nichts herauslesen. Er lächelte nicht, sondern blickte sie nur ruhig an. Mit einem Mal wirkte Ruan so bedrohlich auf Nahla. Er war ein Fremder für sie und sie befand sich in seinem Haus. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Ein paar Zentimeter weiter lag eine vermutlich geladene Waffe in der Schublade und er könnte es jede Sekunde ergreifen und auf sie richten, wenn er auch nur die leiseste Ahnung hätte, dass Nahla sein Gespräch mit angehört hätte. Ihre Panik wurde nur größer und größer. Von diesem angenehmen Gefühl, was Ruans Nähe in ihr hervorgeholt hatte bis jetzt, war nichts mehr zu spüren. Übrig blieb ihr in diesem Moment nur ihre Angst, von der sie befürchtete, dass Ruan es ihr ansah. „Halte das Handtuch auf deine Wunde gedrückt." Er ließ ihren Finger los, drehte ihr den Rücken zu und Nahla hörte, wie er die Schublade öffnete, in der sich die Waffe befand. Sie hielt die Luft an. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Er hatte sich so hingestellt, dass sie nur seinen breiten Rücken sah. Zwei Sekunden später, hörte sie das Zuschlagen der Schublade und Ruan drehte sich mit einem etwas größeren Pflaster um. Sie atmete aus. Diesmal lag ein sanfterer Ausdruck auf seinem Gesicht. Nahla bemerkte erst jetzt, dass sie den Atem angehalten hatte. Eine Sekunde lang hatte sie die Wahnvorstellung, dass er die Waffe greifen und auf sie richten würde. „Dann verbinden wir dich mal." Er war so erstaunlich sanft zu ihr, was ihr irgendwie nur noch mehr Schrecken einjagte. „Jetzt haben wir wohl die Rollen gewechselt", sagte er auf einmal lächelnd. „Wie meinst du das?", presste sie hervor.
„Jetzt bin ich derjenige, der dich verarztet." Er entfernte das nun blutige Handtuch und schaute, ob die Blutung aufgehört hatte, bevor er vorsichtig das Pflaster um ihren Zeigefinger wickelte. „Geschafft."
„Danke", sagte Nahla lächelnd und zog ihren Finger weg. Sie drehte sich um und hörte wie Ruan das Handtuch in den Wäschekorb warf, wobei sie aus dem Badezimmer lief. Ruan lief hinter ihr her bis in den Wohnbereich. Die Stille zwischen ihnen war erdrückend. Jetzt war es die perfekte Gelegenheit. „Es wird so langsam spät. Ich sollte jetzt wohl besser gehen. Mein Bruder schläft bestimmt wieder nicht ohne mich." Sie versuchte locker und beiläufig zu klingen und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ruan stellte sich vor ihr hin und ergriff ihren Kinn mit seinen langen Fingern. „Bleib doch noch etwas", murmelte er, während sein Daumen über ihre Lippen strich. Die Stelle, die er berührte, prickelte wie verrückt. Mit jeder Minute, die Nahla in Ruans Nähe verbrachte, wirkte er bedrohlicher auf sie. „Ein anderes Mal", erwiderte sie mit einem gezwungenem Lächeln. Wissend, dass es kein anderes mal geben wird. Zum Glück beharrte er nicht auf seiner Bitte und sie erlaubte Ruan, sie bis zu ihrem Wagen zu begleiten im Parkhaus, um den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung war, aber sie konnte nicht schnell genug von ihm wegkommen. Er verabschiedete sich mit einem Kuss auf ihrer Wange und schaute hinter ihr her, bis sie aus seiner Sichtweite verschwunden war.
Den ganzen Weg über schlug Nahlas Herz wie verrückt. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um Ruan und seinem Gespräch. Als sie zuhause ankam, war es ruhig im Haus. Lucio lag in ihrem gemeinsamen Bett und schlief seelenruhig. Nahla zog sich ihre Pyjamas an, legte sich vorsichtig zu ihm und zog ihn in ihre Arme, während sie seinen süßen Duft einatmete. Sie konnte sich einfach nicht sammeln. Ihr Handy piepte auf ihrem Nachttisch und sie ließ einen Moment von ihrem Bruder ab, um es in die Hand zu nehmen. Eine Nachricht von Ruan. Sie öffnete sie und hätte beinahe gelächelt.

Nahla - Wirst du vertrauen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt