Prolog

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(...)

Voller Angst rannte sie über den nassen Kies. Dabei ignorierte sie die spitzen Kieselsteine, die sich in ihre nackten Füße bohrten. Verkrampft hielt sie sich das blutrote Kleid hoch, um nicht zu stolpern. Ihre nassen Haare peitschten ihr bei dem starken Wind immer wieder ins Gesicht, doch das war ihr egal. Sie musste hier weg. Dicke Regentropfen prasselten auf sie nieder, sodass ihr Kleid das ganze Wasser in sich aufsog und nur noch schwere Last für sie war.

Polizeisirenen heulten auf, blaue Lichtstrahlen bahnten sich einen Weg durch den dichten Wald vor ihr und sie zuckte unwillkürlich zusammen. Mit Schockgeweiteten Augen blieb sie stehen und schnappte nach Luft. Es war Hilfe gekommen. Sie konnte aber nicht zurück. Sie durfte nicht umkehren.

"Sieh nicht zurück. Lauf!", hallte seine panische Stimme in ihrem Kopf wider, als der erste Schuss fiel. Seine Augen - in denen sie sich in den intimsten Momenten immer verloren hatte - spiegelten Angst und Sorge wider. Tränen liefen ihr über die rosaroten Wangen und die Wimperntusche war von dem starken Regen verschmiert. Entschlossen zupfte sie sich mit zitternden Händen einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht. Schwer schluckte sie und fing wieder an zu rennen. Schneller als zuvor.

Bilder flogen in ihrem Kopf wirr hin und her. Perfekt sitzendes Haar, dunkle Augen, füllige Lippen, sein markantes Kiefer und dazu der gut gebaute Körper. Sein schwarzer Anzug, der sich zu diesem Augenblick noch nicht mit der Farbe von Blut getränkt hatte. Warme Lippen, die ihren Hals sanft berührten und hoch zu ihrem Kiefer wanderten. Starke Hände, die sie an der Hüfte hielten, aus Angst ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Leises Geflüster an ihrem Ohr, was sie kitzelte und zum kichern brachte.

Ein schmerzender Schrei entfuhr ihr, als die Erinnerungen in ihr hochkamen. Der Weg vor ihr verschwamm, so sehr weinte sie. Als sie das große Tor erreichte, ertönte ein weiterer Schuss. Die Kugel prallte direkt neben ihr auf dem Boden ab und der Kies schnalzte in die Höhe. Erschrocken schrie sie auf. Anstatt weiter zu laufen, stand sie wie angewurzelt da. Sie konnte keinen Zentimeter ihres Körpers mehr bewegen. Erschöpft fiel sie auf ihre Knie, weshalb sich die spitzen Kieselsteine in ihr Fleisch bohrten. Tiefe Schluchzer kamen ihr über die knallroten Lippen.

Schwere Schritte näherten sich ihr. Ängstlich krampfte sich ihr zerschundenes Herz zusammen. Eine große Hand packte sie an den Haaren und zog sie mit voller Wucht nach hinten, dass sie mit dem Rücken zu Boden fiel. Kleine Blitze des Schmerzes durchzuckten ihren ganzen Körper.

Als sie ihre mit Tränen gefüllten Augen öffnete, blickte sie in sein vernarbtes Gesicht. Ein spöttisches Grinsen umspielte seine dünnen Lippen und die Lust zu töten spiegelte sich in seinen Augen wider. Lachend drückte er ihr den Lauf seiner Waffe an den Kopf. Wimmernd lag sie da, nicht in der Lage sich zu rühren oder zu sprechen.

Weglaufen war keine Option, dachte sie sich, als sie fest ihre Augen zusammenkniff. Sie hörte das Entsichern seiner Waffe, doch bevor er den Abzug drücken konnte, erklang ein ohrenbetäubender Knall und sie wurden beide hoch durch die Luft geschleudert. Mit voller Wucht prallte sie an der großen Steinmauer ab und vereinzelte Holz- und Glassplitter bohrten sich in ihre Haut. Hitze breitete sich auf ihrer ganzen Haut aus, bahnte sich einen Weg durch ihren Körper und katapultierte sie in das schwarze Nichts.


Bittersweet BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt