7. Wald

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Naomi 

Ich höre den Regen gegen die Fenster prasseln, höre es, ignoriere es.

Versuche es zu verstehen.

Es gibt also Wesen.

Übernatürliche.

Einhörner, Vampire, Drachen, Werwölfe, Feen, Elfen, Meermenschen.

Wenn das stimmt, wenn es wirklich Übernatürliche gibt, was bin ich dann?

Oder warum bin ich sonst hier?

Auf diesem Internat der Wesen?

Nach kurzem Überlegen stehe ich auf.

Es ist sinnlos, weiter darüber nachzudenken. Ein richtiges Ergebnis kann ich sowieso nicht erzielen.

Und trotzdem kann ich es nicht lassen, während ich langsam aus dem Klassenraum gehe.

Kurz kneife ich die Augen zusammen, dem vergeblichen Versuch erlegen, dem Ganzen einen Sinn anzudichten.

Plötzlich pralle ich gegen einen Widerstand.

Erschrocken reiße ich die Augen wieder auf ... und blicke direkt in die dunkelblauen Freezes.

Von meinem — oder seinen? — Schwung mitgerissen fallen wir auf den Boden.

Glacia, die scheinbar mit Schneeflocke in den Raum gegangen ist, quiekt erschrocken auf. Das hat aber nichts zu bedeuten, Glacia quiekt immer auf.

Das Blau Schneeflockes Augen hält mich gefangen, fasziniert mich.

Ich spüre seine Wärme.

Meine Wärme.

Wie kann das sein?

Ich kann doch keine Wärme mehr fühlen! Keine innere!

Aber ... was ist das dann?

Erfreut merke ich, wie ich einen Schritt von meinem Abgrund zurück trete.

Erfreut? Nein, eher erleichtert.

Dann merke ich, dass ich bei unserem Sturz auf ihm gelandet bin, doch auch dieser Umstand kann meine Euphorie kaum mildern.

Rasch stehe ich auf, auch, wenn es mir schwerfällt, mich von diesem tiefen, rettenden Blau loszureißen.

„Tut mit Leid, das war keine Absicht!", murmle ich abwesend.

Im gleichen Moment beugt sich Glacia nach unten, ruft: „Freeze! Ist dir etwas passiert?" und hilft ihm auf.

Augenverdrehend schüttelt Schneeflocke den Kopf und tut es mir damit gleich.

Dann sieht er mich an.

Kurz erwidere ich seinen Blick, dankbar.

Mache den Mund auf, will etwas sagen, doch keine Worte kommen heraus.

Hastig schiebe ich mich an den beiden vorbei durch die Tür auf den Gang.

Was war das gerade?

Und damit meine ich nicht nur den Schritt zurück!

Zurück!!!

Beschwingt nehme ich auf gut Glück irgendeinen Weg.

Kurz darauf lande ich auf einem größeren Platz, Wiese, dahinter der Wald.

Wald ...

Fast schon automatisch gehe ich darauf zu.

Als ich den Wald betrete, die regennassen — es hat gerade aufgehört — Blätter betrachte, wird alles um mich herum leicht.

Wald ...

Etwas Schöneres als den Wald kann es gar nicht geben!

Dann sehe ich Schneeflocke und Glacia, auf den Wald zusteuernd.

Neugierig beobachte ich sie, genauer; Schneeflocke.

Sie bleiben mitten auf der Wiese stehen ... um sich zu küssen.

War das deren Ernst?

Theatralisch seufzend wende ich mein Gesicht ab.

Nach einigen Sekunden sehe ich wieder zu Glacia und Schneeflocke.

Die beiden haben voneinander abgelassen.

Schneeflocke steuert wieder auf den Wald zu, kalt.

Glacia steht ziemlich verdattert auf der Wiese und sieht Schneeflocke hinterher.

Schließlich bleibt Schneeflocke unweit von mir stehen, die Hand erhoben.

Spannendes wird wahrscheinlich nicht mehr passieren, also drehe ich mich um und schreite in den Wald hinein.

Das habe ich zumindest vor.

Doch leider werde ich ziemlich erschreckt ... von einem Abbild Crells.

Crell.

Als Geist.

Meine Augen weiten sich, sagen, zeigen alles, was ich hätte sagen können.

Mein Bruder streckt die Hand nach mir aus, flüstert meinen Namen.

Tränen rinnen über meine Wangen, ich reiche ihm meine Hand.


Die kleine, überglückliche Naomi stürmt nach oben in das Zimmer ihres Bruders, will ihn nach unten holen.

Unterdessen kommt Nolan nach Hause, geht auf seine Frau zu.

„Felicitas.", raunt er, „Es ist soweit."

Die beiden gehen in das Wohnzimmer, setzen sich nebeneinander auf die Coach.

Felicitas weiß, etwas wird geschehen. Etwas Schreckliches.

In der Familie ihres Mannes wird von einem Dämon erzählt, der die Welt der Hölle einverleiben will. Und damit nicht genug, der sich selbst zum neuen Teufel aufschwingen will.

Und dafür scheut er keine Mühen.

Plötzlich, eine schwarze, wabernde Wolke, die durch das Zimmer gleitet.

Auf Felicitas und Nolan zuschwebt.

Und als sie sie berührt ... ermordet.


Oben wartet Crell auf Naomi, als auch bei ihm die Wolke erscheint.

„Jetzt habe ich euch!", ruft sie.

Dann ermordet sie auch Crell.


Der Geist Felicitas' schwebt nach oben, zu ihrem Sohn, ihrer Tochter.

Crells Geist sitzt auf seinem Bett, liebevoll lächelnd schließt sie ihn in ihre Arme.

Neben seiner Leiche weint ihre Tochter.

Verwunderung.

Warum lebt sie?

Felicitas erhebt sich mit Crell an der Hand.

Auf dem Flur wartet Nolan.

Gemeinsam, als Familie, gleiten sie durch die Wand in Naomis Zimmer.

Wo ihre Leiche blutüberströmt und grausig zerfetzt auf dem Teppich liegt.





Willkommen im Jahr 2021!!!

Einsame Träne - I can not without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt