1. Risse

79 7 15
                                    

Naomi

-fünf Jahre alt-

Ich hüpfte unbekümmert auf einem Bein in die Küche.

Mama stand am Herd und kochte. Eigentlich war nichts Ungewöhnliches dabei, aber ich konnte das Zittern ihrer Bewegungen sehen.

Und dieses Zittern jagte mir Angst ein.

"Mama? Was ist denn?", fragte ich also.

Mama zuckte zusammen. Sie schien mein Hopsen nicht bemerkt zu haben, auch nicht, dass ich hinter ihr stand.

"N-nichts, mein Schatz!", gab sie zögerlich zurück.

Ihre Stimme zitterte, genau wie der Rest an ihr.

Sogar der liebevoll-ängstliche Blick, den sie mir zuwarf.

Als fünfjähriges Mädchen fand ich es toll, dass es ihr gut ging und beließ es dabei. Jetzt, zehn Jahre später, frage ich mich nur immer wieder, wie ich es nur dabei belassen konnte ... die Fehler der Jugend eben.

Fröhlich lachend deckte ich den Tisch für drei.

"Kommt Papa heute?", fragte ich vorsichtig.

Mama reagierte immer anders auf die Frage, ob Papa heute kam oder nicht.

"Nein.", erwiderte sie überraschend fest.

Ich nickte nur und stellte eine Wasserflasche auf den Tisch.

"Geh doch schon mal deinen Bruder holen, Schätzchen.", schlug Mama wieder zittriger vor.

"Was gibt es denn?", fragte ich sie.

"Salagne!", erwiderte sie lachend.

Ich stimmte mit ein und stürmte immer noch lachend nach oben, in das Zimmer meines großen Bruders.

"Crell, es gibt Salagne, Salagne, Salange!" Frohlockend sprang ich um ihn herum im Kreis.

Crell stand von seinem Bett auf und warf grinsend ein Kissen nach mir.

Es verfehlte mich um Haaresbreite. Ich quietschte empört auf und ging zum Gegenangriff über.

Ausgelassen spielten wir Fangen nach unten in die Küche.

Kaum standen wir in der Küche, packte Crell mich, nahm mich auf den Arm und machte 'Ssscccchhht!'-Laute in mein Ohr.

Ich verstand nicht, wieso er so reagierte, aber ich machte mir keine großen Sorgen. Garantiert war es ein neues Spiel!

Alles war still im Haus. Pure Stille, die nur mein Herzschlag und unser Atem durchdrangen.

Crells konzentrierter Miene konnte ich entnehmen, dass irgendetwas los war und nur ich nicht wusste, was.

Langsam ging Crell auf die Wohnzimmertür zu.

Einen winzigen Spalt stand sie offen. Durch diesen spähten wir.

Mama lag auf der Couch. Über ihr lag Papa, eng an sie geschmiegt.

Alles war rot und feucht, der Teppich, die Couch, der kleine Tisch neben ihnen.

Weder Crell noch ich bewegten uns.

Nach einigen Minuten, es könnten aber auch Stunden gewesen sein, bedeckte Crell mit einer Hand meine Augen und ging langsam und geschockt wieder in die Küche.

"Naomi. Was ist passiert, bevor du mich holen gegangen bist?", fragte er mich ernst.

"Ma-mama hat g-gezittert, und ich hab gefragt, w-was los ist. Sie hat gesagt, a-a-alles ist gut und dann, dann hab ich den Tisch gemacht und dann bin ich nach oben und hab dich ge-geholt.", antwortete ich ihm zittrig. "Was ist denn jetzt überhaupt mit Mama und Papa, Crell?", fuhr ich fort.

Einsame Träne - I can not without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt