6. Neue

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Naomi

Ich stehe auf dem Gang vor meinem neuen Klassenraum.

Die Lehrerin verschwindet in dem Raum. Kurz darauf öffnet sie die Tür einen weiteren Spalt und winkt mir zu.

Langsam trete ich in den Raum ein.

Als ich den Raum betrete, lässt sich Glitzer auf meinen Kopf nieder, rieselt auf meine Wangen.

Ich ignoriere es weitestgehend, wische mir nur verstohlen mit dem Handrücken über die Wange.

Keine Gefühle in mir, keine Regung meines Inneren.

Einige der Gesichter hatte ich schon am gestrigen Abend gesehen, Scar, Dent und Glacia.

Und Colyn.

Was macht er hier?

Warum ist er in meiner Klasse?

Glacia sieht mich lächelnd an, doch ihr Blick huscht trotzdem immer zu dem Jungen neben ihr.

Schwarze Haare, dunkelblaue Augen, gelangweilter Gesichtsausdruck.

Ich sehe weiter in die Runde.

Sie blicken neugierig zurück, nicht im Mindesten von meiner Distanzierung abgeschreckt.

„Möchtest du dich nicht vorstellen?", fragt die Lehrerin mit einem freundlichen Lächeln.

„Freeze! Dich bitte ich ebenfalls, zuzuhören, wenn die neue Schülerin spricht!", ereifert sich die Lehrerin dann plötzlich.

„Ja.", meint der von Glacia Angebetete.

„Wie meinst du ‚Ja', Freeze?" Die Lehrerin. Ihr Blick sagt: ‚Erläutere!'.

„Ja, ich werde der neuen Schülerin zuhören und sie freundlich aufnehmen." Genervt sieht der Junge, Freeze, sie an. Der Name Freeze ist so bizarr, dass ich mich gleich frage, ob es etwas Ähnliches wie mit meinem Namen, also Pauline, auf sich hat.

Der Blick der Lehrerin geht wieder zu mir. Etwas Aufforderndes liegt darin.

„Ich heiße Pauline. Und ich bin 15 Jahre alt." Kalt dringt meine Stimme durch den Klassenraum.

Die Lehrerin scheint kurz enttäuscht, dann fordert sie mich auf, mehr über mich zu erzählen.

„Mit fünf Jahren kam ich ins Waisenhaus. Ab da wechselte ich zwischen Waisenhäusern und Pflegefamilien.", fahre ich fort.

Ein mitleidiges Seufzen geht durch die Klasse.

„Warum musstest du denn ständig wechseln? Was hast du denn angestellt?", ruft jemand rein.

„Unterschiedlich.", meine ich wage.

Die Wahrheit ist schlicht und ergreifend, dass ich den Leuten zu merkwürdig war, zu befremdlich. Meine introvertierte Art hat dazu sicher nicht positiv beigetragen.

„Lassen wir das. Wie wäre es stattdessen mit einer Vorstellungsrunde seitens der Klasse?", unterbricht die Lehrerin.

Innerlich muss ich grinsen; noch nie hat eine erwachsene Person außer meiner Mutter so etwas zu mir gesagt. Also, das mit dem ‚Lassen wir das', ‚Wie wäre es stattdessen mit einer Vorstellungsrunde' sagt eigentlich jeder Lehrer zu einer neuen Schülerin, die nichts sagt. Meine Mutter hat das immer gesagt, wenn Crell und ich uns stritten und Mama das nicht klären konnte.

Leise Freude macht sich zwischen den Schülern breit. Scheinbar freuen sie sich, keinen Unterricht machen zu müssen.

Mein Blick ruht auf Colyn. Ich frage mich unwillkürlich, warum er ebenfalls hier ist.

Einsame Träne - I can not without youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt