Auszug aus dem Tagebuch von Masch K[...] (1 Jahr, 3 Monate vor dem Mord):

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Habe die letzten Nächte bei Dako geschlafen. Natürlich auch dort Alpträume gehabt. Folgendes ist passiert:

Ich werde von Babygeschrei geweckt. Sofort bekomme ich Panik, da ich das Weinen inzwischen kenne. Ich weiß etwas grausames wird gleich passieren. Etwas, das mich an meinen tiefsten Ängsten packt zu denen ich keine weitere Verbindung mehr habe. Egal, wie schlimm es werden wird, ich werde nicht erwachen können.

Ich halte mir die Augen zu und beschließe zu warten. Ich werde einfach hier stehen und warten und irgendwann geweckt werden. Dann wird alles vorbei sein!

Aber so funktionieren Träume nicht. In Träumen kann man die Augen nicht schließen. Was du siehst, spielt sich ja bereits zwischen deinen geschlossenen Lidern ab. Es gibt kein Entkommen vor der Angst.

Die Babystimme erstummt. Vor mir steht ein Kind in einem blauen Regenmantel und streckt mir die Hand entgegen. „Gib mir.“, höre ich die Stimme in meinem Kopf. Es ist die Stimme eines Mannes, der wie ein kleines Kind spricht.

Ich frage: „Was? Du kannst alles von mir haben!“

„Gib mir!“

Das Kind wird ein Schrank. Eine schlichte Komode aus hellem Holz. Ohne darüber nachzudenken ziehe ich eine der Schubladen auf. Sie ist bis zum Rand vollgestopft mit abgeschlagenen Köpfen. Es sind die Köpfe eines jungen Mädchens mit grauer Haut und schwarzen Haaren. Ich erkenne das Mädchen aus meinen Alpträumen. Gleichzeitig ist es aber auch Spring, die ich sehe. Plötzlich bin ich unendlich traurig. Eine alles zerreißende Traurigkeit, als hätte ich gerade von dem Tod eines geliebten Menschen erfahren.

Behutsam hebe ich mit beiden Händen einen der Köpfe aus der Schublade. Ihre Haare sind an manchen Stellen herausgerissen. Ihre Augen sind verdreht und sie verzieht den viel zu großen Mund zu einem grotesken Grinsen. Ihren grausamen Tod beweinend, lege ich meine Lippen auf die Stirn.

Als ich mich von ihr löse, habe ich den gesichtslosen Kopf des Clownes in meinen Händen.

Er sagt ohne Mund: „Gib mir!“

Das letzte woran ich mich erinnern kann, ist, dass das Kind in dem blauen Regenmantel auf meiner Brust steht. Es streckt die Hand aus.

„Gib mir!“

Um Luft ringend beume ich mich im Bett auf. Ich bin wach, aber ich habe für quälend lange Sekunden das Gefühl zu ersticken.

„Heilige Scheiße! Was ist denn los?“ Dako ist natürlich ebenfalls sofort wach. Verwirrt sitzt er neben mir und hält meine Hand fest, die in Todespanik hilflos um sich schlägt. Die andere Hand liegt auf meiner Brust, die sich einfach nicht zum Atmen bewegen lässt.

Wovon wir leben und woran wir sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt