Interview mit Riku T. (12. Januar 2030) - 6

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Können Sie etwas genauer auf ihre angebliche Freundschaft mit dem Verdächtigen eingehen?

Ich kann nochmal darauf eingehen, dass Sie so dämliche Formulierungen, wie „angeblich“ streichen können! Masch war der beste Freund, den ich je hatte! Und er wird es wieder sein, wenn er zurückkommt. Ich weiß nicht, was für Punkte ich ansprechen muss, damit sie das verstehen können. Wollen Sie hören, dass er teilweise wochenlang bei mir gepennt hatte, weil wir uns einfach nie langweilig wurden? Hat er gemacht!
Wollen Sie hören, dass es seit ich ihn kennen gelernt hatte es keinen Tag gab an dem wir nicht mit einander gesprochen hatten? So ist es gewesen!
Soll ich Ihnen erzählen, dass wir denselben dämlichen Humor hatten und wir uns alles anvertrauen konnten? Auch das war der Fall!
Bringt es Ihnen etwas, zu wissen, dass ich die ganzen Kleinigkeiten seines Wesens so schmerzlich vermisse, dass ich heulen könnte, wenn ich darüber nachdenke? Zum Beispiel, dass er es total gehasst hat Entscheidungen zu treffen. Immer, wenn wir darüber diskutiert haben, wo wir uns was zu essen kaufen oder in welchem Club wir Party machen, konnte man hohe Summen darauf verwetten, dass von Masch irgendwann der Satz fiel: „Der Damen Wahl...“, was soviel zu bedeuten hatte, wie „Entscheidet euch endlich, ihr Muschis!“ Oder, dass er und Yama die Namen von Figuren aus Shakespeare-Stücken, wie Beleidigungen benutzten? Katharina war das Wort für zickige Weiber, Brabantio die Bezeichnung für Väter, die uns nicht gerne mit ihren Töchtern sahen und Bassiano für Einen, der dich laufend wegen Geld bequatschte.
Aber selbst wenn er all das nicht gemacht hätte, wäre er trotzdem mein bester Freund gewesen! Einfach, weil es eben so war, verdammte Scheiße. Ich weiß ja selbst nicht warum.
Er ist auf jeden Fall so wenig ein Monster, wie Ihr ungeborenes Baby, meine Dame! Er ist liebevoll und empathisch und ehrlich und nachdenklich. Genauso, wie total passiv und schwer von Begriff, absolut konfliktunfähig und ein bisschen intolerant. So ist der Mensch auf den ihr die Jagd eröffnet habt!

Ich kann Ihnen nur wiederholt versichern, dass ich nicht vor habe Sie vorzuführen. Ich will, genau wie Sie, die Leser überzeugen. Darum stelle ich solche Fragen.

Scheiße Mann...
Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?
...
Wenn Sie einen Beweis für unsere Freundschaft wollen, kann ich Ihnen keinen geben. Ich weiß auch nicht, wie das aussehen sollte.

Ich kann vielleicht eine Sache erzählen an die ich mich besonders erinnert fühle, wenn ich über dieses Frage nachdenke.
Ich hatte mich irgendwann von meiner lieben Yona getrennt. Das war so eine dralle Blondine, die mit mir in einem Café gejobbt hat. Sie sah aus wie eine schwarze Pornodarstellerin in blond. Alle waren verrückt nach ihr. Wir hatten es ein paar Mal miteinander gemacht, aber an dem Abend hat sie mir gesagt, dass sie es für besser hält, wenn wir uns nicht mehr wiedersehen. Ich bin wirklich verknallt in sie gewesen! Nicht nur, weil sie wie eine sexy Biene aussah, sondern weil sie schüchtern und süß war, Wrestling-Shows liebte und sich so wundervoll um ihren kleinen Sohn kümmerte. Ich hab sie so geliebt, dass mein ganzer Körper vibriert hat, wenn sie im Raum war.
Nachdem sie das gesagt hatte, war ich am Boden zerstört und ich hab mich in einer Bar übel besoffen. Der ganze Monatslohn, den ich in dem Café verdient hatte ist für Alkohol drauf gegangen. Dabei habe ich dem Typen neben mir die ganze Zeit mein Elend geklagt... Und irgendwann legte er mir die Hand auf die Schulter, sodass ich ihn ansah und, ich schwöre, er hat original wie mein verstorbener Vater ausgesehen! Total so! Er war's natürlich nicht, weil zu diesem Zeitpunkt war mein Vater war schon 4 Monate zuvor verstorben. Und er sagte zu mir: „Gib es auf, mein Sohn. Niemand wird dich je lieben. Deine Mutter und ich haben es nicht getan und auch kein anderer Mensch auf der Welt wird es jemals tun. Wir sind alle mit einem Fluch geboren. Das ist deiner.“
… Ich hatte gar nicht so viele Tränen, wie ich weinen wollte. Ich habe so laut geflennt, dass ich aus der Bar geschmissen wurde. Tja, dann habe ich Masch angerufen. Kann nicht sagen warum. Er war der einzige Mensch, den ich in diesem Moment sehen wollte. Zu dem Zeitpunkt haben wir uns gerade drei Wochen gekannt. Davon hatte er 9 Tage lang komplett bei mir gewohnt. War auch so eine Eigenschaft von Masch, dass der einfach nicht gegangen ist, bis du ihn weggeschickt hast.
Was soll ich erzählen? Ob Masch zu mir gekommen ist oder ich zu ihm getorkelt bin, weiß ich gar nicht mehr. Das Nächste woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich in seine Badewanne gekotzt habe. „Nicht schlimm. Muss man einfach wegmachen bevor es sauer wird.“, hat er gesagt und sauber gemacht, während ich auf den Fliesen gelegen und weiter geheult habe. Dann hat mich mit dem Oberkörper über den Badewannenrand gehängt und mir die Haare ausgespült. Masch's Dusche funktioniert nicht mehr solange, wie ich ihn kenne. Man musst dafür Wasser aufkochen und mit kaltem Wasser aus dem Hahn verdünnen. So macht man sich ein oder zwei Eimer fertig, die man dann zum Duschen nehmen kann. Ich hing da also immer noch heulend über den Badewannenrand und Masch saß neben mir, kippte vorsichtig lauwarmes Wasser in Tassen über meinen Kopf, um mir das Erbrochene aus den Haaren zu spülen. Auf seltsame Art fand ich das rührend... Wissen Sie was ich meine? Und dann musste ich noch mehr weinen. Bis ich irgendwann nicht mehr konnte. Masch holte eine Decke und schlief mit mir auf den kalten Fliesen im Bad. Einfach aus dem praktischen Grund, weil Fliesen leichter sauber zu machen sind, sollte ich mich nochmals übergeben.
Am nächsten Morgen gings mir gar nicht mal so dreckig, wie ich es vielleicht verdient gehabt hätte... Ich wurde wach, weil Masch direkt hinter mir die Toilette benutzte - wir waren ja immer noch in seinem Bad – und die Spüle zog. Dann legte er sich wieder neben mich. Er sprach die ganze Zeit kein Wort mit mir. Es war so eine Art Schweigen auszuhalten, die ganz einzigartig für Masch ist.
Als ich das erste Mal wieder sprach, schien die Mittagssonne heiß durchs Fenster auf unsere Beine. Ich starte an die Decke an der eine lächerlich kitschige Lampe hing und flüsterte in Stille:
„Tut mir leid...“, weil es mir wirklich leid tat.
„Was?“, fragte Masch, der auf seinem Handy spielte.
„Na, heute Nacht.“
Und Masch zuckte nur so die Schultern: „Jeder hat Mal einen schlechten Tag.“

Schon während ich Ihnen das erzähle, weiß ich, dass Sie es nicht verstehen können. Sie wollen wahrscheinlich hören, wie Masch mich irgendwo mal verteidigt hat. Auf etwas für mich verzichtet hat. Dass wir ein Geheimnis geteilt haben. Oder, dass wir uns in und auswendig kannten. Was auch immer Sie unter Freundschaft verstehen. So war es aber nun einmal nicht.
Masch war einfach da. Und so, wie er war, war er mein bester Freund... Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Warum genau steht von Ihrer Geschichte nichts in Masch's Tagebuch, wenn sie so bedeutsam für Ihre Beziehung gewesen ist?

Verarschen Sie mich? … Woher soll ich das wissen?
Wissen Sie was? Ich schreibe mir eine Notiz und sobald Masch zurückkommt, werde ich Ihn fragen! Was halten Sie davon?

Wovon wir leben und woran wir sterbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt