die Dunkelheit in Menschen

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  Lovis lag auf dem Teppich und starrte aus dem Fenster. Sie trug wieder Klamotten von ihm, ein zu langes Shirt und eine Jogginghose, in die sie zweimal passte. Besser als nichts. 

  Die Sonne war dabei zu verschwinden, es musste jetzt so um die 19 Uhr sein und das Licht wurde weniger. Valerio war gegangen, um etwas zu kochen und seitdem lag sie hier, versuchte schlau aus ihm zu werden.

 Valerio war diese Art von Mann, vor denen man sich hüten musste, weil eine Beziehung zu ihm einem alles abverlangen würde. 

Frauen wurden für naiv gehalten, für dumm, wenn sie sich auf solche Typen einließen. Andere glaubten sie wären blind und würden hoffen, der Mann würde sich für sie zum Guten verändern. Doch so war es nicht. Das Risiko war ihnen bewusst. Die Gefahr, die Dunkelheit, die später ein Teil von ihnen sein würden. Nur deswegen gingen sie diese Beziehungen überhaupt ein. Sie wollten den Schatten kosten und einen Knacks in der Seele tragen, der sich schmerzlich gut anfühlte, um sich an etwas zu erinnern, das zwar nicht für immer gewesen war, aber so intensiv wie nichts wieder in ihrem Leben sein würde. Nicht einmal die große Liebe kam an einen Sommer mit so einem Mann heran. Daran dachte man immer wieder zurück.

Lovis war eine von diesen Frauen. Ihre Kunst, ihre Person zerrte von der Dunkelheit in Männern. Doch sie war ebenfalls ein Teil von ihr. Die Seele in ihrem Körper war bereits beschädigt und sie war normalerweise die, die den anderen verletzt zurückließ. 

Valerio verwirrte sie in dieser Hinsicht, denn sie schätzte ihn anders ein, als er sich gab. Da brodelte eine unglaubliche Gewalttätigkeit in seinen Adern und dennoch fühlte sie sich bei ihm so sicher, wie bei niemand anderem auf dieser Welt. Dabei wusste sie, wie gefährlich Männer sein konnten, die ein sanftes Lächeln auf den Lippen trugen. Sie wusste es aus erster Hand und dennoch schaffte sie es nicht einen bösen Menschen in ihm zu sehen. Er war wütend und hasserfüllt, aber nicht ihr gegenüber. Jemand hatte ihm das gelehrt, aber er weigerte sich wohl, diese Gefühle auszuleben. Deshalb schrieb er. Darin waren sie sich gleich. Zwei Künstler, die ihre Sinne in die Kunst legten. Ihren Schmerz. 

Die Frage war jetzt nur, wie Lovis und Valerio zusammenpassten.

Künstler verstanden sich untereinander nur selten gut. Ihre Visionen und Werte gingen zu oft in verschiedene Richtungen. Künstler waren mit ihrem Talent in einer Beziehung und jeder andere war ein Außenseiter, der nur störte, anstatt zu helfen. Für ein paar Wochen ging es vielleicht gut mit genügend Gin Tonic. Aber Valerio schien nicht nur ein paar Wochen im Sinn zu haben. 

Dazu kam seine Schönheit, seine rednerischen Fähigkeiten und die Stärke. Lovis wurde von ihm angezogen wie eine Motte vom Licht, obwohl sie mehr Verstand besaß als dieses geflügelte Vieh. Hoffentlich. 

Was wusste sie noch über ihn?

Er hatte Geld und Intelligenz, eine zweifelhafte Moral, sie teilten ein Tattoomotiv und er sprach gern in Rätseln. Durch seine Worte vermutete sie, dass er sie kannte, doch sie erinnerte sich nicht an ihn. Das hieß wohl, Lovis war etwa zu betrunken gewesen oder er kannte nur ihren Namen von ihren Bildern her. Doch warum musste er dann fragen, ob sie malte? Gehörte das zu seiner Strategie sie zu verwirren?

Es funktionierte jedenfalls. Lovis hatte keine Idee, woher sie ihn kennen könnte. An einen Mann wie ihn erinnerte man sich doch. Er verunsicherte sie. Das passierte nicht oft, den Punkt musste sie ihm geben. 

Sie setzte sich auf und griff sich in die noch leicht feuchten Haare. Normalerweise malte sie, wenn sie so viele Gedanken im Kopf hatte oder trank. Hier hatte sie nichts und das riss an ihren Nervensträngen. 

Sie sprang auf und fing an die Nachttische und den Schrank zu durchsuchen. Bücher, ein paar Decken und Hemden, nichts von Wert, keine Hinweise. Im Badezimmer genauso. Sie fand übliche Hygieneartikel, wie sie in einem Gästezimmer eben standen. 

Lovis setzte sich auf die kalten Fliesen. Ihr war schlecht. Die Drogen waren vielleicht aus ihrem Körper, aber jetzt kickte der Nikotin- und Alkoholentzug. Sie kratze über ihre Haut, ihre Arme. 

Seit etlichen Stunden hatte sie keine Zigarette gehabt. Normalerweise war ihre größte Pause ihr Schlaf, doch sie könnte jetzt kein Auge zumachen. Im Folgeschluss hatte sie das erste Mal seit Jahren wieder ein Hungergefühl. Wut stieg in ihr auf, die sie irgendwie versuchte zu ignorieren. Doch das funktionierte nicht ohne jegliche Ablenkung.  Wenn sie nicht trank, dann war sie mit jemanden unterwegs. Sie war selten allein, um genau solchen Situationen aus dem Weg zu gehen. 

Als sie gerade vor der Badewanne auf dem Boden saß, den Kopf auf den Knien, hörte sie wieder dieses Piepsen. 

Lovis konnte sich gerade noch beherrschen nicht aufzuspringen und ihn nach einer Zigarette zu fragen. Die Blöße konnte sie sich wirklich nicht geben. Sie lehnte ihren Kopf an die Badewannenkante und schaute zu ihm auf, als er in der Tür erschien. 

"Das sieht nicht sehr gemütlich aus."

"Ich finde es bequem", murmelte sie.

"Es gibt Pasta. Ich hab mein Bestes gegeben." Der Teller war in seiner Hand, dampfte und das Essen roch gut. 

Sie hasste ihn für dieses Essen. 

Bis du verstehst, wem du gehörst...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt