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Seit meiner Begegnung mit Nico bei unserer Bank war ich völlig durch den Wind. Ich hatte seit Tagen das Haus nicht verlassen und verbrachte so viel Zeit wie möglich in meinem Zimmer. Weder meinen Eltern, noch meinem Bruder hatte ich gesagt, was genau los war, nur mit Clarissa hatte ich darüber gesprochen. An diesem Tag waren wir alle zum Mittagessen bei den Wellenbrinks eingeladen. Natürlich freute ich mich auf Lisas Essen, sie konnte schon immer fantastisch kochen, aber mir drückte auch die Tatsache auf den Magen, dass ich mehrere Stunden gezwungenermaßen mit Nico an einem Tisch sitzen würde. Meine Familie wartete bereits an der Haustür auf mich, als ich die Treppen hinunter kam. Da ich ziemlich schlecht geschlafen hatte, gähnte ich einmal kurz, bevor ich meine dünne Jacke von der Garderobe nahm und meine Schuhe anzog. Langsam folgte ich meinen Eltern zum Haus der Nachbarn. Je näher wir kamen, desto mehr zog sich meine Magengegend zusammen. Mein Bruder bemerkte, dass ich angespannt war, weswegen er mich sanft mit seiner Schulter anstupste. Ich sah zu ihm hinüber und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. Als wir vor der Tür der Wellenbrinks standen, wurde mir schlecht, der Hunger, den ich nur wenige Minuten zuvor noch gespürt hatte, war vollkommen verschwunden. Ein gut gelaunter Egon öffnete uns mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht die Tür. Meine Eltern und Alex wurden zuerst herzlich begrüßt, dann zog er mich ebenfalls in eine Umarmung. "Kommt rein!", sagte er dann fröhlich und ging zur Seite, um uns eintreten zu lassen. Sofort fühlte ich mich besser und so als wäre ich wieder zuhause. Früher war ich fast jeden Tag in diesem Haus gewesen, teilweise sogar öfter als in unserem eigenen, denn es war deutlich gemütlicher und strahlte Geborgenheit aus. Nachdem ich meine Jacke an der Garderobe aufgehangen hatte, stieß ich zu den anderen im Wohnzimmer. Während sich meine Eltern mit Egon unterhielten, scherzte mein Bruder mit Nico, der mich Gott sei Dank noch nicht bemerkt hatte. Ich setzte mich neben Clarissa, die etwas abseits saß. "Er hat mich übrigens gefragt, ob ich ihm dein Instagram geben kann.", sagte sie, als ich mich gesetzt hatte. "Und?", fragte ich unsicher nach. "Er war ziemlich überrascht, dass du einen verifizierten Account hast.", antwortete sie amüsiert. Ich musste schmunzeln, als ich mir sein Gesicht vorstellte. Eine Weile lang saßen wir noch im Wohnzimmer, bis Lisa zum Essen rief. 

Wie sehr ich diese Paella doch vermisst hatte. Die anfängliche Übelkeit war recht schnell wieder verschwunden, auch als Nico mich begrüßt hatte mit einem schüchternen Winken. Man hatte mich genau gegenüber von ihm hingesetzt, was mir ehrlich gesagt gar nicht passte, weil ich so seinen Geruch ständig vor meiner Nase hatte. Er benutzte immer noch das gleiche Parfüm wie früher, was immer wieder Erinnerungen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen ließ. "Also Lara, konntest du deinen Traum eigentlich verwirklichen?", riss mich Lisas Stimme aus meinen Gedanken. Ich war überrascht, dass sie sich daran überhaupt noch erinnerte. Da ich gerade kaute, schluckte ich den letzten Rest noch hinunter, nickte und sagte dann:"Ja, ich hab drei Jahre bei den CCC Studios gearbeitet, aber ich gehöre leider zu denen, die ihren Job durch die Pandemie verloren haben." Während Lisa weiterhin mit mir über meine Arbeit sprach, fühlte ich, wie mich Nico beobachtete. Ich erklärte am Tisch, dass ich aber trotzdem Geld verdiente und auch dieses Mal schaltete sich Alex ein. "Und du lebst allein in Berlin?", wollte Egon dann wissen.   "Nein, ich hab mir vor kurzem eine Wohnung gekauft für meinen Verlobten und mich.", gab ich ihm als Antwort. Alle außer Nico schienen sich sehr zu freuen, dass ich heiraten würde. Er senkte seinen Blick und fing an, in seinem Essen herumzustochern. Etwas komisch fand ich das schon, schenkte dem Ganzen aber keine Beachtung, weil ich mir wahrscheinlich nur einbildete, dass seine Laune sich verschlechtert hatte. Für den Rest des Essens sagte er gar nichts mehr und tauschte nur noch Blicke mit seiner Schwester aus. Die beiden konnten ohne Worte miteinander kommunizieren, etwas was er und ich früher auch getan hatten. Nach dem Essen saßen wir noch etwas zusammen, weil meine Mutter einen Kuchen gebacken hatte. Tarta de Santiago, spanischer Mandelkuchen, war ihr Favorit gewesen, er war einfach und recht lecker, sie konnte den Namen aber nie richtig aussprechen, weswegen Nico und ich beide lachen mussten, als sie es versuchte. Sofort sahen wir uns an und mussten noch mehr lachen. "Danke, dass ihr das immer noch lustig findet.", kommentierte meine Mutter, während sie den Kuchen schnitt. 

Egon hatte eine Flasche Nussliquör auf den Tisch gestellt, um die Verdauung anzuregen, als wir unser Geschirr weggeräumt hatten. Während unsere Eltern einen Kurzen nach dem anderen kippten, sahen Clarissa, Alex, Nico und ich ihnen dabei amüsiert zu. "Hey, habt ihr Bock zur Bank hochzugehen?", schlug Clarissa irgendwann vor. Ihr war langweilig, genau wie mir, meinem und ihrem Bruder. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, bevor ich anfing zu nicken. "Willst du auch mit, Alex?", fragte ich meinen Bruder, der verwirrt zwischen uns drei hin und her sah. "Klar, als ob ich freiwillig bei den Rentnern bleibe.", scherzte er, was ihm einen bösen Blick meiner Mutter einbrachte. Wir entschuldigten uns alle vom Tisch und standen auf, dann gingen wir alle nacheinander unsere Jacken holen. Zuerst verließ Alex das Haus, dann Nico und als letztes Clarissa und ich. Auf dem Weg scherzten die Jungs die ganze Zeit miteinander, während wir Mädels uns kaputtlachten. Alex und Nico hatten es schon immer geschafft, gute Laune zu versprühen, auch wenn sie nur dumme Scherze machten. "Wisst ihr noch, als wir drei mal da drüben nach 'ner Party ins Meer gesprungen sind?", fragte Nico, als wir langsam den Hügel zur Bank hinauf gingen. "Oh, ja! Das war einer der witzigsten Abende meines Lebens.", antwortete ich in Erinnerung schwelgend. An diesem Abend hatte Nico mich das erste Mal vor einem Jungen verteidigt, der sich über mich lustig gemacht hatte und das war auch der Moment gewesen, in dem ich mich verliebt hatte. "Verratet ihr mir eigentlich mal, wo genau wir hingehen?", mischte sich nun mein Bruder ein. Wir hatten ihn noch nie mit zu der Bank genommen, einfach weil er deutlich jünger war als wir alle. "Wir haben uns mal verlaufen beim Wandern und haben zufällig eine Bank auf einem Hügel entdeckt und das ist dann unser Ort geworden.", erklärte ihm Clarissa. "Und was macht ihr dann dort?", wollte Alex wissen. "Also komm öfter her, um einfach für mich zu sein. Früher sind wir aber immer hergekommen, wenn wir keine Lust auf die anderen hatten.", antwortete sie. Nico und ich gingen mittlerweile neben einander und nickten zustimmend. 

Nun saßen wir also zu viert auf dieser Bank und redeten viel über unsere Jugend, naja, Nico, Clarissa und ich, Alex hörte nur zu oder lachte über unsere Geschichten. "Ich werd jetzt nach Hause gehen, bin verdammt müde.", sagte mein Bruder nach einer Weile. "Klingt gut!", stimmte ihm Clarissa zu und stand auf. "Ich werd noch bleiben.", informierte ich die beiden. "Ich auch.", kam es aus Nicos Mund. Es störte mich mittlerweile nicht mehr, mit ihm alleine zu sein. Vielleicht war das eine gute Möglichkeit komplett damit abzuschließen. Die Situation kam mir all zu bekannt vor. An diesem Ort hatten wir uns das erste Mal geküsst und dort hatte er mir auch das Herz gebrochen. Als mein Bruder und Clarissa gegangen waren, saßen wir still nebeneinander, man konnte nur das Rauschen des Meeres unterhalb des Hügels hören. "Du heiratest also?", ergriff er dann nach einer Weile das Wort. "Mhm.", antwortete ich, ohne meinen Blick zu ihm zu richten, obwohl ich wusste, dass er mich ansah. "Das freut mich für dich.", gab er leise von sich. Der Ton in seiner Stimme war alles andere als erfreut, aber ich ignorierte es. "Und du?", fragte ich daraufhin neugierig. "Seit 'nem halben Jahr wieder alleine, aber glücklich.", gab er mir als Antwort, was mich dann doch zu ihm sehen ließ. Er zwang sich richtig, mich anzulächeln und ich kannte ihn zu gut, um nicht zu erkennen, dass er überhaupt nicht glücklich war. Eine weitere Stunde saßen wir dort, bis wir dann nach Hause gingen. Wir redeten zwar kaum, aber es war nicht unangenehm. Bevor wir uns auf der Straße zwischen unseren Häusern von einander verabschiedeten, tauschten wir noch unsere Nummern aus. Vielleicht fand ich die Idee, mit ihm Weihnachten verbringen zu müssen, gar nicht mehr so schlimm.    

Like I Love You. (Nico Santos)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt