10.

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Nico

Ich wartete aufgeregt darauf, dass meine Schwester endlich nach Hause kam. Als sich die Haustür um kurz nach 11 öffnete, sprang ich sofort von meinem Bett auf und streifte mir eine Jogginghose über. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass Clarissa mich dabei sehen würde, wie ich das Haus verließ, also schrieb ich Lara, dass sie mir eine halbe Stunde geben sollte. Ein Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich mein Handy weglegen. Langsam öffnete ich sie und sehr zu meiner Überraschung stand Larissa davor. Sie sah müde aus und ihre Augen waren geschwollen. „Ich hatte keine Lust eine Stunde zu laufen.", flüsterte sie, ohne mir in die Augen zu sehen. Ihr ging es offensichtlich nicht gut, also verstand ich das und trat zur Seite, sodass sie vorbeigehen konnte. Bevor ich die Tür schloss, sah ich meine Schwester, wie sie mir mit einer Kopfbewegung signalisierte, dass ich auf den Gang kommen sollte. Ich sah hinter mich, wo Lara sich auf mein Bett gesetzt hatte und ihre Schuhe auszog. „Ich hol noch eben was zu trinken.", entschuldigte ich mich, schlüpfte durch die Tür und schloss sie hinter mir. „Lüg mich jetzt ja nicht an! Was genau läuft da zwischen euch?", fragte sie flüsternd, denn unsere Eltern schliefen bereits. „Wie viel weißt du?", stellte ich ruhig die Gegenfrage. „Ich denke mal alles.", antwortete sie und verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust. „Dann hast du die Antwort bereits.", entgegnete ich, bevor ich versuchte an ihr vorbei zu gehen. „Nicht so schnell, Nico. Ich kenne dich, du bist nicht der Typ für einen Urlaubsflirt.", sagte sie, während sie nach meinem Oberarm griff und mich aufhielt. „Ich war einsam und das war's.", log ich. Wie gesagt, niemand wusste, dass der Grund, weswegen ich mich damals von Lara getrennt hatte, gelogen gewesen war. „Bullshit! Sie bedeutet dir zu viel, als dass du sie ausnutzen würdest.", entgegnete sie und zog eine ihrer Augenbrauen nach oben. Sie wusste, dass ich ihrem Blick nicht standhalten würde, also versuchte ich verzweifelt den Blickkontakt zu meiden. Nach einigen Sekunden gab ich es aber auf, weil sie die Wahrheit wahrscheinlich sowieso irgendwann herausgefunden hätte. „Ich hab nie aufgehört, sie zu lieben und als wir uns wieder angefreundet haben, hab ich die Kontrolle verloren.", gab ich frustriert zu. „Du liebst sie immer noch?", hakte Clarissa überrascht nach. Ich nickte als Antwort und seufzte. „Nico, ihr habt euch fast 10 Jahre nicht gesehen. Wie? Und Leonie und Aileen, ich versteh nicht...", sagte sie frustriert mehr zu sich selbst, als zu mir. „Ich hab's versucht, Clarissa, wirklich, aber egal, wo ich war oder bei wem ich war, sie war immer da. Wie ein Geist, der mich heimgesucht hat und niemand konnte ihr jemals das Wasser reichen.", erklärte ich. Es tat gut, endlich mit jemandem über all das zu sprechen und es rauszulassen. „Du hast Leonie vier Jahre lang vorgespielt, dass du sie liebst?", wollte meine Schwester vedutzt wissen. „Nein, ich hab sie geliebt, aber eben nicht so wie Lara. Sie war, ist und wird immer das Einzige sein, was bedingungslos lieben werde.", antwortete ich mit den Schultern zuckend. „Warum hast du sie damals angelogen? Und warum hast du nie etwas gesagt? Das muss dich innerlich aufgefressen haben.", sprudelte es aus ihr heraus. „Ich werd dir das irgendwann in Ruhe erklären, Clarissa, aber ich will sie nicht so lange warten lassen. Sie sieht aus als bräuchte sie jemanden.", wimmelte ich sie ab, weil ich dieses Gespräch nicht weiter flüsternd mitten in der Nacht auf dem Flur führen. Clarissa nickte, ließ meinen Arm endlich los und verschwand dann in ihr Zimmer. Leise ging ich die Treppe nach unten, um noch eine Flasche Wasser zu holen und Larissa einen Tee zu kochen. Immer wenn sie früher traurig gewesen war, hatte ich das gemacht, um sie aufzuheitern, denn laut meiner Mutter würde ein heißes Getränk das Herz wieder aufwärmen.

Mit der Tasse in der einen Hand, der Flasche in der anderen und zwei Gläsern, die ich mir unter die Arme geklemmt hatte, machte ich mich vorsichtig wieder auf den Weg nach oben. Es war zwar etwas schwierig, meine Zimmertür zu öffnen, ohne etwas fallen zu lassen, aber ich war etwas erleichtert, als ich es doch schaffte. Sofort sprang Larissa vom Bett auf und nahm mir die beiden Gläser ab, die sie dann auf meinen Schreibtisch stellte. „Danke! Ich hab dir einen Tee gekocht.", sagte ich zu ihr und hielt ihr die Tasse hin. Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, es war klein und erzwungen, aber immerhin ein Lächeln. Ich liebte ihr Lächeln so sehr und tat immer alles dafür, sie dazu zu bringen. Als sie mir die Tasse abgenommen hatte, stellte ich die Flasche neben die Gläser und setzte mich auf mein Bett. Lara tat es mir gleich, dann nahm sie einen kleinen Schluck von dem Tee. „Du hast geweint.", stellte ich fest, während ich ihr dabei zusah. Sie schluckte hinunter und nickte. „Warum?", fragte ich besorgt. Wenn ich eins hasste, dann wenn sie traurig war. „Ich hab es Markus heute gesagt und mich von ihm getrennt.", antwortete sie, dabei vermied sie es, mich anzusehen und spielte stattdessen mit der Schnur des Teebeutels herum. Ich fühlte mich unheimlich schlecht, weil ich ja nicht ganz unschuldig an dem Ganzen war. „Das tut mir Leid.", sagte ich bedrückt. „Ich bin froh, dass ich es nicht mehr mit mir rumschleppen muss, aber ich hasse es, dass ich ihm das angetan hab.", antwortete sie und seufzte. Ich nickte und legte meinen Arm um ihre Schulter. Sofort lehnte sie sich an mir an. Wir saßen so lange so da, bis sie ihren Tee ausgetrunken und die Tasse auf dem Nachttisch abgestellt hatte. Danach legten wir uns hin und sahen uns einen Film an. Währenddessen kuschelte Lara sich an mich und ich genoss jede Sekunde davon. Irgendwann setzte sie sich auf, um ihren Hoodie auszuziehen. Danach lehnte sie sich zu mir herunter und küsste mich. Natürlich erwiderte ich, aber ich vertiefte den Kuss nicht. Sie war viel zu verletzlich in diesem Moment und das wollte ich nicht ausnutzen. Außerdem wäre es taktlos von mir gewesen sofort nach ihrer Trennung und nachdem sie geweint hatte, davon auszugehen, sie wäre in Stimmung. Als sie dann den Kuss vertiefte und mein T-Shirt nach oben schob, verschwanden meine Zweifel ziemlich schnell wieder. Lara entfuhr ein leises Stöhnen, als ich sie zu mir zog und uns so drehte, dass ich nun auf ihr lag. Mir gefiel, welchen Effekt ich auch nach neun Jahren noch auf sie hatte, weswegen ich in unseren Kuss hinein lächelte. Während wir uns gegenseitig auszogen, musste ich leider daran denken, was passieren würde, wenn wir beide abreisen würden, was mich den Kuss kurz unterbrechen ließ. War das nur so eine Inselgeschichte oder hatten wir dieses Mal wirklich eine Chance?

Like I Love You. (Nico Santos)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt