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an einem lauwarmen sommerabend an einem abgelegenen strand in der normandie frankreichs, war es ella mit dem schwarzen haar und der hellbraunen haut, die sich kurz vor dem schließen des cafés ein paar meter von den niedrigen klippen entfernt ein vanilleeis kaufen wollte. sie atmete das zarte salz der luft ein. alles fühlte sich warm an, ihr großes hemd, das sie aufgeknöpft über ihrem pastellgrünen bikini trug, war vollgeschwitzt. die locken klebten ihr im nacken.
barfuß auf dem asphalt, der sich mit der niedrigen sonne langsam abkühlte, wartete das mädchen vor dem offenen fenster in der zitronengelben hauswand, dessen weißlackierte fensterläden zur seite geklappt waren.

"salut!", rief sie mit heiserer stimme nach einem moment der stille, in der man nur ein auto in der ferne langsam vorbeifahren hörte. ella lehnte sich mit den unterarmen auf die tresen. der kühle stein fuhr über ihre vorher erhitzte haut und sie linste weiter in das geschäft hinein.

dion machte sich in der dämmrigen dunkelheit erkennbar. er räusperte sich, er war achtzehn und er strich sich kurz eine braune haarsträhne hinters ohr.

"entschuldige, ich dachte, es würde niemand mehr kommen. ich war am abwaschen.", schmunzelte er und zeigte mit seinem daumen hinter sich, irgendwo dahin, wo die küche war.

ella machte einen leisen zustimmenden ton, sie blieb nachdenklich, so als wüsste sie gar nicht schon, dass sie ein vanilleeis kaufen wolle und dann lächelte sie: "ein vanilleeis bitte."

dion machte eine kugel vanilleeis,
eine kugel vanilleeis in einem hörnchen, das er der stammkundin reichte und nachdem ella ihr eis angenommen hatte und ganz viele golden- und bronzefarbene münzen rausgeholt hatte, die klimperten, lehnte sie sich mit dem rücken an die hauswand neben das offene fenster.

nun war es dion, der sich mit den unterarmen auf die tresen stützte, nach draußen streckte und nach rechts zu ella sah. ella leckte von ihrem eis ab, sie fing mit der zungenspitze die tropfen auf, die sich die waffel hinunter bahnten und sah nach vorne zu den gräsern, den niedrigen klippen, den zwei fahrrädern, dem auto von dions mutter und dem himmel, der ein lila annahm.

"wie ist es 18 zu sein?", fragte ella und sah zu dion.

"so wie es ist 16 zu sein."

ella drehte sich wieder nach vorne, sie leckte von dem eis und sie wünschte sich mehr vom achtzehn sein und von dem leben danach, als es das leben ihr jetzt zu bieten hatte. vielleicht tat sie zu wenig dafür, vielleicht war sie zu inaktiv, aber so war es eben 16 zu sein. oder?

ella stoß sich von der hauswand ab und schlenderte zurück zum strand, nachdem sie "salut" gesagt hatte.

dion sagte "bon soirée", zog die fensterläden, von denen die farbe abblätterte, hinter sich zu und ging zurück in die küche, um den abwasch zu machen.

ella wanderte also zurück zum meer, ihre zehen gruben sich in den kühlen sand und laue winde kamen auf.

dieser strand, besonders zu dieser uhrzeit, war so abgelegen und vielleicht auch einsam – trotzdem idyllisch – das ella ihren beutel hier hatte liegen lassen können, neben dem dünnen tuch, auf das sie sich nun legte. sie stützte ihre hand mit der eiswaffel auf ihrem bauch ab und atmete. der himmel war wolkenlos, er war weit entfernt, noch weiter als der horizont und während sich alles in diesem dorf so klein anfühlte, war es wohl das größte und grenzenloseste, was es auf der welt gab. denn wirklich, gab es überhaupt etwas über die grenzen dieses dorfes hinaus?

und war der horizont vielleicht schon das ende der welt?

vielleicht. so konnte ella keine fremden bote und keine städte dort hinten ausmachen.

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