𝕰lodie konnte kaum fassen wie wenig Ehrgefühl ihr Vater besaß, kaum wollte sie sich zu ihrer Mutter gesellen, um angemessen zu trauern und sich zu verabschieden, entschied er sich, dass es Zeit war sie wegzubringen. Ein wenig verstand sie seine Gründe. Aber nur ein wenig. Würde ein Diener oder Postbringer vorbeischauen würde er den Gestank von Weitem riechen, wenn auch erst nach Tagen. Wachen die ihren Rundgang machten, waren aber ihre größere Sorge, sie mochte sie nicht besonders. Aber in diesen Zeiten war es durchaus sinnvoll, Wachen an jeder Ecke zu haben. Man wusste nie, wann einer der gefährlichen Menschen aus den Nachbarländern oder Gegner des ersten Konsuls, hier im Innenland, ein Attentat auf die loyalen Anhänger Napoléons planten. Zumindest hörte sie, wie zwei hohe adelige Frauen in der Oper behaupteten, dass 'sie alle gefährlich und Unmenschen' seien.
Diesen Tag würde Élodie nie vergessen, sie hatte lange gespart um hingehen zu können und sich eines Abends rausgeschlichen. Aber so ganz alleine und ohne Begleitung wäre sie niemals hereingekommen, also bezahlte sie einen Diener, den sie kurz zuvor getroffen hatte, um vorzugeben, dass er ihre Begleitung sei, aber lieber vor der Oper auf sie warten würde da er Gesang nicht besonders mochte.
Aber wenn eine Wache jemals Wind von seinem grausamen Verbrechen an ihrer Mutter Manon bekommen würde, so wäre ihrem Vater die Hinrichtung vorbestimmt. Und genau das war es, was sich Élodie im Moment wünschte.
Die junge Frau würde ihn jedoch nie verraten, er war doch ihr Vater! Und sie könnte ihn nicht nur nicht verraten, weil er ihr Vater war, sondern auch, weil sie nach seinem Tod nichts mehr hätte. Keine Bleibe, kein Geld und kein Essen. Vater würde und durfte ihr nichts vererben und auf eine Mitgift konnte sie lange warten. Ihre Mutter hatte nicht Wertvolles zu vererben, womit sie überleben konnte. Sie müsste zur Hure werden, wenn ihr Vater eines Tages starb und dennoch hatte sie nie das Bedürfnis verspürt zu heiraten. Allem Trotz, dass es ihre Existenz sichern würde, nicht der Mitgift wegen. Denn die würde sie niemals erhalten.
Élodie kniff die Augen zusammen, als sie merkte wie diese wässrig wurden. Ihre Trauer schwoll weiter an, als Ausdruck ihrer verzweifelten Lage.
Die große Rothaarige hatte nach dem Tod ihres Bruders immer davon geträumt, weit weg mit ihrer Mutter zu fliehen. Und die sie wusste, dass es immer ein ferner Traum bleiben würde. Nichts weiter als eine unrealistische und kindische Wunschvorstellung, die sie pflegte.
Das Mädchen saß einfach da, neben der Truhe ihrer Mutter und roch an ihren Kleidern. Élodie konnte sich erinnern, wie ihre Mutter ihr immer wieder sagte, dass sie die Kleider später haben durfte. So als hätte die zweifache Mutter und unglückliche Ehefrau gewusst, dass sie nicht so lange auf der Erde weilen würde. Stoff für Stoff entleerte die Tochter die Truhe ihrer Mutter und schwelgte mit jedem Kleidungsstück in neuen Erinnerungen. Ihre Mutter hatte das nicht verdient, sie hatte weder dieses qualvolle Leben, noch ihren qualvollen Tod verdient.
Die Grünäugige ließ ein weiteres Kleid ihrer Mutter durch die Finger gleiten, als ihre Fingerkuppen auf ein kleines Stück Papier im Inneren der Truhe stießen. Sie hielt ein Moment in ihrer Bewegung inne, ehe ihr Blick zur Truhe wanderte und sie misstrauisch die Stirn runzelte. Dann erhob sie sich, nahm den Zettel aus der Truhe und wendete es mehrfach in ihrer Hand. Das alte, gelbliche Papier war dick zusammengefaltet, mit einem braunen Stoffgarn zusammengebunden und fühlte sich rau in ihren Händen an, was wohl darin stand?
Sie öffnete den Knoten und faltete den Papierfetzen langsam und äußerst vorsichtig auseinander, um es nicht zu zerreißen, es war kein besonders guter und haltender Stoff aber Élodie wusste, dass ihre Mutter kein besseres hätte bekommen können. Sie durften nicht ins Arbeitszimmer ihres Vaters, wo sich das hochwertige Papier befand und sie als Frauen bekamen von Vater nie besonders viel Geld um sich welches kaufen zu können.Mon amour,
es tut mir unendlich leid nicht bei dir sein zu können. Egal wie sehr du in deiner Trauer versunken bist, geh weit weg. Geh nach Paris, ins Palais de Tuileries und frag nach einem gnädigen Herrn aus dem Adel Noblesse Imperériale. Der Mann, den du suchen wirst, heißt Enzo Vincent, sag ihm wer du bist, Tochter von Manon Marchand und Schwester von Marcell Marchand.
Dann wird er dich gewiss erkennen und gut für dich sorgen. Warte nicht auf den Tod deines alten Herrn. Er wird dich nicht vererben und hat Schulden bei den schlechten Menschen. Schulden, die du nach seinem Tod begleichen müsstest. Das ist nicht das Leben, dass du leben solltest. Sag mir, wie könnte ich in Frieden unter der Erde ruhen mit dem Gewissen, aus meiner Tochter eine Hure gemacht zu haben? Geh und komme nicht zurück, mein geliebtes Kind!Deine Mutter,
Manon Marchand.Was hatte sich ihre Mutter hierbei nur gedacht? Natürlich war Élodie ihr dankbar dafür, dass sie sich sorgte, jedoch hatte ihre Mutter ihrem Plan nicht gut konzipiert oder gar zweimal überdacht! Von Clermont nach Paris würde sie zu Fuß zwei Tagesmärsche brauchen, denn ihr Vater würde sie niemals entlassen, also würde sie nicht mit der Kutsche nach Paris reisen, wie es ihr Vater ab und zu tat. Als Élodie noch zarte zehn Jahre alt war, durfte sie ihren Vater als Kaufmann einmal begleiten. Sie war so entzückt von der feinen Gesellschaft, und wie nett sie doch waren! Aber heute weiß Élodie, dass es nichts anderes als falsche Freundlichkeit und kalte Höflichkeit war. Die hohen Adligen achteten stets auf Etikette.
Sie würde dazu mit einem Verzug von einem halben Tag rechnen müssen, wenn sie sich entscheiden sollte im Winter abzureisen!
Aber Élodie entschied sich, sich erstmal nicht den Kopf darüber zu zerbrechen und überwand sich, die Kleider wieder in die Truhe zu packen. Noch war ihr Vater dem Tod fern, sie hatte noch Jahre Zeit. Wenn gleich ihre Mutter sich gewünscht hatte, das Mädchen würde sofort aufbrechen, sie hatte es im Brief nur allzu deutlich geschrieben. Die Rothaarige hatte nicht gemerkt wie ihr Tränen die Wangen hinab flossen, bis sie auf dem billigen Papier durchsickerten. Sie wischte sich mit ihrem Kleid über das gerötete Gesicht und schniefte einmal.
Ihre Mutter hatte immer an erster Stelle an sie gedacht, anstatt an sich selbst. Warum war alles nur so grausam?
Warum werden ihr die Menschen weggenommen, die sie liebte?
Sie faltete das Papier und steckte es sich in den Busen. Ihr Vater sollte bloß nichts merken! Die Kleider warf sie einfach durcheinander in die Truhe und klappte diese zu. Sie würde später den Zettel mit ihren Büchern verstecken, niemand außer ihrem Bruder kannte dieses Versteck. Er war es, der ihr die Bücher heimlich kaufte, die sie lesen wollte, ihr Vater hätte niemals erlaubt, dass sie so viel las. Es gehörte sich nicht für eine Frau. Männer waren es lediglich, die sich zugunsten und in Anerkennung der Gesellschaft hochbilden durften.Votes und Kommis - vorausgesetzt euch gefällt was ihr gelesen habt xD - nicht vergessen, damit unterstützt ihr mich als angehende Autorin und mein unvollendetes Werk :)
Kritik ist herzlich willkommen.Beta: > Toni-Malfoy <
2.Beta: Buchclub
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Rufe der Freiheit
Historical FictionFrankreich, 1800 n. Chr. Noch Ende des Jahres 1799 n. Chr. konnte Napoléon Bonaparte zurückblicken und Stolz sein Erfolg feststellen. Die Französische Revolution wird für beendet erklärt und die Bürger sind zufrieden, jedoch starb gleichzeitig Élodi...