𝕷ange musste sie gar nicht im Stehen Geduld üben, da war auch schon eine edle Kutsche vor dem Gästehaus angekommen. Leonardo und Élodie warteten ungeduldig und ließen ihre Augen nicht von der Tür ab. Wer der reiche Herr wohl war? Nicht dass sie ihn wiedererkennen könnte, sie hatte sich nie für Adlige und reiche Menschen interessiert und Zeitung hatte sie nie lesen können, zumal sie in diesen Zeiten ziemlich begrenzt war.
Mit einem langen Knarren wurde dir große Eingangstür geöffnet.
Ein hochgewachsener Mann in ansehnlicher Kleidung und dickem, teurem Pelzmantel trat durch die Tür, hinter ihm der Kutscher. Die Wangen und Nase waren leicht gerötet und verliehen seinem harten Gesicht etwas Weiches und Niedliches. Er flüsterte etwas zum Kutscher worauf dieser an der Tür neben dem Diener stehen blieb und Élodie, immer wenn er dachte sie würde ihn nicht ansehen, mit dem Blick studierte. Sie versuchte ihn zu ignorieren und fixierte den anderen Mann. Ohne auch nur einen Blick auf seinem Umfeld zu richten, marschierte er dann selbstbewusst zur Theke. ,,Guten Tag, ich habe reserviert", sagte er mit tiefer, vibrierender Stimme freundlich.
,,Oh, natürlich. Euer Name? Nur zur Sicherheit", erwiderte Leonardo mit seinem herzlichen Lächeln.
,,Sucht in der Gästeliste nach dem Namen Vincent!"
,,Das brauche ich gar nicht, Euer Besuch wird schon erwartet, Monsieur Vincent."
Élodie musterte den Mann von hinten. Er war von kämpferischer Statur und würde furchteinflößend wirken, wäre da nicht dieses helle Lächeln auf dem Gesicht. Die langen schwarzen Haare waren nach hinten zusammengebunden und verliehen ihm was Wildes und Verruchtes, auch wenn er keineswegs der einzige Mann war, der sein Haar so trug. Vincent sagte er? Unter Enzo Vincent hatte sie sich eher einen fülligen, älteren, kleinen Mann vorgestellt. Nein, das konnte er nicht sein! Oder vielleicht doch? Vielleicht war er auch sein Sohn oder sein Neffe, oder er war einfach ein fremder Mann mit demselben Namen, der wahrscheinlich häufiger vorkam als sie ahnte. Aber was bedeutete dann seine teure Kleidung? Konnte er wirklich einer aus der Noblesse d'Empire sein? Sie konnte das nicht genau sagen, dafür war sie noch nie mit einem so hohen Adligen im Raum gewesen. Noch nicht mal aus der Ferne hatte sie so jemanden sehen können. Was machte er dann hier? Und warum eigentlich machte sie wegen eines Namens so einen großen Aufstand? Sie müsste nur fragen, und dann hätte sie Gewissheit.
,,Entschuldigt!", rief sie vom hinteren Ende des großen Raumes, nachdem sie ihren ganzen Mut zusammengenommen hatte. ,,Könntet Ihr mir verraten, wie Sie mit Vornamen genannt werden?"
Der Mann drehte verwundert seinen Kopf und schien Élodie erst jetzt bemerkt zu haben. Für einen kurzen Augenblick betrachtete er sie nur aus seinen dunklen Augen. Dann wanderten seine Iriden, die wie geschliffene Anthophyllite glitzerten, über ihrem Gesicht und hefteten sich an ihren Augen.
,,Monsieur?", fragte sie unsicher. Sein langer Blick machte sie ein wenig nervös und ganz verdruckst, auch wenn das Lächeln in seinem Gesicht keine Sekunde lang gewichen war. Sie hoffte, dass die Frage nicht unhöflich wirkte und schaute ihm schüchtern mit einem sanften Lächeln in die Augen. Wahrscheinlich wusste er spätestens jetzt, dass sich hinter der Frage keine schlechten Absichten verbargen.
,,Duc Enzo Vincent, mein Name", antwortete er dann. Élodies Gesichtszüge entgleisten und sie könnte schwören, gespürt zu haben wie ihr das Blut aus dem Gesicht rauschte. Ein Herzog? Sie soll bei einem Duc wohnen! Sie, die Tochter eines einfachen, mittlerweile erfolglosen Kaufmannes.
In was hatte sich da ihre Mutter nur hineingeritten, wenn ein Herzog sie ernähren wollte. Wie kam sie überhaupt in Kontakt mit jemanden, der sich in der Rangstufe des französischen Adels an der Spitze befand? Und vor allem; wann? Er war praktisch unnahbar. So jemand wollte mit ihr was zu tun haben? Jetzt konnte sie verstehen, warum die alte Dienstfrau so aufgeregt war, ein Duc!
,,Ihr seht so erschrocken aus, liegt es an meinem Titel als Duc? Wenn ja, dann bitte nicht. Ich bin nicht besser als ein Bauer.", sagte er bescheiden und sein Lächeln fing langsam an zu bröckeln.
,,Oh, ähm.. natürlich", erwiderte sie ein wenig verspätet.
,,Was bringt Euch hier her?"
Élodie trat ein paar Schritte nach vorne.
,,Ich bin auf der Suche nach jemanden.", brachte er wage hervor. Könnte er wirklich auf der Suche nach ihr sein?
,,Colette wird Euch zu Eurem Zimmer begleiten", durchbrach Leonardo die Stille und holte sie somit aus den Gedanken heraus. Er zeigte auf die blonde alte Frau, die versuchte unauffällig ihr Kleid zu glätten. Colette hieß sie also. Der Herzog nickte mit dem Kopf und ging mit schweren Schritten auf Colette zu. Diese war schon dabei den Raum zu verlassen, um die Treppen nach oben zu steigen. ,,Dann, eine angenehme Reise wünsche ich Euch", verabschiedete er sich dann und wandte den Blick von ihr ab. Élodie blicke ihm nach, jetzt konnte sie langsam klar denken. Es hatte sie völlig unvorbereitet getroffen und der Schock hatte ihre rationalen Gedanken gelähmt, sie musste ihn aufhalten!
,,Wartet!", rief sie ihm hiterher, als er das Treppenhaus erreichte. Sie sprintete auf ihn zu und hielt ihn unüberlegt am Ärmel des Mantels auf. Der große Mann drehte den Kopf leicht und schaute erst auf sie herab, dann auf seinen Ärmel. Sie erkannte ihren Fehler, er musste sie ja für völlig respektwidrig halten!
,,Ähm.. sucht Ihr zufälligerweise ein Mädchen namens Élodie Marchand?"
,,Woher...?" Er nahm ihr mit einem Griff die Haube auf den Kopf ab. Die Haare fielen ihr wirr und lockig über die Schulter und er betrachtete anschließend sprachlos die rote Mähe mit den Braunstich. ,,Diese Haare würde ich überall wiedererkennen... Was zum Teufel treibt Euch hierher?"
Die Verblüffung war gewichen, stattdessen machte sich Ärgernis auf seinem kantigen Gesicht breit. Was hatte sie jetzt schon wieder falsch gemacht?
,,Ich... Ich bin nur dem Wunsch meiner Mutter nachgegangen. Sie hatte ausdrücklich gesagt; ich solle mich auf dem Weg ins Palais de Tuileries machen und Euch suchen!"
Oder wollte er sie doch nicht beherbergen? Fragend und verunsichert sah Élodie den Herzog an. Ihre Atmung war flach und ihre Hände schwitzten wieder.
,,Natürlich, aber Ihr hättet ruhig ein paar Wochen bei Euch bleiben können", erwiderte er. Was war nur los mit ihm?
,,Ich habe mich auf den Weg zu Euch gemacht, weil mir gesagt wurde, dass Ihr wahrscheinlich gar nicht kommen würdet! Und auch wenn Ihr hättet kommen wollen, doch nicht bei diesem Wetter!", schimpfte er weiter und sah für Élodie zunehmend bedrohlich aus. Niemals hätte sie mit so einem Gemütswechsel gerechnet.
,,Ihr seid wahnsinnig! Ihr reist, wie ich sehe zu Fuß und das im Januar", redete er ungläubig weiter. Sein Gesicht spiegelte Fassungslosigkeit wider.
,,Dann bin ich eben wahnsinnig, wenn es heißt, mich außer Gefahr wissen zu möchten", erwiderte sie mit zittriger Stimme und ging ein paar Schritte rückwärts. Er wusste gar nichts, er wusste wirklich nicht das Geringste über sie und trotzdem nahm er sich das Recht über sie zu urteilen. Schnell schluckte sie die Tränen herunter und versuchte ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, diese schreckliche Nacht wollte sie doch einfach nur vergessen.
,,Außer Gefahr? Ich bin sicher, Ihr wärt bei Euch Zuhause noch nicht verhungert", sagte er spöttisch und klammerte sich mit einer Hand am Treppengeländer fest. Natürlich hielt er sie für ein gewöhnliches Mädchen, dessen einzige Erschwerung es war, ob es auch genug in Besitzt hatte.
Wahrscheinlich dachte er auch noch, sie wollte nur zu ihm wegen des Geldes und Ansehens. Sie seufzte schwach und senkte für ein paar Momente kraftlos die Lider.
,,In Gefahr sind Sie erst gewesen als Sie beschlossen haben, alleine und zu Fuß in der Fröste zu reisen!"
Sie konnte diese ganzen Anschuldigungen langsam nicht mehr hören! Wenn er von den letzten Geschehnissen nur wusste, dann würde er nicht so mit ihr reden. Oder wahrscheinlich würde er ihr die Schuld zuschreiben und mit Anschuldigungen nur um sich werfen wie er es jetzt tat.
,,Hört, ich finde es sehr gnädig von Euch, mich bei Euch aufnehmen zu wollen, aber ich muss mir das hier nicht geben. Wenn Ihr weiter so respektlos mit mir reden werdet, dann brauchen Ihr mir nicht ihr Heim zu bieten, ich komme schon allein zurecht", platzte es aus ihr. Élodie wusste zwar, dass ihre Chancen auf das Überleben, alleine und ohne Hilfe sehr gering waren, jedoch würde sie auch nicht mit jemanden leben, der sie genauso behandelte wie ihr Vater. Dazu hatte sie die Kraft nicht. Man könnte ihren Zustand mit einem Kartenhaus vergleichen, dass bei der nächstbesten Windböe in sich zusammenfiel, da sie viel zu müde war, als dass sie es aufrechterhalten könnte. Ihre Seele fühlte sich so unendlich... zersplittert an. Sie brauchte jemanden, der ihr half die Stücke einzusammeln und nicht jemanden der weiter auf den Scherben tanzte. Und wenn sie niemand fand, dann würde sie eben alleine sammeln. Es würde eine Weile dauern, aber es war besser als nichts, überzeugte sie sich. Das Sprichwort lautete schließlich; Scherben bringen Glück.
Er sah ihr unverwandt in die Augen, schien nach irgendwas zu suchen. Was auch immer er fand, es brachte ihn dazu, den Kopf langsam zu senken und leicht ungläubig zu schütteln. Sie wischte sich unauffällig die nassen Handflächen hinter dem Mantel ab und kaum merklich entwich ihren Lippen die Luft die sie unbewusst angehalten hatte.
Diesmal war er es, der seufzte. ,,Nun denn..." Seine Hand hielt die silberne Halterung nicht mehr so fest. Er wirkte mit einem Mal unglaublich erschöpft und Élodie konnte nicht umhin sich ein weiteres Mal zu fragen was nun mit ihm los war. Seine Launen wechselten wirklich oft und ängstigten sie manchmal.
,,Ich schlage vor, wir brechen erst am Nachmittag wieder auf, ich würde mich gerne ausruhen." Damit drehte er sich um und stieg die Treppen hinauf. Unfassbar! Würde sie jetzt einen halben Tag in der Eingangshalle warten müssen? Sie warf einen hilflosen Blick nach hinten, wo Leonardo sie schon mit gerunzelter Stirn betrachtete und mitleidig den Mund verzog. Sie ließ den Kopf hängen und atmete ein paar Mal tief durch. Sie würde sich definitiv nicht so von jemanden unterkriegen lassen! Das Mädchen reckte ihr Kinn in die Höhe und hoffte selbstsicherer auszusehen, als sie sich in Wirklichkeit fühlte.
,,Dann warte ich eben hier...", flüsterte sie zu sich selbst und ging mit eiligen Schritten wieder in die hintere Ecke des Foyers, mit den Blicken der beiden Diener des Herzogs auf sich bewusst.
Oh Mann...
,,Nehmt es Euch nicht zu Herzen", flüsterte der Diener und neigte leicht den Kopf in ihre Richtung. Der Kutscher blieb weiterhin stumm.
,,Sein Zustand liegt nicht an Euch, er hat einfach zu viel erleben müssen, es ist ein Wunder, dass er überhaupt lächeln kann", fügte er hinzu und wandte sich wieder von ihr ab. Kopfschüttelnd zogen sich ihr Brauen zusammen. Ja, sie hatte auch viel erleben müssen. Aber sie würde es an niemand anderem auslassen, sie trugen schließlich keine Schuld an ihren Tragödien. Aber es ging sie schließlich nichts an, wie er das Erlebte verarbeitete, wenn überhaupt. Wieder drang ihr ein Seufzer durch die Lippen und sie ließ müde die Schultern hängen. Sie würde wohl lernen müssen, sich das was der Herzog von sich gab, nicht ganz zu Herzen zu nehmen. Sie betete still um Kraft, Kraft von der sie nicht viel übrig hatte.Votes und Kommis - vorausgesetzt euch gefällt was ihr gelesen habt xD - nicht vergessen, damit unterstützt ihr mich als angehende Autorin und mein unvollendetes Werk :)
Kritik ist herzlich willkommen.Beta: Buchclub
2.Beta: >Toni-Malfoy<
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Rufe der Freiheit
Ficțiune istoricăFrankreich, 1800 n. Chr. Noch Ende des Jahres 1799 n. Chr. konnte Napoléon Bonaparte zurückblicken und Stolz sein Erfolg feststellen. Die Französische Revolution wird für beendet erklärt und die Bürger sind zufrieden, jedoch starb gleichzeitig Élodi...