Mr. Cinderellas Kuss

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Die Models für das Editorial eingekleidet, ein Interview für eine Dokumentation über aufstrebende Jungdesignerinnen gegeben und der unfähigen Sekretärin ordentlich den Marsch geblasen. Zufrieden griff Chloé nach ihrem Sketchbook und überprüfte die Entwürfe für ihre neue Kollektion. Wärme legte sich um ihr Herz. Nichts auf dieser Welt übertraf den Zauber eleganter Kleider. Sie, Chloé de la Cour, lebte für die Mode. Mit 17 hatte sie ihr eigenes Modelabel ‚Purple Kiss' gegründet und nun, mit 25, war sie ein Star. „Perfektion ist dein zweiter Name, Chlo", murmelte Chloé, als sie einen Blick auf die Wanduhr warf. Acht Uhr abends. Zeit, sich für die Charity Gala umzuziehen.

Chloé betrachtete sich im Spiegel ihrer privaten Umkleidekabine. In dem langen Abendkleid mit Beinschlitz im typischen Valentino- Rot sah sie adrett, doch für ihren Geschmack etwas zu aufreizend aus. Fast so, als hielte sie ein Schild mit den Worten „Huhu, ich bin noch Single" in den Händen. Pah! Männer waren Zeitverschwendung, als Topdesignerin setzte sie andere Prioritäten. Dennoch verspürte sie einen Stich in der Herzgegend, als ihr klar wurde, dass sie als eine der wenigen ohne Begleitung bei der Gala auftauchen würde. „George, du übernimmst die Leitung hier!", rief sie ihrem jungen Assistenten zu, als sie hinausstürzte.

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Die Kulisse der Gala war atemberaubend. Auf dem Vorplatz schwebten bunte Lampions und ein roter Teppich geleitete den Weg ins Innere der Oper. Während Chloé einen Schluck Champagner trank, sah sie sich neugierig um. Noble Herren und Damen in Edelroben standen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Mit nur 150 geladenen Gästen lockte die Gala allein die Crème de la Crème aus Wirtschaft und Showbusiness an.

„Chloé de la Cour!"

Chloé drehte sich um.

„Sie sind der neue Star im Modeolymp!" Eine dicke Dame im Pelzmantel drückte ihr ein zweites Champagnerglas in die Hand und zog sie in Richtung der Zuschauerränge.

Chloé seufzte. Die ganzen Reden und Ehrungen lang setzte die Frau ihre Lobpreisungen fort und Chloé freute sich, gegen Ende des Events entwischen zu können. Die Oper drehte sich inzwischen leicht vor ihren Augen. In Gedanken versunken trank Chloé auf dem Weg zur Toilette ein drittes und viertes Glas Champagner. Ihr Orientierungssinn litt unter dem Alkoholgenuss und auf einmal befand sie sich statt im Badezimmer in einem kleinen Nebenraum. Klassische Musik drang an ihre Ohren. Wenn sie nur nicht alles so verschwommen sehen würde!

„Sie sind recht flott vor der Prominenz geflüchtet!", kam plötzlich eine Stimme näher. „Wundert Sie das? Die langweilen mich alle!" Chloé lachte. Auf einmal wollte sie die ganze Welt umarmen.

„Wenn das so ist, dürfte ich Sie um einen ganz und gar nicht langweiligen Tanz bitten?"

Ein Gentleman, den Chloé in seinem schwarzen Anzug nur schemenhaft erkennen konnte, bot ihr seinen Arm an. Die alte Chloé würde sich für den neuen Arbeitstag ausschlafen, doch diese hier wollte sich amüsieren!

„Selbstverständlich!" Chloé legte ihre Arme um die Schultern des Mannes. Er umfasste ihre Hüfte so sanft, als fürchtete er, sie zu zerbrechen. Die Zeit schien still zu stehen, als die beiden sich im Kreis drehten. Zuerst langsam, dann immer schneller.

„Sie gehen ja ab wie ein Torpedo!", rief Chloé.

Der Gentleman beugte sich zu ihr hinunter. „Sie auch", flüsterte er ihr ins Ohr. Plötzlich führte er sie unter seinem linken Arm hindurch und sie drehte sich, vor Vergnügen jauchzend. Chloé sah zu ihrem Tanzpartner auf. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch fuhren Achterbahn, als er seine Stirn gegen ihre legte. Endlich küsste er sie. Seine Lippen erkundeten sanft die ihren, wie bei einem harmonischen Paartanz. Zuerst genoss Chloé den Kuss nur, dann erwiderte sie ihn. Wärme durchströmte ihren Körper und in ihrem Kopf zündete ein Feuerwerk. Wow. Nicht einmal die Mailänder Modewoche ließ ihr Herz höher schlagen.

Die Schatztruhe- KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt