2 - Experiment

252 17 0
                                    

Der Tag nach Kenneth' abermals gescheiterten Versuch, mich zu heilen, verlief wieder, als wäre am Abend zuvor nichts geschehen. Ich bekam mein karges Frühstück aus Brot, einer dünnen Scheibe Käse und ein paar mickrige Karotten durch eine Öffnung in der Tür geschoben, sodass die Krankenschwester ja nicht durch mich in Gefahr geraten konnte. Ich würde euch ja sagen, dass ich sie niemals angreifen würde, aber das war gelogen. Ich würde alles dafür tun, um meine Medizin zu bekommen.

Nach kurzem Betrachten entschied ich mich dazu, nur die Karotten zu nehmen und auf dem Rücken im Bett liegend auf ihnen herumzukauen. Mir wurde vor dem Abendessen gestern die Zwangsjacke abgenommen, sodass ich auch jetzt noch mit freien Armen nach dem Essen greifen konnte. Das Feuer in mir hatte sich entspannt - keine Schmerzen -, aber ich wusste, dass es heute jeder Zeit wieder anfangen konnte. Es war niemals regelmäßig. Manchmal passierte es am Morgen, manchmal gegen Mittag oder am Abend. Aber jeden Tag wurde ich einmal für - laut Kenneth - ungefähr eine Stunde von einem Taifun aus Schmerzen überrollt.

Nachdenklich kaute ich an meinen Karotten-Sticks herum. Eigentlich musste ich nichts essen, weil der Fluch mich eh niemals sterben lassen würde, aber es war eine nette Beschäftigung, die mich aus der Langeweile hier für kurze Zeit herausholte. Heute würde es nochmal zusätzlich langweilig werden, weil ich keine Sitzung mit Kenneth hatte. Auch wenn ich den Psychiater nicht ausstehen konnte, unsere Gespräche waren eine Abwechslung zu dem öden Herumgelebe in meiner Zelle. Es gab hier nicht viel. Nur ein Bett und einen kleinen Tisch mit Stuhl. Wenn ich auf Toilette musste, musste ich fragen oder in einen Eimer machen, den sie mir neben die Tür gestellt hatten. Es war abgrundtief erbärmlich. Die Möbel waren aus Schaumstoff oder sowas Ähnlichem. Irgendetwas Weiches, sodass ich mich damit nicht verletzen konnte. Ja, ich hatte mich schon versucht, umzubringen - bereits in meinen ersten Tagen hier. Nach mehreren Monaten, in denen ich immer die Medizin hatte nehmen können, die die Schmerzen milderten, hatte ich das volle Ausmaß vergessen oder wenigstens in den Hintergrund meines Gedächtnisses geschoben. Als sie mich dann hier eingesperrt hatten, die Medizin ihre Wirkung verlor, war ich wieder den Schmerzen hilflos ausgeliefert. Das machte einen wahnsinnig und ich hatte nur einen Ausweg gefunden. Ich fragte mich, warum sie nicht einfach zugelassen hatten, dass ich mich umbrachte. Dann wären sie mich los. Vielleicht wussten sie...? Nein, das konnten sie nicht wissen. Woher auch? Nur meine Familie wusste davon. Wir waren unsterblich. Immer wenn wir starben - egal, ob durch einen Kopfschuss, ein Messer ins Herz zu stechen oder mich von einer Klippe zu stürzen - ich landete immer wieder in meinem verfluchten Geburtshaus, meine Mutter würde mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen über mir stehen, den Kopf schütteln und mich dann wieder meinen Weg gehen lassen. Ich hatte ihnen von der Medizin erzählt, die ich entdeckt hatte, aber sie weigerten sich, sie zu nehmen. Sie sagten, wir müssten uns unserem Schicksal stellen, es akzeptieren, aber das würde ich niemals tun. Ich würde nicht einfach so kampflos mit den täglichen Qualen leben.

Am späten Vormittag wurde die Tür zu meiner Zelle geöffnet und Mike und Mickey begrüßten mich mit Schweigen. Ein leichtes Grinsen legte sich auf meine Lippen. "Machen wir einen Ausflug?", fragte ich mit Belustigung in der Stimme. Natürlich antworteten sie mir nicht, sie hatten mir noch nie geantwortet. Unhöfliche Idioten. Da ich keine Anstalten machte, mich aufzusetzen, geschweige denn brav ihnen entgegenzukommen, liefen sie auf mich zu. Mickey hatte eine der weißen Zwangsjacken in der Hand und ich wusste sofort, dass das bedeutete, dass meine Arme abermals ihre Freiheit verlieren würden. Ich hasste dieses beengende Gefühl, es war schlimmer als Handschellen oder normale Fesseln, denn die Jacke fixierte deinen ganzen Oberkörper in eine Starre.

"Wenn ihr 'bitte' sagt, werde ich mich nicht wehren", bot ich ihnen an, aber natürlich sagten sie weiterhin nichts. Mit einem lauten Stöhnen warf ich den Kopf in den Nacken und setzte mich auf. "Na schön!", sagte ich mit ausgestreckten Armen. "Ich werde heute mitspielen."

Verfluchter Wahnsinn (Joker ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt