Kapitel 3 - Donnerstagnachmittag

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Der Schweiß lief ihm in Strömen herunter. Sein Herz schlug heftig und er rang nach Atem. Warum habe ich mich nur darauf eingelassen, dachte er und versuchte tief einzuatmen.

Die Sonne hing über dem nahen See. Das Wasser schimmerte golden, der Horizont über dem Wald schien in purpurnen Flammen zu stehen, die je höher es ging röter, orange, und fast goldgelb leuchteten und neben dem Wald langsam ins Bläuliche wechselten. Es würde gerade noch genug Zeit sein, um ihr Zelt in Ruhe aufzubauen und dann vielleicht noch ein Bier zusammen zu trinken.

Sein Rucksack hing schwer an seinem Rücken. Er konnte die feuchte Hitze seines Schweißes dort deutlich spüren. Das Shirt klebte ihm wie eine zweite Haut am Körper. David stieg ebenfalls vom Rad, ließ den Rucksack zu Boden sinken und schob sich aus dieser zweiten Haut wie eine Schlange. Er warf sein Shirt zu seinem Rucksack und stellte sich in die Sonne. Seine Oberarme und Brust leuchteten in der Abendsonne wie Bronze. Über den Sommer hatte er gut Farbe bekommen.

Elio zögerte einen Moment, dann zog auch er sein Shirt aus. Er legte es sorgfältig in die Sonne, damit es trocknen konnte.

„Gewonnen", hatte David gesagt und gegrinst, wie ein Schuljunge. Sie hatten auf der letzten Etappe ein Wettrennen gemacht. Eigentlich hatte David damit angefangen und hatte ihn einfach mitgezogen. Es war klar, dass Elio im Grunde keine Chance haben würde. Zumindest aus Davids Sicht. Aber fast hätte er dem Ego seines besten Freundes einen tödlichen Nackenschlag verpassen können. Es war knapp gewesen und sie waren fast gleichauf. Der Weg vom Haus von Davids Onkel bis hierher war nicht sonderlich weit gewesen. Vielleicht zehn Kilometer. Aber die Landschaft hier war verlassen, abgelegen und vor allem hügelig. Die Sonne hatte in sein Gesicht gebrannt, wie das Sonnencreme-Schweiß-Gemisch in seinen Augen.

Der kleine See lag hinter einem Hügel, links und rechts davon erstreckte sich ein Wald, wie eine Jacke oder ein Zaun. Nur hier, wo sie ihr Lager errichteten, waren hundert oder zweihundert Meter nichts außer ein paar Bäumen, die ihnen Schatten spenden würden. Zehn Meter vor ihnen lag bereits der See.

Vor fünfzehn Minuten hatten sie einen breiten Wanderweg verlassen und waren einem schmalen Trampelpfad gefolgt, der gefühlt nicht größer als eine Schnur war und sich zwischen den Hügeln hindurch schlängelte. Davids Onkel hatte ihnen den Weg genau beschrieben. Es ging bergauf und bergab, links an einem Hügel vorbei, dann wieder ein Stück hoch in Form einer Rechtskurve. Zuvor waren sie fast zwanzig Kilometer vom Bahnhof zum Haus von Davids Onkel geradelt. Er lebte wirklich abgelegen. Und jetzt waren sie wirklich in der Natur. Auch wenn das Grundstück dem Onkel gehörte, so sah man davon nichts, außer einem kleinen Schild am Anfang des Trampelpfades.

Elio hatte nicht verstanden, warum hier in der Gegend an so einem schönen Tag nicht ein anderer Mensch zu sehen war. Die Landschaft war die idyllischste Idylle, die man sich vorstellen konnte. Saftige grüne Wiesen, ein kleiner See, Wald, Blumen und Hügel. Es war fast schon plakativ. Das könnte als Beschreibung im Duden abgebildet sein, dachte er. Frei nach dem Motto ein Bild sagte mehr als tausend Wörter.

„Los, komm. Wir müssen das Zelt noch aufbauen", sagte David und löste die Befestigung an seinem Gepäckträger, um die Tasche mit dem Zelt zu befreien.

„Warte...", keuchte Elio. „Erst Wasser."

Er kramte in seinem Rucksack nach einer Flasche und nahm einen Schluck. Es schmeckte trotz der Temperatur wundervoll, fast so wie frisches Quellwasser. Sein Körper lechzte förmlich danach. David hatte in der Zwischenzeit das Zelt ausgepackt und stand nun leicht verzweifelt davor ohne Recht zu wissen, wo er anfangen sollte.

Elio übernahm das Kommando. David mochte viel können, aber technisches Geschick und räumliche Logik oder Verständnis lagen ihm etwa so sehr, wie Elio eine philosophische Abhandlung über die modernen Formen der Ethik im Bereich der Ökonomie. Falls es so etwas überhaupt gab, er war sich da nie ganz sicher. Sie beschlossen das Zelt in der Nähe von drei Bäumen aufzustellen. Elio überlegte kurz, sah sich die Sonne und Schatten der Bäume an und wählte dann den Platz, der ihm am geeignetsten vorkam und dauerhaft am meisten Schatten hatte. Es dauerte nicht lange, bis das Zelt stand. David hatte sich daran gewöhnt, dass Elio in solchen Situationen sagte, was zu tun war und folgte den Ansagen.

Das Verlassene HausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt