Kapitel 9 - Freitagnachmittag

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Etwas später verließen sie den Wald und standen auf einer kleinen Auffahrt, die zu dem Haus am See führte. Elio war immer noch überrascht davon, dass es David war, der die Idee hatte. Sie waren gerade an ihrem Zeltplatz angekommen, als er voraus in ihr Zelt gegangen war. Einen Moment später kam er wieder nach draußen und warf Elio eine kleine schwarze Taschenlampe zu. „Komm mit", sagte er nur und ging los. Er selbst zögerte einen Moment. Bis ihm klar war, was David vorhatte. „Wohin?", fragte er und kannte die Antwort bereits.

„Na, was denkst du denn?", antwortete David und drehte dabei den Kopf leicht zu ihm. Elio sah, dass David grinste und in seinen Augen Aufregung zu sehen war. Er würde sich nicht davon abbringen lassen und im Grunde wollte Elio das auch gar nicht. Er wollte das Haus sehen, hatte aber nicht damit gerechnet, dass die Initiative von David ausgehen würde. Also war wirklich wieder alles vergessen. Sie gingen auf der linken Seite in den Wald in Richtung des Hauses. Zu ihrer rechten Seite tauchte der See auf. Jetzt standen sie ungefähr dreihundert Meter vor dem Haus. Die Auffahrt führte hinter ihnen durch den Wald. Wo sie wohl herauskam?

Noch war es später Nachmittag und es war hell. Das Haus hatte etwas von der mystischen Aura verloren. Elio sah die braunen, fast schwarzen verrotteten Bretter und das Dach mit den fehlenden Schindeln. Aber es sah anders aus als vom See aus. Fast harmlos. Er musste an ein schlafendes Monster denken. Einige Schindeln lagen um das Haus verstreut und hier von der Rückseite des Hauses konnte man deutlich ein großes Loch im Dach sehen.

„Sieh mal", sagte Elio und deutete auf das Dach. „Sieht aus, als ob etwas eingeschlagen ist."

„Vielleicht ein großer Ast bei einem Sommergewitter?", schlug David vor und die Antwort war so gut wie jede andere. Ohne den Schaden im Haus zu sehen, würden sie die Wahrheit nie herausfinden.

Sein Freund setzte sich in Bewegung und ging auf das Haus zu. In Elio rang noch immer die Neugier mit der Nervosität. Schlussendlich setzte sich die eine Seite durch und er folgte David. Langsam gingen sie auf das Haus zu. Mit jedem Schritt schlug sein Herz schneller und er atmete schneller. Er musste wissen, was darin war. Er spürte wieder diesen Drang, dieses Verlangen reinzugehen. Es fühlte sich an, als ob er an einem riesigen Haken hing und stetig näher zum Haus gezogen wurden.

Es war größer als er gestern gedacht hatte. Zwar hatte es keinen zweiten Stock, aber vielleicht hatte es eine Art Dachzimmer. Sie betraten die Veranda und David ging zur Tür. Elios Mund war trocken und er es schmeckte irgendwie kupfrig, als ob sein kompletter Mund mit Cents gefüllt war. Er versuchte zu schlucken, aber seine Kehle bewegte sich nur trocken auf und ab. Lasst es, sagte etwas in ihm. Kehrt um.

„Abgeschlossen", sagte David nüchtern und Elio schob seine ängstliche Stimme beiseite.

„Ich habe gestern vom See aus gesehen, dass es auf der anderen Seite noch eine Tür gibt. Ich glaube, es war eine Glastüre", erklärte er und sie beide sahen einander an. Sie wussten mit einem Mal, dass sie nun wirklich in das Haus gehen würden. Es gab keine andere Möglichkeit mehr. Selbst wenn die Türe geschlossen sein würde...Vielleicht hatte der Sturm ja die Glasscheibe zerstört. Elio spürte den Schweiß nicht, der sich auf seiner Stirn bildete oder die feinen Härchen im Nacken, die sich, elektrisiert von der Spannung, aufstellten. Er fühlte sich jetzt fast euphorisch.

Sie gingen nebeneinander um die Veranda herum. Das Gras war hoch und wildgewachsen, Unkraut wucherte durch die Holzbretter und auch im Rasen zwischen dem Haus und dem See sprossen Löwenzahn oder Brennnesseln. Der Steg, der von der Veranda auf den See führte, sah noch spröder aus als die Veranda. Die Bretter unter ihnen ächzten bei manchen Schritten. Einige waren auch zersplittert oder durchgebrochen und er konnte unter dem Holz braunes modriges Gras sehen. Die Veranda ging in eine Art Terrasse über. Hier stand ein alter Gartenstuhl aus grünem Plastik. Ansonsten gab es hier nichts. Die Terrasse ging über die ganze Hausseite und war ungefähr zehn Meter breit. Danach gab es ungefähr weitere zehn Meter Gras und dann kam schon das Ufer des Sees. Auf der linken Seite gab es vertrocknetes Schilf und rechts kam der Wald ziemlich nahe an das Haus. Elio blieb kurz stehen und sah sich das Gras zwischen Haus und See genauer an. Je näher es am Wasser war, desto grüner und normaler war es. Hier nahe dem Hause sah es welk und trocken aus. Tot, sagte etwas in ihm.

Das Verlassene HausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt