Der erste Blick (2)

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Sie hob die Hände, deutete zum Kühlschrank. „Ich wollte nur kurz Hallo sagen. Lasst euch nicht stören. Bin gleich wieder weg." Ihr wurde nun einiges klar: Der Duft stammte von den Neuankömmlingen! Und ihre Nuance war vollkommen Eigen – Wie die von M-21, und doch anders.

Eine wohlige Welle der Wonne ebbte durch ihren Körper. Sie schauderte.

„Und du möchtest nicht mit uns essen?" Frankenstein hatte das Kinn auf seine ineinander verschränkten Finger gestützt und lächelte sie an.
Er wirkte entspannt, aber es war ihr nicht entgangen, als sie vom Kühlschrank zurück zum Tisch blickte. M-21 trug unter seinem Hemd Verbandszeug. Und nicht nur er – Auch Pferdeschwanz sah mitgenommen aus und war bandagiert.

Etwas war also vorgefallen. Sie presste die Lippen zusammen.

„Ah, nein. Ich wollte eigentlich nur nach oben und ein neues Set Arbeitsklamotten mitnehmen. Ich bin die Tage echt nicht zum Waschen gekommen. Mir fiel aber ein, dass ich hier noch welche habe. Und wo ich schon dabei bin...", plauderte sie, und versenkte die Nase im Kühlschrank. So sah niemand, wie der riesige Speichelkloß, den ihre außer Kontrolle geratenen Speicheldrüsen produziert hatten, gluckernd ihren Rachen hinunterrutschte. Außerdem atmete sie tief durch. Sie hatte den Geruch des Blutes aufgefangen, der unter den Bandagen hervorströmte.

Als sie wieder hervorkam, hielt sie vier Joghurtbecher und eine Brotdose in der Hand – Ein paar Reserven, die sie hier hin und wieder deponierte. Der Keks, den sie aus der Dose fischte, war labberig, aber das war ihr egal. Sie biss hinein, klappte die Dose zu und verstaute diese in dem Umhängerucksack, den sie bei sich trug. „Und wenn ich schon hier bin, kann ich dieses hier auch gleich in die Wäsche geben." Unauffällig zupfte sie am Saum ihres Küchenoutfits herum – Wann war es nur so warm hier drin geworden?

„Und kurz in die Wanne springen", fügte sie zurückhaltend hinzu. „Wenn das in Ordnung ist."

Noch immer lächelnd betrachtete sie die Runde. Dabei war ihr Fokus auf die Neuankömmlinge gerichtet, die sie unauffällig aus dem Augenwinkel musterte. Ihr fiel auf, dass der Dritte in der Reihe der einzige war, der kein weißes Hemd trug, sondern ein schwarzes, etwas zu lockeres Langarmshirt, das...

Es fiel ihr schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie die warmen Wellen des Schauerns in ein ekstatisches Prickeln übergingen.

„Kurz – natürlich", kommentierte Regis.

„Hm?"

„Du blockierst doch wieder den ganzen Abend das Bad. Das ist unhöflich gegenüber anderen."

Der Typ bei Pferdeschwanz schaute immer noch. Was er wohl dachte, wenn er sie so beäugte?

„Ich habe die Erlaubnis. Es liegt nämlich auch im Ermessen des Herrn Direx, wenn seine Angestellten gut riechend und gepflegt ihrer Tätigkeit nachgehen. Nicht wahr, Herr Direx?"

Sie strahlte Frankenstein an.

Der hielt mit seinem Daumen und Zeigefinger plötzlich seine Nasenwurzel umklammert, als hätte er Kopfschmerzen.

„Nun..."

In diesem Moment hob Raizel sein Glas und führte es an die Lippen. Frankenstein erstarrte.

Natürlich." Er lächelte zurück, aber sein Gesicht wirkte dabei seltsam blass.

„Siehst du." Sie zuckte mit den Schultern. „Außerdem brauchst du dich nicht benachteiligt fühlen. Hier gibt es mehr als ein Badezimmer."

„Welcher Angestellte geht überhaupt ins Haus seines Chefs, um zu baden?!"

Bestimmt gewinnt er gerade einen super ersten Eindruck von ihr.

Jetzt beugte sie sich zu Regis herab.

„Wenigstens bediene ich mich nicht an anderer Leute Fruchtzwerge, ohne zu fragen. Das wäre auch unhöflich, oder, Regis?"

Wie bitte?! Was willst du mir unterstellen?" Seine roten Augen bohrten sich in sie.

„Regis. Ich weiß es, und du weißt es auch." Sie kam näher, und er wich zurück. „Kalzium und Vitamin D sind ja bekanntlich gut für das Knochenwachstum. Daher verstehe ich das."

„Wo sie recht hat, hat sie recht." Das war M-21. Sein Mund zuckte verräterisch.

„Wer hat dich denn gefragt?!", empörte Regis sich.

„Ich bin nicht M-21", fuhr sie stattdessen fort. „Ich habe keine Lust auf so ein Theater. Am Ende kippt M-21 noch vom Stuhl. Also..." Sie glitt zurück in eine aufrechte Pose, brach zwei der Joghurtbecher ab und schob sie Regis entgegen. Und lächelte besänftigend.

Argwöhnisch betrachtete er sie.

„Sie es als Friedensangebot. Gönn dir den Nachtisch, werd nicht rot und sag einfach Danke."

Hatte er schwarz lackierte Nägel? Sah sie das richtig? Mmhh...
Noch ein Schaudern durchflutete sie, und manifestierte sich... in ihrer Körpermitte.
Sie ballte die Faust.

„Pah." Regis, tatsächlich feuerrot im Gesicht, wandte den Blick ab.

„Bitte", schob sie nach, stemmte die Hände in die Hüften und lächelte lieblich.

Da schob Regis die Becher näher an sein Gedeck heran und murmelte ein „Danke..."

Seira hatte die Augen geschlossen, doch auf ihren Mundwinkeln lag ein seichtes Lächeln. M-21 grinste und verschränkte die Arme. Selbst die beiden Neuankömmlinge tauschten einen vielsagenden Blick aus.

„Gut. Ich bin dann mal oben", sagte sie, hob die Hand und trat zurück. Einmal mehr traf ihr Blick mit dem des Pferdeschwanzes zusammen, dann mit seinem Kumpel mit dem frivolen Kleidungsstil.

Frivol?
Okay, es war definitiv Zeit zu gehen.

Kaum hatte sie den Raum verlassen, erstarb das Lachen und sie schlug sich die eine Hand vors Gesicht. Betete, dass keiner etwas gemerkt hatte. Was war denn nur los mit ihr? Kaum waren neue Gesichter da, ballten sich gleich Dinge in einer Körperregion zusammen, die in dieser Situation besser nicht aktiv war...

Sie kniff den Schritt zusammen.

„Hey, was lachst du so?!" Regis' Stimme hallte ihr nach, doch der Rest der Diskussion ging in ihrer eigenen Gedankenwelt unter.

Kalt duschen, ja, das würde sie gleich als allererstes.


Noblesse - Addiction (Tao x OC) (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt