𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟻

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- Tōru Oikawa

Nach einer knappen Stunde hatte ich mich wieder im Griff. Jetzt, wo ich all meine Trauer rausgelassen hatte, fühlte ich mich leer. Als wäre ich nicht mehr zum Emotionen Empfinden imstande. Dieses Gefühl war schrecklich und widerte mich ungemein an.

Die Polizei war vor einigen Minuten davongefahren, nachdem sie sich versichert hatte, dass ich klarkam. Der kleinere Polizeiangestellte hatte zuvor noch meine Mutter angerufen. Leider hatte ich die Gelegenheit, das verlaufende Gespräch mitanzuhören, verpasst. Ich war zwar gleich daneben gesessen, allerdings hatte ich mich nicht auf das Wesetliche fokussieren und daher nichts wahrnehmen können.

Nun lag ich zusammengekauert auf dem Sofa, die vom Weinen leicht roten und angeschwollenen Augen geschlossen, unwissend, wie nun alles weitergehen sollte. Ich schlussfolgerte, dass ich wohl bestens Iwaizumis anrufen sollte. Obwohl mir ganz und gar nicht danach war.

Schon wollte ich auf "ANRUFEN" drücken, aber ich hielt in meiner Bewegung inne. Mein Finger schwebte über der Handytaste, während ich überlegte. Sollte ich ihn anrufen, sollte ich nicht? Wie würde ich es ihm erklären? Wie würde er reagieren? Würde er sich überhaupt interessieren?

Außerdem brauchte ich kein Mitleid.
Ich brachte jemanden, bei dem ich mich aussprechen konnte. Allerdings war ich mir nicht wirklich sicher, ob dieser jemand Iwa war. Klar, er war schon für Jahre mein bester Freund gewesen. Aber konnte ich ihm dies jetzt sofort anvertrauen? War ich überhaupt in der Lage dazu? In meinem jetzigen Status bezweifelte ich das sehr.

Als ich mein Handy wieder beiseite legte, flüsterte mir eine leise Stimme in meinem Kopf zu: „Gut so. Du wolltest Iwa-chan nicht mit deinen eigenen Sorgen belästigen, sondern ihn mehr zum Lachen bringen." Lustlos brach ich in heiseres, kratziges Gelächter aus. Es hörte sich eher wie ein Husten an.

Stimmt, ich wollte seine Laune verbessern, nicht durch meine momentane Sorgen verschlechtern.

Ich knirschte mit den Zähnen. Was nun? War das Leben meines Vaters tatsächlich beendet? Würde er wirklich nicht heute noch ankommen? Ich wusste ganz gut, dass dem nicht so wahr, allerdings weigerte sich mein Unterbewusstsein, dem Wahrheit zu schenken. Ein Part von mir hatte sich damit abgefunden, dass mein Dad tot war, der andere kam nicht damit klar. In meinem Inneren herrschte ein gewaltiges Gefühlschaos. Eines, welches mich im Endeffekt jedoch leer fühlen ließ.

Sekunden, Minuten, Stunden vergingen, in denen ich lediglich Löcher in die Luft starrte, mein Leben überdachte und Schritt für Schritt den Überblick über die Zeit verlor. Hie und da wurden meine Augen feucht, aber ich kam mir so miserabel und erbärmlich vor, dass ich nicht einmal die Kraft zum Weinen aufbringen konnte. Es war, als hätte mich jegliche Energie verlassen.

Bald war es draußen bereits dunkel, die Sonne verschwand gerade hinter einem der niedrigeren Hügel in der Umgebung, ein paar Sterne schmückten den Himmel, der Mond tauschte die Sonne ein, jedoch bekam ich nichts davon mit. Ich bemerkte nur, wie sich meine Umgebung verdunkelte. So leblos ich momentan war, machte ich nicht einmal Anstalten, das Licht einzuschalten. Oder mir eine Decke zu holen, da das Wohnzimmer sich abzukühlen begann und ich ab und zu erzitterte. Aber ich ignorierte die Kälte gekonnt.

Das Klingeln der Glocke unterbrach die trübe Stille. Irritiert legte ich die Stirn in Falten. Wer das wohl war? Ich seufzte. Das war doch eh alles egal.

„Tōru, ich bin's!", drang Mutters Stimme durch das dicke Holz der Haustür hindurch. „Bitte, mach auf. Ich- ich habe das mit deinem Dad, meinem Ehemann ge-", ihre Stimme brach ab. Ich biss mir auf die bebende Unterlippe, als ich hören konnte, wie meine Mum unterdrückt schluchzte. Das zu hören, versetzte mir einen schmerzhaften Stich im Herzen. Während ich mich mit emotionsloser Miene zur Tür schleppte, versank ich kurz wiederholt in Gedanken.

Wie grausam die Welt nur ist.

Ich war immer ein sehr positiver Mensch gewesen. Ich war zufrieden mit meinem Leben gewesen, hatte mich nicht glücklicher schätzen können. Und nun hatte mein Leben solch eine Wendung vollbracht - es ist absolut aus den Fugen geraten.

Alles hat wohl sein Ende, was?

Wie sollte ich jemals wieder lachen? Wie sollte ich in dem Wissen, dass mein geliebter Dad, mein Idol, nicht länger unter uns verweilte, nicht betrübt sein? Ich biss mir auf die Innerseite meiner Backe. Sollte ich weiterleben, einfach so, ohne meinen Vater?

Das erneute Schluchzen meiner Mum unterbrach meinen Gedankenfluss. Ich sperrte auf und blickte auf meine weinende Mutter herab. Sie sah wie am Boden zerstört aus. Ihre Augen rot unterlaufen, ihre Maskara überall verschmiert. Ihre sonst perfekt gerichteten Haare standen in alle Richtungen ab. Etwas in meinem Inneren brach bei diesem Anblick.

Sofort legte ich meine starken Arme beschützerisch um ihren zierlichen, zitternden Körper. Fest drückte ich sie an mich heran und weigerte mich, sie loszulassen. Obwohl es mir nicht gerade besser erging, musste ich für meine Mutter da sein. Doch wie half ich ihr am besten?

Ich wusste nicht, wann ich ebenso angefangen hatte, zu weinen.

Ich fühlte, wie etwas Salziges in meinen Mundwinkel lief.

Verdammt.
Wie erbärmlich.
Dad hätte mich ausgelacht.

Flüchtig wischte ich mir die Tränen weg. Ich musste stark sein, hatte keine andere Wahl.

Mit Besorgnis gefüllten Augen begleitete ich meine Mutter bis zu ihrem Bett. Behutsam küsste ich sanft ihre Stirn. Ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass sie sich so hilflos und auf sich allein gestellt fühlte, wie ich. Es war schrecklich genug, dies an sich selbst zu ertragen.

Später entschied auch ich mich, schlafen zu gehen. Ja, Schlaf klang gut. Ich legte mich aufs Ohr, konnte jedoch nicht einschlafen. Immer, wenn ich einen Versuch startete, meine Augen zu schließen, drohten Bilder von mir und meinem Dad vor meinem inneren Auge aufzutauchen.
Denn obwohl diese Bilder glückliche Ereignisse darstellten, zerrissen sie mir zeitgleich das Herz.

𝐈𝐖𝐀-𝐂𝐇𝐀𝐍 || 𝘪𝘸𝘢𝘰𝘪Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt