Ein alter, neuer Traum

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Sanft streiften die Wellen Nalas Füße, während diese sie magisch tiefer ins Wasser trugen. Etwas rief dort nach ihr. Sie konnte diesen Ruf nicht hören, aber er zog an ihrem Herzen.

"Warte Nala! Nicht so weit raus!"

Die junge Frau wollte schreien, wollte zu dieser Frau rennen, der sie im Spiegel so ähnlich sah und mit ihr weit weg vom Wasser sein. Doch das Wasser trug sie hinaus aufs Meer und Nala war unfähig, ihre Mutter aufzuhalten, als diese ihr ins Meer hinterher sprang. Sie sah fasziniert dabei zu, wie die Beine sich in einen Fischschwanz verwandelten, der ihre Mutter kraftvoll zu ihr brachte. 

"Wir müssen zurück, Liebes."

Tränen rannen Nala übers Gesicht. Sie fasste nach dem ihrer Mutter und spürte die glitschige Haut, welche die feinen Fischschuppen dort hinterließen. Sie wollte das alles nicht und einem Teil von ihr war bewusst, dass sie träumte und doch war sie unfähig etwas zu tun. Sie sah an sich herab und erblickte ihren eigenen Fischschwanz, der wild in den Wellen hin und her schlug, um das Gleichgewicht zu halten.

"Scht, mein Kleines. Es tut mir leid. Es tut mir so leid."

Und dann sah Nala den dunklen Schatten auftauchen - ein riesiger Rochen auf dessen Rücken ein Mann schwamm. Er hatte, wie sie einen Fischschwanz und hielt auf Nala und ihre Mutter zu. Neben dem Mann war ein kleiner Junge, der so alt wirkte, wie Nalas Selbst in diesem Traum. Doch seine Augen waren dunkel. Als hätte er bereits mehr gesehen, als er es in diesem Alter hätte sehen dürfen.

"Jasemin. Es wird Zeit. Du hast dich lange genug an Land versteckt. Doch ich wusste, dass auch du nicht ewig dem Ruf des Meeres widerstehen würdest."

Dann blickte er zu Nala und seine Augen wurden düster.

"Wie konntest du, Jasemin!"

"Sie ist das, was wir brauchen werden."

"Ihr Leben endet hier und jetzt und du wirst das Land nie wiedersehen."

Er schlug mit seiner Schwanzspitze auf den Rücken des Rochen, doch dieser bewegte sich nicht. Erneut trieb der Mann das Tier an, doch auch dieses Mal blieb der Rochen, wo er war. Er schwebte elegant auf der Stelle, als würde er den Mann nicht einmal bemerken.

"Das kannst du dir sparen, Jarson. Der Rochen wird ihr nichts tun. Sie ist beides. Land und Meer, Mensch und Fisch und du kannst nichts dagegen tun. Und gegen die Lieber einer Mutter wird sich der Rochen nie erheben."

Das Lächeln Jarsons wurde gemein.

"Dann bleibt sie eben hier. Doch du! Du kannst dich nicht widersetzten. Du wirst mit mir in die Tiefe gehen und nie wieder die Wasseroberfläche durchbrechen."

"Du musst jetzt stark sein, Nala. Ich bringe dich an den Strand zurück. Doch du darfst erst in Meer zurück, wenn es dich ruft. Der Rochen wird dich dann holen kommen. Hast du verstanden? Erst, wenn das Meer dich ruft und vertrau dem Rochen!"

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Nala erwachte in der Nässe ihrer eigenen Tränen.  Jasemin. Sie wusste nun, wie ihre Mutter hieß und sie war sich sicher, dass es stimmte. Nach all den Jahren hatte sie einen Namen. Auch wenn Nala nicht verstand, was die anderen Personen und der Rochen bedeuteten, so hatte sie ein weiteres kleines Puzzleteil ihrer Vergangenheit. Und was den Rest meines Traumes anging - den würde sie mit ihrem Therapeuten besprechen. Er hatte bereits alle Unterlagen ihrer psychologischen Geschichte und Nala hoffte, er würde ihr helfen, diesen Traum zu verstehen.

DrowningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt