Die Tiefe See

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Es war kalt. Der Wind wehte stark. Meine Haare waren nur noch ein einziges Chaos. Im Morgenmantel stand ich auf der alten Holzterrasse meines Großonkels. In meinen beiden Händen hielt ich eine heiße Tasse Tee und blickte auf die unruhige See. Der Himmel war grau und dieses Stimmung spiegelte das Meer wieder. Die großen Wellen rauschten im Sekundentakt an die Küste. Ungestört und unbekümmert. Ich lehnte mich an die Brüstung und schaute dem regen Treiben zu. Ich war hierher geflohen. An einen ruhigen Ort, weit weg von der Realität, einen Ort, an dem man einfach nur sein konnte. In meinem Heimatort hatte ich es nicht mehr ausgehalten. Mir wäre der Kopf explodiert, wäre ich nicht geflohen. Und die Situation hat ergeben, dass mein Großonkel Aushilfe in seiner Pension an der Küste brauchte. Somit hatte das eine zum anderen geführt. Der heiße Tee morgens früh wurde meinem neuen Tagesrhythmus hinzugefügt. Genauso wie der Blick auf das Meer und das Nicht-Vorhandensein eines Handys. Es war so friedvoll geworden. Mein Großonkel hatte mich glücklicherweise immer Abends bis in die Nacht rein den Schichten zugeteilt, damit ich den Tag nutzen konnte. Meine Aufgaben bestanden von Schlüssel aushändigen bis zum Reinigen der Zimmer. Seit ich an der Küste lebte hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht für aufzustehen. Es war gerade kurz nach acht. Meine Teetasse leerte sich schneller als ich wollte, weshalb ich nun die Teeblätter im Tassenboden betrachtete. Ich schritt durch den klimpernden Perlenvorhang unserer Terrassentür und stellte die Tasse in der Spüle ab. Mein Onkel und ich wohnten im Erdgeschoss und über uns befanden sich die Gästezimmer. Ich ging in mein Zimmer und zog meinen Badeanzug an. Manche würden es viellicht komisch finden bei 16°C im Meer, welches durch den Wind nur so tobte, schwimmen zu gehen. Aber wenn man eine Zeit lang hier wohnte wusste man, dass es der beste Zeitpunkt zum Schwimmen gehen war. Keine Menschen, keine Eiswagen sondern nur das Meer, seine Geräusche und ich. Auch die Kälte machte mir mittlerweile nichts mehr aus. Anfangs war es etwas schwierig gewesen, aber mittlerweile genoss ich das leichte Gefühl der Taubheit. Ironischerweise gab es mir das Gefühl überhaupt irgendetwas zu fühlen. Irgendwie die Leere in mir zu verdrängen. „Bis nachher", rief ich meinem Großonkel zu und verschwand ohne irgendeine Tasche, nur mit meinem Badeanzug am Leib, aus dem Haus. Mit langsamen, bestimmten Schritten ging ich Richtung Meer. Es gab keinen Grund zur Eile. Der Sand unter meinen Füßen gäbe nach und erschwerte den Gang zum Meer. Der Sand unter mir wurde kälter und feuchter und das kühle Salzwasser der See umfing meine Füße. Schritt für Schritt bewegte ich mich in die hohen Wellen. Bis sie auf der Höhe meiner Schultern waren. Dort blieb ich stehen, schloss die Augen und atmete einmal tief ein und aus. Das hier war der schönste Moment meines Tages. Ich nahm alles viel intensiver wahr. Die Salzluft, das Rauschen, die Kälte und der Wind in meinem angefeuchteten Haar. Die Wellen schwappten gegen meinen Oberkörper. Welle für Welle. Auf einmal war um mich herum überall Wasser. Was war passiert? Ich versuchte die Augen zu öffnen doch bei dem Versuch fingen an meine Augen zu brennen und ich konnte nur grau erkennen. Ich bemerkte auch, dass ich nichts mehr unter meinen Füßen spüren konnte. Scheiße, die eine Welle war wohl zu groß gewesen. Warum musste ich immer so naiv sein. Eines Tages musste es ja passieren. Eine Welle hatte mich umgerissen und das Meer verschlingt mich immer mehr. Ich strampelte mit den Armen, versuchte panisch irgendwie nach oben zu kommen. Doch alles um mich herum war schwer und egal wie viel ich strampelte nichts an meiner Situation änderte sich. Meine Lunge brannte. Luft. Ich brauchte Luft. Aber die gab es verdammt nochmal nicht. Nicht den Mund öffnen. In Ohnmacht durch Luftmangel zu fallen ist schöner als zu erleben wie man Wasser in die Lunge zu bekommen. Aber ich musste atmen. Ich musste. Mein Körper wurde schwer. Es hatte keine Kraft mehr übrig. Ich sank. Im Stillen nahm ich Abschied von dieser traurigen Welt und spürte kaum so etwas wie Reue. Vielleicht war es doch nicht so schlimm zu sterben. Am Rande meines Bewusstseins nahm ich gerade noch so war, dass mich jemand Starkes an meiner Taille packte und mich an sich presste. Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch ich konnte nur helle und dunkle Flecken erkennen. Dann driftete ich in die Ohnmacht ab.

nowhere and everywhereWhere stories live. Discover now