Stille Zweisamkeit

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"Ich habe dich gesucht." "Warum?" "Wegen gestern, ähm, könntest du das für dich behalten?" "Ok" Das ging aber einfach. Entweder war er verdammt verständnisvoll oder ihm war das alles einfach egal. Wahrscheinlich letzteres. Für ersteres machte er nicht wirklich den Eindruck. Es ging jetzt aber doch zu schnell. Er starrte mich an, ich starrte ihn an und niemand sagte ein Wort. Eigentlich wollte ich die Sache mit meinem Großonkel nur mit ihm absprechen, aber jetzt einfach zu gehen erschien mir auch nicht richtig. Irgendetwas musste ich sagen. "Ähm, kann ich mich noch etwas zu dir setzen?" Verdammt, das wollte ich doch gar nicht.
„Wenn du willst.", erwiderte er und drehte sich um. Warum hatte er zugesagt? Er konnte wohl kaum auch diese unangenehme und peinliche Atmosphäre wollen. Aber ich konnte nach der Frage ja schlecht einen Rückzieher machen. Somit war ich gezwungen meine Beine unbeholfen über die kleine Mauer zu schwingen und mich links von ihm hinzusetzen. Beine baumelnd saß ich mit ihm nun auf dieser Mauer ohne ein Wort zu wechseln. Ich drehte meinen Kopf nach rechts und blickte ihn an. Seine Augen waren nach vorne, aufs Meer gerichtet, und seine Miene gab keine Emotionen und keine Gedanken preis. Da er meine Anwesenheit still akzeptierte beschloss ich das Selbe zu tun. Mein Blick wanderte zum Meer, auf dem sich im Horizont die Mondsichel spiegelte, das aber ansonsten pechschwarz war und meinen Blick hypnotisch reinzog. Für lange Zeit saßen wir still nebeneinander. Aber die Stimmung war nicht mehr unangenehm. Sie war einer stillen Solidarität, einem stillen Verständnis für einander gewichen. Warum weiß ich nicht, aber diese Stille erzählte uns mehr von einander, als es tausend Worte je könnten. Er schien mir zu ähneln, wie genau wusste ich nicht, aber dass er es tat war nicht zu bezweifeln. "Warum bist du hier", unterbrach er unsere zweisame Stille. Er hatte unsere Ähnlichkeit wohl auch bemerkt. "Um zu entkommen" Ich bemerkte in meinem Blickfeld, dass er sich zu mir umgedreht hatte und mich anblickte. Lange blickte er mich an, nach einer Weile nickte er und drehte sich wieder zum Meer um. Nun fühlte ich mich an der Reihe, aber meinen Kopf zu drehen. "Und du?" Ich sah, dass er auf meine Frage hin leicht schmunzelte. Er drehte seinen Kopf wieder zu mir hin und wir starrten uns gegenseitig an. "Aus dem selben Grund wie du." Stille folgte mal wieder seinen Worten. Plötzlich lächelte er mich an und wir mussten beide laut lachen. Diese Situation war so komisch, so ungewohnt. Ich wusste nicht wieso, aber diese Situation war so lustig, wir beide konnten uns kaum einkriegen. Als wir uns endlich wieder unter Kontrolle hatten mussten wir uns beide anlächeln. "Ich mag dich.", sagte er mir plötzlich und hielt meine Augen mit seinen gefangen. "Sowas kommt bei mir selten vor. Dass ich jemanden mag." Ich spürte, wie ich etwas errötete. Diese Worte hatte mir noch niemand gesagt. "Ich mag dich auch, Loki. Du bist anders." Er lachte leise und flüsterte mehr zu sich als zu mir:" Wenn du nur wüsstest..." Wieder in stiller Zweisamkeit guckten wir aufs pechschwarze Meer hinaus. Keiner von uns verspürte den Drang zu reden. Doch wir genossen diese Zeit trotzdem. Ich kenne diesen Mann gerade einmal seit fast zwei Tagen und trotzdem fühle ich mich ihm so intim verbunden, wie ich es mit einem anderen Menschen noch nie erlebt hatte. Er war nicht nur anders, sondern auch besonders. "Scheiße, wie viel Uhr haben wir?", entwich es mir aus meinem Mund. Panisch erhob ich mich und und sprang von der Mauer. Ich sah, wie Loki mich verwirrt anguckte. Er fragte jedoch nicht nach, sondern zog seinen Ärmel rauf auf dem sich tatsächlich eine Uhr befand. Heute war echt mein Glückstag. "Es ist fünf vor zehn." "Scheiße, Scheiße, Scheiße. Meine Schicht beginnt um zehn." "Schicht?" "Ich helfe meinem Großonkel in seiner Pension aus." "Ah" "Wir sehen uns bestimmt bald, ich muss jetzt los", rief ich ihm noch schnell zu, während ich schon losgelaufen war. Als ich mich noch einmal kurz zu ihm umdrehte meinte ich zu sehen, dass sein Blick immer noch auf mir lag. In der Dunkelheit war das aber auch schwer zu sagen.

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